Freitag, 19. April 2024

Archiv


Lambsdorff: Fiskalpakt nicht durch Debatte um Börsensteuer gefährden

Auch die FDP sei für eine Entschleunigung von Finanzgeschäften, sagt Alexander Graf Lambsdorff, Chef der FDP-Gruppe im Europaparlament. Doch eine Finanztransaktionssteuer sei das falsche Instrument. An dieser Frage dürfe die Opposition den sogenannten Fiskalpakt nicht scheitern lassen, so Lambsdorff.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Jasper Barenberg | 12.03.2012
    Jasper Barenberg: So viel ist sicher: ohne die Stimmen aus den Reihen der Opposition im Bundestag werden die strengeren Haushaltsregeln für Europa nicht in Kraft treten. Der sogenannte Fiskalpakt braucht eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat, das bringt neuen Schwung in eine alte Debatte, denn SPD und Grüne wollen der Regierung bei der Gelegenheit auch die Besteuerung von Finanzgeschäften abtrotzen, die Finanztransaktionssteuer. Die will seit neuestem auch die Union, doch die FDP sträubt sich. Warum eigentlich und wie lange noch? Darüber wollen wir in den nächsten Minuten mit dem FDP-europaparlamentarier Alexander Graf Lambsdorff sprechen. Schönen guten Morgen.

    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Vielleicht sprechen wir zunächst mal über Sinn und Zweck einer solchen Steuer. Spekulative und riskante Geschäfte an den Börsen eindämmen, das ist das eine Motiv, und die Einnahmen des Staates erhöhen ein weiteres. Aus diesen beiden Gründen sind jedenfalls SPD, Grüne und inzwischen ja auch sehr viele in der Union für eine Steuer auf Finanzgeschäfte. Teilen Sie jedenfalls diese beiden Ziele, diese beiden Motive?

    Graf Lambsdorff: Also die Entschleunigung mancher Geschäfte, die an den Finanzmärkten passieren, das ist ein Ziel, das wir alle teilen, sowohl in der Bundesregierung als auch darüber hinaus in der Opposition. Deswegen hat ja auch die FDP sich für eine Stempelsteuer, also eine Art Börsenumsatzsteuer ausgesprochen. Was die Erhöhung der Einnahmen des Staates angeht, muss ich sagen, ist jedenfalls was die deutsche Situation angeht kein Handlungsbedarf. Wir haben gerade 2011 abgeschlossen mit absoluten Rekordsteuereinnahmen für Herrn Schäuble. Also hier jetzt noch mal zuzulangen aus Einnahmegründen, das hielt ich für verkehrt. Wenn man es europäisch sieht, kann man darüber vielleicht nachdenken, aber jedenfalls für den deutschen Kontext macht das keinen Sinn.

    Barenberg: Auf europäischer Ebene ist das Argument ja, dass wir dringend zu allem Sparen auch Investitionen brauchen in Wachstum, in Bildung, beispielsweise mit Blick auf die hohe Arbeitslosigkeit von Jugendlichen in vielen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Da würden Sie also auch mitgehen, dass das notwendig ist?

    Graf Lambsdorff: Na ja, wenn man sich mal anschaut, was wir im Moment haben, dann haben wir ja einen Fiskalpakt, den die Bundesregierung in Brüssel ausgehandelt hat. Der sieht ausgeglichene Staatshaushalte vor, der sieht Schuldenbremsen für nationales Recht vor, der sieht einen Abbau der bisher bestehenden Schulden vor, also eine ganze Reihe sinnvoller Maßnahmen. Und wir haben gleichzeitig drei Forderungen der SPD jetzt auf dem Tisch liegen, was die Zustimmung im Deutschen Bundestag angeht. Das ist zum einen die Einführung einer Finanztransaktionssteuer auch ohne die Engländer, das ist ein Schuldentilgungspakt und das sind Wachstumsprogramme für Länder, die es brauchen. Ich glaube, dass bei den Wachstumsprogrammen, wenn man sich anschaut, was an Mitteln in Brüssel bereit liegt, überhaupt kein Dissens da ist. Man kann etwas tun, man muss auch etwas tun. Ein Land wie Griechenland kann ja nicht weiter so machen wie bisher, dass also die Perspektive für die Bevölkerung überhaupt nicht mehr in den Blick genommen wird. Da kann man durchaus was machen. Beim Schuldentilgungspakt bin ich auch der Auffassung, das ist eine vernünftige Idee, da muss man in Berlin in der Tat noch Überzeugungsarbeit leisten. Hier geht es darum, dass die Länder, die ein höheres Defizit haben, als vom Maastrichter Vertrag erlaubt, diese Schulden poolen und dann einen Pakt schließen, wie die Schulden abbezahlt werden. Das würde die Schuldenlast in Europa erheblich verringern. Aber der dritte Punkt, die Finanztransaktionssteuer ohne die Engländer zu machen, das wäre eine massive Schwächung des Finanzplatzes Frankfurt, und da machen wir im Grunde denselben Fehler, den die Schweden bereits 1994 einmal gemacht haben. Wir würden eine Steuer in einem begrenzten Raum einführen, Schweden hat das damals für Stockholm gemacht. Das Ergebnis war: alle Finanztransaktionen sind nach London abgewandert, die Schweden haben die Steuer schleunigst wieder abgeschafft, nur das Geschäft ist nicht zurückgekommen, man hat den Standort Stockholm damals massiv beschädigt. Wenn wir sehenden Auges so was mit Frankfurt machen würden, dann wären wir wirklich schlecht beraten.

    Barenberg: Da ist ja allerdings aber der Entwurf der Kommission so ausgelegt für eine solche Steuer, dass sie da anfällt, wo Banken und Kunden ihren Sitz haben, und daraus wird die Schlussfolgerung gezogen, dass es eben keinen Schaden für den Finanzplatz, sagen wir, Frankfurt sein kann.

    Graf Lambsdorff: Aber Herr Barenberg, das Ansässigkeitsprinzip führt doch nur dazu, dass nicht nur die Geschäfte, sondern auch die Banken umziehen. Das ist ja genau der Punkt, an dem sich manche einer Illusion hingeben, dass man in Zeiten der Globalisierung, in Zeiten des europäischen Binnenmarktes, in Zeiten eines internationalisierten Finanzmarktes sagen kann, ja gut, wer in Frankfurt irgendeine Abteilung hat, der wird dann in Frankfurt zur Kasse gebeten, und wer in London sitzt, dann nicht. Ich meine, das ist doch vollkommen klar, dass aus Paris, aus Frankfurt, aus den anderen kontinentalen Finanzplätzen dann die Abteilungen, die den Handel machen, jeweils nach London umziehen oder nach Singapur, New York oder Hongkong und von dort aus arbeiten.

    Barenberg: Aber sie machen ja die Geschäfte mit Kunden, die beispielsweise in Deutschland sitzen, und dann fällt da eben die Steuer auch in Deutschland an.

    Graf Lambsdorff: Nein, das ist illusionär. Man müsste ja dann auch noch ein zweites System haben, nämlich einen detaillierten Informationsaustausch, und das ganze wird einfach in der Praxis nicht funktionieren. Wie gesagt, ich will hier noch mal deutlich sagen: Es ist richtig, dass man sich vornimmt, manche dieser Finanzgeschäfte zu besteuern. Es ist auch richtig, wenn man eine Entschleunigung insbesondere des Computerhandels will. Man muss aber ein geeignetes Instrument haben. Es geht hier also nicht um eine ideologische Frage, brauchen wir eine Finanztransaktionssteuer, brauchen wir eine Stempelsteuer, es geht um die Frage, welches Instrument ist wirklich effektiv.

    Barenberg: Und wenn Sie da das Vorbild der britischen Börsensteuer nehmen, also der Stempelsteuer, dann leistet die ja gerade das nicht, denn Finanzderivate beispielsweise sind ausgenommen von dieser Steuer und der Hochfrequenzhandel, den viele für äußerst gefährlich halten und für mitverantwortlich für die Finanzkrise, auch nicht dabei.

    Graf Lambsdorff: Da haben Sie recht, Herr Barenberg, und das ist auch ein Punkt, wo ich glaube, dass Herr Kauder einen ganz klugen Vorschlag gemacht hat, der Fraktionsvorsitzende der Union in Berlin. Man müsste sich anschauen, dass man eine solche Stempelsteuer erweitert um die Derivate mindestens, vielleicht auch den Hochfrequenzhandel. Wie gesagt, auch hier geht es nicht um eine einfache Blaupause, die man übernimmt, sondern es geht darum, ein effektives Instrument zu gestalten.

    Barenberg: Und da sind Sie gesprächsbereit, sagen wir, die Stempelsteuer als Grundlage zu nehmen und sie dann zu erweitern, eben mit Blick auf besonders gefährliche, riskante Geschäfte?

    Graf Lambsdorff: Ja genau das ist es ja, was Rainer Brüderle und auch Philipp Rösler vorgeschlagen haben. Natürlich sind wir da gesprächsbereit.

    Barenberg: Wann werden Sie das mit der Union denn vereinbaren?

    Graf Lambsdorff: Nun, die Gespräche laufen ja. Ich glaube, das wichtige ist, dass wir jetzt Fortschritte machen. Zeit ist bis Mitte des Jahres. In dem Zeitrahmen muss das ganze durch sein. Allerdings glaube ich, dass wir uns wirklich noch einmal vergegenwärtigen müssen, dass dieser Fiskalpakt, der ja jetzt hier streitig gestellt worden ist von der SPD, ein wirklich großer Erfolg der Bundesregierung ist auf dem Weg hin zu einer Stabilitätskultur in Europa.

    Barenberg: Das bestreitet ja auch die SPD nicht.

    Graf Lambsdorff: Na ja, gut. Aber wenn sie ihre Zustimmung von einem Instrument abhängig macht, das im politischen Streit steht und das nicht mit dem Fiskalpakt unmittelbar zusammenhängt, dann ist das schon ein parteipolitisches Spielchen, und ich glaube, dass diese Fragen sich dafür nicht eignen. Ich bin heute Morgen mal auf den Websites der SPD gegangen, um zu schauen, ob da etwas steht von diesem Forderungskatalog; da finden sie immer noch die Forderung nach einer Börsensteuer, aber nichts von einer Finanztransaktionssteuer. Im übrigen ist es auch so, dass wenn man sich mal anschaut, wie die SPD sich da in den vergangenen Jahren verhalten hat, man sich schon wundern muss, mit welchem Mut sie hier Ratschläge erteilt. Die SPD hat Griechenland in die Euro-Zone gelassen, dazu sagt Hans Eichel heute, das war ein Fehler. Dann hat die SPD den Bruch des Stabilitätspakts 2004 zugelassen; da sagt Martin Schulz heute, das war ein Fehler. Wenn die SPD heute den Fiskalpakt verhindern will, dann weiß ich schon ganz genau, dass Herr Steinmeier und Herr Gabriel in wenigen Jahren auch sagen würden, das war ein Fehler. Also ich glaube, wir sollten diese parteipolitischen Spielchen bei so wichtigen Fragen lassen und uns darüber einigen, wie können wir effektiv zu einer Entschleunigung der hoch riskanten Geschäfte an den Finanzmärkten kommen. Aber das, was wir an Erfolgen haben, das, was wir an Erfolgen in Brüssel durchgesetzt haben, das sollten wir in trockene Tücher bringen und da sollte die SPD kein parteipolitisches Süppchen drauf kochen.

    Barenberg: Und besonders deswegen müsste Sie doch ärgern, dass Finanzminister Schäuble jetzt auf europäischer Ebene Druck macht und neun Finanzminister auf der Seite hat, die insgesamt diese Steuer fordern. Das können die ja auch alleine machen zur Not.

    Graf Lambsdorff: Ja, also ich schätze Herrn Schäuble persönlich außerordentlich. Er ist als Koalitionspartner nicht immer einfach, und das zeigt auch dieser Brief. Es ist vollkommen klar, dass die Bundesregierung in Brüssel geschlossen auftreten muss. Das heißt, es wird eine solche Steuer mit Deutschland nur dann geben, wenn die FDP zustimmt, und die Haltung meiner Partei habe ich Ihnen ja gerade erläutert.

    Barenberg: Der FDP-Europaparlamentarier Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Danke schön!

    Graf Lambsdorff: Ich danke Ihnen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.