Samstag, 20. April 2024

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Lambsdorff kritisiert Verschleierungstaktik im Fall Yukos

Christine Heuer: Mehr als Aktionär bei Yukos ist die Menatep-Gruppe, sie hat die richterlichen Verfügungen in den USA erstritten und den Erwerbern von Yuganskneftegas sowie ihren Finanziers mit Klagen gedroht. Menatep hat eine Reihe erfahrener und prominenter Berater, einer von Ihnen ist jetzt am Telefon mit uns verbunden, Herr Otto Graf Lambsdorff. Herr Lambsdorff, wissen Sie, wer sich hinter der Baikalfinanzgruppe verbirgt?

Moderation: Christine Heuer | 20.12.2004
    Otto Graf Lambsdorff: Nein, keine Ahnung. Diese Gesellschaft ist vor wenigen Tagen überhaupt erst registriert. Irgendwelche Finanzmittel die sie haben könnte, sind nicht bekannt, und eine Gesellschaft, die über Nacht registriert wird und dann in der Lage ist, Milliarden Dollar in einer Auktion zu bieten, das ist einmal eine Absurdität, zum Anderen aber natürlich eine Scheingründung, irgend eine Gründung, die vermeiden soll, dass Gasprom selber oder der russische Staat als Ersteigerer in Erscheinung treten.

    Heuer: Das heißt, Sie halten die Spekulationen für wahrscheinlich, dass der russische Staat oder eben Gasprom tatsächlich dahinter stecken?

    Lambsdorff: Es gibt gar keine andere Möglichkeit in meinen Augen und ich glaube, ich bin da völlig in Übereinstimmung mit dem, was eben gesagt worden ist. Ich gucke auch heute morgen durch die Presse, die internationale Presse, überall die selbe Vermutung.

    Heuer: Wie überrascht waren Sie denn, dass Gasprom das Yukos-Kernstück nicht ersteigert hat?

    Lambsdorff: Vollständig überrascht. Niemand kannte ja den Namen Baikalfinanzgruppe bisher und jeder hatte damit gerechnet, dass in dieser unrechtmäßigen Versteigerung, das muss ich hinzufügen, Gasprom den Zuschlag erhalten würde. Aber Gasprom ist natürlich vorsichtig geworden, der russische Staat auch durch das Urteil des amerikanischen Insolvenzgerichtes in Huston, denn die rechtlichen Konsequenzen für den Ersteigerer sind gewaltig und vor allem, wenn er Vermögen im Ausland hat, auf das man bei Schadensersatzansprüchen zugreifen könnte. Ich glaube, dass dieser Umweg nicht helfen wird. Die amerikanischen Gerichte werden sich nicht derartig an der Nase herumführen lassen und die Gläubiger, die im Ausland sitzen, vor allem die Aktionäre von Menatep, die hier geschädigt werden, werden das ebenfalls nicht tun.

    Heuer: Gasprom ist vorsichtig geworden, sind dies auch seine Finanziers? Die Deutsche Bank hat ja angeblich einen Kredit für die Ersteigerung zurückgezogen.

    Lambsdorff: Das ist auch nicht bekannt geworden, aber alles das wird natürlich bekannt. Es darf sich keiner dem Irrtum hingeben, dass das etwa alles verdeckt bliebe, insbesondere die Finanzierungsseite. Wenn amerikanische Gerichte in der Tat diese Klagen, die angedroht worden sind, annehmen werden und das ist nach der Entscheidung des Insolvenzgerichtes ja nicht mehr unwahrscheinlich - die amerikanischen Gerichte bejahen ihre Zuständigkeit - dann kommt es zu dem schönen und gefürchtetem Stichwort "discovery" und das heißt, dann müssen die internationalen Banken, voran natürlich der Konsortialführer, das ist die Deutsche Bank, offen legen, was hier geschehen ist. Die Deutsche Bank ist sicherlich sehr vorsichtig geworden. Die Deutsche Bank weiß, wenn sie ein amerikanisches Gerichtsurteil missachtet hätte, dass sie dann große Gefahren läuft, in Amerika sogar die Banklizenz zu verlieren, also content of call, das heißt Missachtung von Gerichtsentscheidungen. Das wird die Leitung der Deutschen Bank nicht riskieren und sie hat es sicherlich auch nicht getan. Sie wird sehr vorsichtig geworden sein. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das Finanzierungsangebot zurückgezogen worden ist. Es wird ihr nichts helfen, da bin ich ziemlich sicher, wenn das Finanzierungsangebot jetzt so für die Baikalfinanzgruppe gegeben worden ist, denn damit bleibt die Versteigerung so unrechtmäßig, wie das bis jetzt schon der Fall in den Augen des amerikanischen Insolvenzgerichtes ist.

    Heuer: Sie schließen also nicht aus, das Menatep tatsächlich Klage einreicht, auch gegen die Deutsche Bank?

    Lambsdorff: Ich bin gänzlich sicher, wenn da eine Finanzierung gemacht worden ist, dann wird Menatep sehr genau prüfen und sehr genau überlegen, ob sie das Bankenkonsortium, und natürlich in erster Linie die Konsortialführung, Schadensersatz in Anspruch nehmen wird.

    Heuer: Schadensersatzklage auch gegen die Baikalfinanzgruppe oder gibt es da noch andere Wege?

    Lambsdorff: Das kann man jetzt noch nicht sagen. Die Baikalfinanzgruppe ist ja etwas, was man überhaupt nicht kennt und vermutlich ist die auch, wie ich das so schön in meiner juristischen Ausbildung gelernt habe, gesetzlich eingerichtet, das heißt, da ist gar kein Vermögen, außer diesen Milliarden, die sie wahrscheinlich irgendwo gepumpt hat und mit denen sie jetzt das Kernstück von Yukos erworben hat. Sonst ist diese Gesellschaft ja gar nicht bekannt. Mehr kann man im Augenblick nicht sagen, aber ich sage noch einmal: Das sind alles Absurditäten und Kunststücke, die sich die russische Führung in diesem Zusammenhang erlaubt, mit der sie glaubt, sie könne damit wegkommen. Das wird nicht geschehen. Die Dinge werden offengelegt werden, die Dinge werden bekannt werden und erst dann kann man eine abschließende rechtliche Prüfung vornehmen, was den Menatep-Aktionären und der Gesellschaft Menatep zu tun übrig bleibt.

    Heuer: Heute treffen sich ja Vladimir Putin und Gerhard Schröder in Deutschland. Was erwarten Sie bei dieser Gelegenheit vom Bundeskanzler in Sachen Yukos?

    Lambsdorff: Ich kann nur sagen, das absurdeste zu dem Thema, was ich gehört habe gestern, war die Nachricht aus dem Kanzleramt oder aus dem Presseamt, der Bundeskanzler werde das Thema Yukos mit Herrn Putin nicht ansprechen. Alle Zeitungen sind voll davon und alle Nachrichtensendungen sind voll davon. Wir beide würden hier nicht miteinander telefonieren, wenn nicht gestern die Ersteigerung gewesen wäre. Das ist ja geradezu lachhaft, so etwas in die Welt zu setzen. Er muss natürlich, er wird auch mit Herrn Putin darüber sprechen, aber er wird ihn vermutlich darin bestätigen, eine große Gesellschaft aufzubauen, das war ja schon bisher die Linie des Kanzlers und er wird meinen, dass das im deutschen Interesse läge und das Deutschland in größerem Umfange Energie aus Russland beziehen sollte. Davor kann ich langsam nur warnen. Der Grad der Abhängigkeit, insbesondere bei dem Gas, hat ein Ausmaß erreicht, das wir jedenfalls in früheren Regierungen, auch unter sozialdemokratischen Bundeskanzlern - ich erinnere an Helmut Schmidt - niemals akzeptiert hätten. Wir dürfen uns nicht erpressbar machen. Die Deutschen Energieunternehmen sind klug genug, die Aufforderung des Kanzlers, "Investiert doch mal schön ins russische Erdgasgeschäft", nicht noch immer zu dem zu eigen zu machen. Sie gehen nach Norwegen, sie suchen sich andere Quellen für die Energieversorgung Deutschlands. Und das ist auch völlig richtig. Unternehmen können sich nicht nach Investitionsempfehlungen von Regierungen richten, denn wenn die schief gehen, ist keine Regierung mehr zu sehen, die hilft ihnen nicht. Die Unternehmen müssen ihre Investitionsentscheidungen selber treffen, weil nur sie sie selber zu verantworten haben. Das ist Marktwirtschaft.

    Heuer: Gerhard Schröder sagt ja, er wolle den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands helfen. Schadet er ihnen in Wahrheit aus Ihrer Sicht?

    Lambsdorff: Wenn er diese Aktion unkommentiert rübergehen lässt, dann schadet er nicht nur den deutschen wirtschaftlichen Interessen, dann schadet er natürlich auch der Rechtsordnung in Europa, dann schadet er rechtmäßigen Beziehungen. Er muss seinem Gesprächspartner Putin klar machen, dass dies in Deutschland kritisch gesehen wird, dass hier Rechtsverstöße vorliegen, dass sich wirklich die Balken biegen. Das fängt ja mit dem Verfahren gegen Chodorkowski an, die Behinderung der Verteidigung und ich weiß nicht was alles und dass auch dieses hier ein höchst dubiöser Vorgang ist. Das kann nicht sein, dass das einfach überhaupt nicht behandelt wird in zwei Tagen Gesprächen zwischen dem russischen Präsidenten und dem deutschen Bundeskanzler und es kann auch nicht sein, dass das unkritisch über die Bühne geht.

    Heuer: Nun muss es ja nicht sein, dass Schröder Yukos unkommentiert lässt, aber er setzt dabei, sagt er jedenfalls, immer auf stille Diplomatie. Ist das nicht Erfolg versprechender, als lauter Protest?

    Lambsdorff: Nein, das ist nicht Erfolg versprechender. Das sieht man doch, dass es nichts geholfen hat. Wenn er stille Diplomatie geübt hat, und ich will ihm das ja glauben, ich bin ja nicht in der Lage, am Wort des Bundeskanzlers zu zweifeln, tue ich auch nicht, aber wenn er stille Diplomatie geübt hat, was ist denn dabei herausgekommen? In dieser Frage, über die wir hier heute sprechen, gar nichts. Das hat überhaupt nichts bewirkt. Entweder hat es stille Diplomatie nicht gegeben, er sagt das Gegenteil, gut ich akzeptiere das, dann muss er aber zur Kenntnis nehmen, dass es überhaupt nichts hilft. Das ist ja in anderen Teilen der Welt ganz genau so. Was nutzt denn stille Diplomatie den Tibetern, wenn das in China besprochen wird, aber alles immer nur schlimmer wird und jedenfalls nicht besser.

    Heuer: Womit, außer mit Worten, könnte denn die Bundesregierung Druck ausüben?

    Lambsdorff: Wir wollen keinen Druck ausüben. Das halte ich nicht für ein richtiges außenpolitisches Mittel im Umgang mit unserem russischen Nachbarn. Wir können immer nur sagen, wenn ihr gute Beziehungen zum Westen haben wollt, dann seid in Russland bitte friedliebend, demokratisch, dem Rechtstaat verpflichtet und marktwirtschaftlich. Nichts wäre mir lieber, als ein solches Russland.