Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Lammert: Westliche Gesellschaft muss zu ihren Werten stehen

Die Islam-Konferenz in Berlin soll nach Ansicht von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) dazu dienen, dass Muslime und Nicht-Muslime in Deutschland sich auf der Basis des Grundgesetzes verständigen. Es müsse klar werden, welche verfassungsmäßigen Grundlagen in der Bundesrepublik bestünden, sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk.

27.09.2006
    Bettina Klein: Idomeneo, die Oper von Wolfgang Amadeus Mozart. Idomeneo, der kretische König, der aufbegehrt, gegen die Götter, die von ihm verlangen, seinen Sohn zu opfern. Idomeneo, die Inszenierung von Hans Neuenfels an der Oper Berlin, mit abgeschlagenen Köpfen der großen Religionsbegründer. Protest im Saal hatte es auch bei Jesus gegeben, doch christliche Proteste waren nicht der Anlass dafür, dass die Oper nun abgesetzt wurde, sondern die Warnungen des Landeskriminalamtes Berlin vor möglichen empörten Reaktionen auf muslimischer Seite. Kaum jemand konnte gestern die Entscheidung der Intendantin nachvollziehen, sie wird allerdings wohl den Diskussionen auf der Islamkonferenz heute eine weitere Frage hinzufügen: Wie weit müssen wir die Freiheit der Kunst in unserem Land aufgeben, um die Gefühle der Muslime hierzulande und anderswo nicht zu verletzten. Das Unverständnis gestern ging nahezu quer durchs politische Spektrum, Polizeipräsident und Kultursenator von Berlin stellten sich allerdings hinter die Intendantin und halten die Absetzung der Oper für verantwortungsvoll. Kirsten Harms selbst weißt darauf hin, wenn sie die Warnung ignoriert hätte und es wäre etwas passiert, so Frau Harms, dann hätte ihr jeder vorgeworfen, sich einfach über die Warnungen hinweggesetzt zu haben. Über die Fragen, die sich in diesem Kontext stellen, auch vor dem Hintergrund des heute beginnenden Islamgipfels in Berlin, möchte ich jetzt sprechen mit dem Präsidenten des Deutschen Bundestages, mit Norbert Lammert, CDU. Guten Morgen, Herr Lammert.

    Norbert Lammert: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Zunächst einmal die Frage: Halten Sie die Entscheidung für richtig?

    Lammert: Nein, ich halte sie selbstverständlich auch nicht für richtig. Aber das hat nun eigentlich nahezu jeder kritisiert, wobei ich mir manchmal wünschen würde, dass die Grundsatztreue, die da jetzt in dieser Kritik zum Ausdruck kommt, die ja fast schon den Charakter einer Klassenkeile angenommen hat, früher in der öffentlichen Diskussion deutlicher geworden wäre.

    Klein: Wo haben Sie die vermisst, diese Grundsatztreue?

    Lammert: Wir haben ja den letzten, vergleichsweise auffälligen Vorgang im Zusammenhang mit dem Karikaturenstreit gehabt. Und es kann leider keine Rede davon sein, dass es in dieser Gesellschaft ein ganz selbstverständliches, gemeinsames Aufbäumen zugunsten des Prinzips von, in diesem Fall Pressefreiheit gegeben hätte. Sondern es hat sich inzwischen, im Laufe der letzten Monate und Jahre, ein Reflex entwickelt, dass bei heftigem Anmelden von Protesten eher Einknicken als Standhaftigkeit das typische Verhaltensmuster geworden ist.

    Klein: Haben Sie eine Erklärung dafür, weshalb das jetzt anders ist?

    Lammert: Ja, da bin ich ein bisschen vorsichtig, mit einer Rundum-Erklärung aufzuwarten. Wenn es denn das erste Indiz dafür wäre, dass nun ein Umdenken eingesetzt hat, dass sich diese Gesellschaft zu ihren eigenen Prinzipien bekennen muss, dass der viel beschworene Dialog der Kulturen - für den ich selbstverständlich wie jeder andere vernünftige Mensch auch bin - nicht bedeuten kann, dass diese Gesellschaft im Ergebnis ihre eigenen Überzeugungen aufgibt, weil gegen diese Überzeugung auch andere geltend gemacht werden, dann könnte man das nur begrüßen. Aber ob dies eine zutreffende oder vielleicht nur eine Wunschvorstellung ist, das wissen wir im Augenblick sicher noch nicht ganz verlässlich.

    Klein: Aber ich verstehe Sie richtig, dass Sie der Meinung sind, wir dürfen auf keinen Fall die Freiheit der Kunst preisgeben, auch wenn wir dafür vielleicht mehr Achtung vor den Religionen bekommen und weniger Auseinandersetzungen mit muslimischen Verbänden, vielleicht.

    Lammert: Es kann ja keine Rede davon sein, dass die Achtung für unsere Kultur dadurch wüchse, dass wir solchen Vorhaltungen, Erwartungen oder Vorwürfen nachgäben. Im Gegenteil, ich habe den begründeten Eindruck, dass der Respekt vor der westlichen Zivilisation in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen ist in der islamischen Welt, weil dort der Eindruck entstanden ist, diese Kultur steht nicht mehr zu sich selbst.

    Klein: Inwiefern muss dieses stehen zu sich selbst, zu unserer Kultur, auch zu Werten, für die unsere Vorfahren teilweise über Jahrhunderte gekämpft haben, wie die Meinungs- und Presse- und Kunstfreiheit etwa, inwiefern muss dieses dazu stehen auch Eingang finden in die Diskussionen, die heute beginnen sollen, mit der Islamkonferenz?

    Lammert: Ich habe keinen Zweifel daran, dass dies eine der wesentlichen Zielsetzungen ist, die den Innenminister veranlasst haben, diese Konferenz überhaupt einzuberufen. Wobei ja wahr ist, dass der notwendige, gründliche, regelmäßige, offene Dialog mit den muslimischen Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land das große organisatorische Handicap hat, dass es eine von allen akzeptierte und deswegen auch identifizierbare Autorität in der islamischen Welt nicht gibt. Und noch weniger natürlich für die hier in Deutschland bei uns lebenden Muslime.

    Klein: Aber ganz praktisch: Wohin soll denn dieser Dialog führen, wenn wir nicht ausschließen können, dass bei ähnlichen Anlässen in näherer und fernerer Zukunft sich Ähnliches ereignen wird? Dass nämlich das LKA herausfindet, es drohen Proteste, vielleicht sogar gewalttätige Proteste, und daraufhin die Frage sich stellt, wie gehen wir jetzt damit um, wie reagieren wir darauf.

    Lammert: Nun dürfen wir ja auch nicht den Eindruck entstehen lassen, als gäbe es solche Anknüpfungspunkte oder Anhaltspunkte für problematisches Verhalten will ich jetzt einmal ganz generell sagen, überhaupt nur aus diesen Teilen unserer Gesellschaft. Das kann es auch anderswo geben und deswegen muss man jetzt auch dem Eindruck vorbeugen, es handle sich hier um eine exklusives Problem, das wir ausschließlich aus dem Bereich der muslimisch geprägten Teile unserer Gesellschaft hätten. Im Übrigen, worum es ganz sicher nicht geht, bei dieser Konferenz, ist gewissermaßen gemeinsam mit Klageführern eine Überarbeitung unserer Verfassung, unseres Grundgesetzes vorzunehmen, sondern ganz im Gegenteil, deutlich zu machen, was die zentralen Grundlagen, nicht nur die zentralen verfassungsrechtlichen Festlegungen, sondern auch die dieser Gesellschaft zugrunde liegenden kulturellen Überzeugungen und Orientierungen sind, und gemeinsame Strategien dafür zu entwickeln, dass dies auch ganz selbstverständlicher Bestandteil der Orientierungen all der Menschen ist, die in dieser Gesellschaft leben. Und ich habe im Übrigen gar keinen Zweifel daran, dass es viele Persönlichkeiten aus dem muslimischen Bereich gibt, die an dieser Zielstellung gemeinsam arbeiten wollen. Deswegen hat der Innenminister auch, mit vollem Recht, wie ich finde, neben einer ganzen Reihe von muslimischen Organisationen auch Einzelpersönlichkeiten eingeladen, die sich seit Jahren, zum Teil mit bewundernswertem Einsatz, um genau diese Vermittlung bemühen.

    Klein: Was wäre für Sie ein konkretes Beispiel für ein gelungenes Ergebnis einer solchen ersten Konferenzrunde heute?

    Lammert: Ja, ich glaube, man erleichtert jetzt die Bemühungen aller Beteiligten nicht, wenn möglichst viele, die selber nicht an dieser Konferenz teilnehmen, von außen zusätzliche Hürden aufrichten oder die Maßstäbe definieren, an denen Erfolg zu messen ist. Ich finde es schon sehr klug, dass der Innenminister nicht eine Konferenz einberuft, bei der heute Mittag, oder heute Nachmittag gewissermaßen die ersten Ergebnisse verkündet werden sollen, sondern dass er sich das ausdrücklich als einen mittleren und längerfristigen Prozess vorstellt, wo auch über Arbeitsgruppen gemeinsam an konkreten Themen gearbeitet werden soll. Und da ist etwa die Frage der Gestaltung des Schulunterrichts, das nach wie vor beachtliche Problem, dass muslimische Kinder, insbesondere Mädchen, an Teilen des Unterrichts nicht teilnehmen dürfen, dass unter ausdrücklichen oder mit vorgetäuschten Gründen die Teilnahme am Sportunterricht verweigert wird. Wir brauchen ganz dringend konkrete Vereinbarungen darüber, dass, und unter welchen Voraussetzungen, an deutschen Schulen Islamunterricht erteilt wird. Wir brauchen Vereinbarungen und belastbare Regelungen dafür, dass Imame in Deutschland ausgebildet werden und deswegen - mit dieser ganz selbstverständlichen Mindestvoraussetzung, Kenntnis von der Gesellschaft zu haben, in der sie selbst und die Leute leben, denen sie Lebenshilfen vermitteln sollen - dann ihre Predigten möglichst in Deutsch in Zukunft in Moscheen auf deutschem Boden vortragen. Also es mangelt nicht an konkreten Anliegen, mit denen sich diese Konferenz auseinandersetzen soll.

    Klein: Norbert Lammert war das, Präsident des Deutschen Bundestages, heute morgen im Deutschlandfunk.