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Landärztemangel
Im Trabbi zum Patienten

Fast 100 Landärzte fehlen in Brandenburg, gerade in ländlichen Gebieten herrscht ein extremer Medizinermangel. Kommt doch ein Arzt vorbei, wird er empfangen wie ein Filmstar. Der gebürtige Libanese Amin Ballouz fährt seit fünf Jahren mit seinem Trabbi über die Dörfer und nimmt Blut ab, misst den Puls, verschreibt Tabletten.

Von Sandra Voß | 11.10.2016
    Landarzt Amin Ballouz in seinem Trabbi.
    Landarzt Amin Ballouz fährt in Brandenburg mit seinem Trabbi über die Dörfer, um die Patienten zu versorgen. (picture-alliance / dpa - Rolf Kremming)
    "Na, Spiegelei braten für den Doktor. Der hat schließlich noch nicht gegessen. Die Uhr ist halb zehn schon, wird Zeit, dass er Abendbrot kriegt."
    Der Doktor, für den das köstliche Spiegelei als Beilage zum Heringssalat gebraten wird, ist Amin Ballouz. Der kleine, dunkelhaarige Allgemeinmediziner ist der Star in der ländlichen Umgebung von Schwedt. Denn der aus dem Libanon stammende Arzt macht Hausbesuche und schaut persönlich nach seinen Patienten. Wie nach Hans Scheffer, dessen Herz nicht so richtig gut funktioniert. Doktor Ballouz ist 20 Kilometer gefahren, um zu schauen, ob der Patient noch Wasser in den Beinen hat.
    "Jetzt eben hat er mir die Füße gezeigt und die sind wirklich wesentlich besser geworden. Der Umfang war wirklich riesig. Und jetzt ist kann man sagen, ist kaum Wasser drin, auch keine Dellen."
    Hans Scheffer ist froh über die medizinische Betreuung durch den Doktor. Denn der 80-Jährige hätte den Weg nach Schwedt nicht geschafft. Doch den in Königsberg geborenen Patienten verbindet mehr als Dankbarkeit mit dem Libanesen.
    Vom Flüchtling zum Landarzt
    "Er ist genauso Flüchtling wie ich. Wir wurden 1948 von Stalin rausgeschmissen aus unserer Heimat und er musste rausgehen, als seine Heimat im Krieg lag. Um sein Leben zu retten, ist er da abgehauen. Bei uns war es ein Befehl und da war es der Krieg. Das ist im Grunde genommen dasselbe, wir sind beide Flüchtling und mussten uns irgendwo auf der Welt eine Bleibe suchen und mussten unser Leben gestalten. Und das haben wir denke ich gemacht."
    Während die Männer genüsslich zu Abend essen, erinnert sich auch der Arzt an seine Flucht. Er ist als 16-Jähriger aus dem bombardierten Beirut mit dem Schiff nach Ägypten geflohen.
    "Die Leute saßen auf dem Schiff, es gab keine Kabinen oder so. Und das Wasser kam immer rauf und runter und dann gab es eine Hysterie und Geschrei, und dann sind ein paar Leute sind ins Wasser geflogen und keiner hat es mitbekommen oder wollte es nicht mitbekommen."
    Dann, nach dem Schulabschluss in Ägypten, kommt Amin Ballouz durch Kontakte seines Vaters 1975 nach Berlin. Auch hier erlebt er einen Schock.
    "Mit Deutschland verbinden wir immer dieses schöne Leben und dass die Straßen voll sind mit diesen schönen Mercedes-Fahrzeugen und das hab ich in Berlin nicht gesehen. Und da wusste ich nicht, wo ich bin, weil uns nie bekannt war, dass Deutschland in dieser Form geteilt ist, dass es Ost und West gab. Deutschland war für uns immer Deutschland und im Nachhinein habe ich dann erst erkannt, dass ich in Ostberlin gelandet bin."
    Erinnerungen an alte Zeiten
    Amin Ballouz bleibt in Ost-Berlin und studiert später in Halle Medizin. Jetzt ist es Zeit, um aufzubrechen und zum nächsten Patienten zu fahren. Um von einem Ort zum anderen zu kommen, benutzt Amin Ballouz einen hellblauen Trabi.
    "Überall wo ich hingehe, da kommen Erinnerungen von alten Zeiten, ach wir waren mit diesem Wagen an der Ostsee oder wir waren mit den Kinder in Ungarn oder wir haben das und das gemacht und alles über das Auto, man kommt also wirklich in ein Gespräch. Und ich habe jede Menge Ersatzteile bekommen und jede Menge Freunde bekommen und die gucken nach meinem Auto und ich gucke nach deren Gesundheit. Das ist auch schön so."
    Landarzt Amin Ballouz
    Landarzt Amin Ballouz pflegt einen herzlichen Umgang mit seinen Patienten. (Deutschlandradio/Sandra Voss)
    Doktor Amin Ballouz hat es geschafft. 1990 nimmt er die deutsche Staatsbürgerschaft an. Seitdem fühlt und denkt er als Deutscher. Er hat hier viele Freunde und Vertraute. Anfeindungen und Hass erlebt er nicht. Wenn er könnte, würde er den Flüchtlingen in seiner Praxis gerne sein Geheimnis für eine gelungene Integration per Rezept verordnen: Lernt die deutsche Sprache, lebt und handelt nach den deutschen Wert, lasst Eure Frauen arbeiten und studieren. Für eine langfristige Lösung, für einen Frieden in seiner Heimatregion wünscht sich der gebildete Mann, dass alle Religionen die heilige Schrift genau lesen:
    "Es steht nirgendwo in der Bibel oder im Koran oder in der Thora geschrieben, ihr sollt Euch schlachten wie die Hühner. Das erste Wort, was auch im Koran geschrieben steht, heißt Ikra, I-K-R-A und das heißt: Lerne und bilde Dich fort."