Weltkriegsgedenken in Russland

Arbeit am "Denkmal für den sowjetischen Soldaten"

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Der russische Bildhauer Andrei Korobtsov posiert in lockerer Haltung neben dem Kopf eines Denkmals. Der Kopf ist sichtlich größer als er selbst.
Andrej Korobzow und der Kopf seines "Denkmals für den sowjetischen Soldaten" - hier in einer Aufnahme vom Herbst 2019. © imago/ITAR-TASS/Vyacheslav Prokofyev
Von Gesine Dornblüth · 07.05.2020
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In Russland feiert man das Ende des Zweiten Weltkriegs am 9. Mai. In diesem Jahr war ursprünglich geplant, Andrej Korobzows "Denkmal für den sowjetischen Soldaten" in Rschew zu enthüllen. Corona hat das nun verschoben - vorerst.
Andrej Korobzows Atelier liegt auf einem Fabrikgelände in Moskau. Der Raum ist klein. Überall stehen Modelle. Eines zeigt einen Soldaten mit Gewehr. Sein Umhang scheint zu zerfallen, daraus lösen sich Vögel.
"Der Architekt Konstantin Fomin und ich wollten ein Abbild der Seele schaffen. Es ist ein unbekannter Soldat. Seine Seele ist über dem Schlachtfeld aufgestiegen und im Begriff, mit den Kranichen davonzufliegen. Der Kranich ist das Symbol des gefallenen Soldaten. Das war schon lange so. Mit dem Großen Vaterländischen Krieg hat sich das Symbol noch gefestigt."
Der Große Vaterländische Krieg – so hieß der Zweite Weltkrieg in der Sowjetunion und so nennen ihn die Russen bis heute.

Die neue Individualisierung des Gedenkens

Es ist Ende 2018. Andrej Korobzow ist zu diesem Zeitpunkt fast mit dem Modell fertig. Gebaut wird es später in einer Höhe von 25 Metern in der Stadt Rschew westlich von Moskau:
"Bei Rschew gab es damals vier große Militäroperationen. Sie forderten mehr als anderthalb Millionen Tote und Verwundete. Es heißt, die Kriegsführung dort war schlecht. Deshalb wurde lange nicht über diese Schlachten gesprochen, deshalb erinnerten bisher keine Denkmäler an sie."
Zu dem Denkmal in Rschew gehört ein Museumskomplex. Auf Platten sind die Namen der Gefallenen eingelassen. Das ist eine neue Entwicklung. Bisher blieb das offizielle Gedenken anonym. Doch der Wunsch nach einer Individualisierung des Gedenkens wächst.
Das Staatsfernsehen blendete im Vorfeld des 75. Jahrestages ein Schriftband mit den Namen der Millionen Toten ein. Es lief Wochen. Seit einigen Jahren schon tragen Menschen durch die Straßen im ganzen Land am 9. Mai, dem Tag des Sieges, Bilder ihrer Vorfahren, die den Zweiten Weltkrieg erlebten. "Bessmertnyj polk" heißt die Aktion, "Unsterbliches Regiment". In diesem Jahr muss es allerdings wegen der Coronapandemie ausfallen.

Identifikation mit der Sowjetunion

Das Denkmal von Rschew hat die einflussreiche Russländische Militärhistorische Gesellschaft in Auftrag gegeben. Deren Vorsitzender, der ehemaliger Kulturminister Wladimir Medinskij, ist für seine konservativ-patriotischen Einstellungen bekannt. Für den Auftraggeber musste er einiges an dem Entwurf abändern, erzählt der Bildhauer Korobzow. Vor allem die Kleidung. Der Soldat trägt ein sowjetisches Militärhemd. Ursprünglich war es ein Mantel.
"Mäntel ähneln einander. Wenn sie nicht farbig sind, kann man sie keiner Armee zuordnen. Und Schulterklappen gab es zu der Zeit noch nicht. Es gab keine Erkennungszeichen."
Der Soldat sollte aber eindeutig als sowjetischer Soldat erkennbar sein. Denn auch darum geht es im Weltkriegsgedenken in Russland: um Identifikation mit der Sowjetunion.

Russland errichtet zahlreiche Militärdenkmäler

Andrey Korobzow wurde erst am Ende der Sowjetunion geboren. Er beschreibt sich selbst als patriotischer Künstler: "Patriotismus heißt, dein Land zu lieben. Und alles dir Mögliche zu tun, damit es aufblüht."
Er zeigt die Skulptur eines Schäferhunds, es ist eine seiner Lieblingsarbeiten. Das Tier trägt einen Gürtel um den Bauch: Sprengstoff. Ein Panzerabwehrhund. Das Denkmal steht im Siegespark, einem monumentalen dem Zweiten Weltkrieg gewidmeten Erinnerungskomplex in Moskau.
"Im Großen Vaterländischen Krieg haben Hunde mehr als 300 Panzer gesprengt und 700.000 Verwundete gerettet."
Zwischen Soldaten und Kämpfern finden sich in Korobzows Atelier auch einige Abbildungen von Ballerinen. Seine Frau tanzt am Bolschoi-Theater. Und er räumt ein:
"Zurzeit werden sehr viele Denkmäler zu militärischen Themen errichtet. Ich hätte gern, dass mehr Denkmäler für Kulturschaffende, für Dichter, für Komponisten aufgestellt würden. Das passiert, scheint mir, zu selten."

Die Enthüllung des Denkmals ist vertagt

Doch derzeit arbeitet Korobzow schon wieder an einem Denkmal für einen Soldaten: Diesmal für Pjotr Kotljarevskij, einen General, der Anfang des 19. Jahrhunderts für den russischen Zaren Teile des heutigen Aserbaidschans eroberte. Auch das eine Auftrag der Militärhistorischen Gesellschaft.
Dafür pendelt Korobzow, trotz Corona, zwischen Wohnung und Atelier. Am Samstag will er hinausfahren nach Rschew. Die Enthüllung seines Denkmals ist zwar auf unbestimmte Zeit verschoben, der riesige Soldat noch unter einer Plane versteckt. Aber auch wenn dort am Tag des Sieges keine Feier stattfinde, er habe das Gefühl, sagt Korobzow, er müsse an diesem Tag, dem 9. Mai, dort sein.
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