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Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten
Seit dem Start im Krisenmodus

2016 wurde das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten konzipiert, nachdem Berlin bei der Versorgung der Geflüchteten bundesweit für Negativschlagzeilen gesorgt hatte. Jetzt zeigt sich: Auch die neue Behörde funktioniert noch nicht gut - und das von Anfang an. Mitarbeiter fühlen sich systematisch überfordert.

Von Daniela Siebert | 06.11.2017
    Am Eingangsbereich des neuen Standorts des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) sind am 16.05.2017 in Berlin Pictogramme angebracht, die die Besucher anweisen, nicht zu Rauchen und keine Waffen mit auf das Gelände zu bringen.
    Im Mai 2017 bezog das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten Räumlichkeiten in Berlin Charlottenburg. (dpa / Maurizio Gambarini)
    Als die Juristin Claudia Langeheine am 1. August 2016 ihr Amt als Chefin der neuen Landesbehörde antrat, verlor sie nicht viele Worte. Aber so viel machte sie klar: Sie wolle ein offenes Ohr für ihr Personal haben.
    "Den Gesprächsfaden mit Ihnen als Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern möchte ich gerne so verstetigen, dass ich quartalsweise Dialogforen anbiete, wo wir uns dann über übergeordnete Themen austauschen, aber auch über die Arbeitssituation, wo sie mir auch dann mal sagen können. Es ist schlimm, dass das Wasser hier in den Teeeküchen nach wie vor nicht genutzt werden kann oder ähnliches, wo sie so der Schuh drückt."
    Die neue Behörde funktioniert auch nicht gut
    Möglicherweise hat die Spitzenbeamtin gewaltig unterschätzt, was da auf sie zukommt. Jedenfalls hat der Personalrat des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten LAF jetzt eine Brandbrief an das Berliner Abgeordnetenhaus geschrieben, der zeigt: Die neue Behörde funktioniert auch nicht gut und das von Anfang an.
    "Es muss festgestellt werden, dass die MitarbeiterInnen seit Gründung des Landesamtes über das erträgliche Maß hinaus belastet sind, wodurch gleichzeitig die Leistungsfähigkeit des Landesamtes abnimmt."
    Geschrieben haben den offenen Brief die beiden Personalräte und Verdi-Mitglieder Nurda Tazegül und Marco Olbrich. Ein Interview wollten sie dazu jedoch nicht geben. Aus ihrem Schreiben geht hervor, was sie für die Ursachen der massenhaften und systematischen Überforderung des Personals halten: zu wenig Personal, zu wenig Neueinstellungen, zu wenige Entfristungen, zusätzliche Verwaltungsaufgaben, Arbeitsverdichtung und eine unzureichende technische Ausstattung.
    Hauptproblem ist die Personalnot
    Mitarbeiter der Behörde wollen sich gegenüber dem Deutschlandfunk zu dem Brief nur anonym und nicht ins Mikrofon äußern. In dem Brief könnte noch viel mehr drinstehen, heißt es da beispielsweise. Man arbeite seit dem Start des LAF im Krisenmodus. Die Papierberge würden ständig größer statt kleiner. Die Flüchtlinge würden davon aber nichts merken, außer dass sie auf alle Entscheidungen länger warten müssten sagt eine Mitarbeiterin aus der Abteilung Leistungsgewährung.
    Andreas Splanemann, Pressesprecher des Verdi-Landesverbandes Berlin kennt die Probleme bei LAF und Lageso seit Jahren.
    "Das Hauptproblem beim Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten ist die Personalnot. Die Personalstärke müsste mindestens um 40 oder 50 Prozent höher liegen, damit es einigermaßen rund läuft. Mir wurde berichtet, dass viele Mitarbeiter 12, 13 Stunden pro Tag arbeiten, um den Anforderungen einigermaßen gerecht zu werden. Das führt natürlich zu erheblichen Problemen, gesundheitliche Ausfälle sind da vorprogrammiert und dann beißt sich Katze in den Schwanz."
    Mitarbeiter schreiben Gefährdungs- und Überlastungsanzeigen
    Die Mitarbeiter schreiben sogar schon Gefährdungs- und Überlastungsanzeigen, um ihre Vorgesetzten und die politisch Zuständigen wachzurütteln.
    "Die ordnungsgemässe Erfüllung der Arbeitsleistung" sei gefährdet, heißt es etwa in einem solchen Brief einer Mitarbeiterin aus dem Bereich "Leistungsgewährung", daraus resultierten Mängel und Fehler. Schäden seien voraussehbar. In ihrem Bereich geht es um so elementare Dinge wie Geld, Unterkunft und medizinische Versorgung der Flüchtlinge. Ihre Arbeitszeit werde unzulässig überschritten meldet die Frau, sie könne weder die Termine noch Qualitätsstandards einhalten. Andreas Splanemann weiß von zahlreichen solcher Meldungen.
    "Wenn jemand eine Gefährdungsanzeige abgibt, das heißt also die Gesundheit des Beschäftigten ist in Gefahr und wenn jemand ständig Überstunden macht, dann auch keine Chance hat, diese Überstunden abzubummeln, und ständig psychisch enorm gefordert ist - und das ist im LAF der Fall - wo hoch problematische Fälle abzuarbeiten sind . Dann werden die Menschen eben krank und wenn sie anzeigen, dass es so weit ist, dass sie nicht mehr können, dann muss man diese Anzeigen natürlich sehr ernst nehmen."
    Mängel bei den Fortbildungen
    Mängel sieht der Gewerkschafter unter anderem auch bei den Fortbildungen der Mitarbeiter, 60 Euro pro Jahr pro Person: Angesichts der komplexen Materie, sei das ein Witz.
    Die Leiterin des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten Claudia Langeheine will sich zu dem offenen Brief des Personalrates nicht äußern. Auch die zuständige Integrations-Senatorin Elke Breitenbach von den Linken winkt ab, die Probleme seien bekannt, man sei darüber im Gespräch mit dem Personal.
    Umso hellhöriger ist die Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus. Cornelia Seibeld zum Beispiel, von der CDU-Fraktion, interpretiert die Situation im LAF gleich als das ganz große Führungsversagen in Berlin und nimmt Michael Müller in die Pflicht.
    "Der regierende Bürgermeister lässt mal wieder einen Senator in einem Ressort mit einer Aufgabe alleine, die eigentlich ein Querschnittsressort ist und eine Chefaufgabe und ein neues Landesamt aufzubauen mit den Problemen, mit zu wenig Mitarbeitern, mit zu wenig qualifizierten Mitarbeitern, das ist eine Aufgabe, der müsste sich der regierende Bürgermeister annehmen, stattdessen lässt er Frau Breitenbach damit alleine, wie er vorher Mario Czaja alleine gelassen hat."
    Mario Czaja von der CDU war in der Vorgänger-Regierung für die Flüchtlinge und den Start des LAF politisch verantwortlich.
    Wohlfahrtsverbände beklagen unbezahlte Rechnungen
    Die FDP reagiert auf den Brief des LAF-Personalrates mit der Forderung nach einem besseren Personalkonzept, auch mit besseren Perspektiven für die Mitarbeiter und mit Leistungsprämien.
    Die AfD sieht sich durch den Brief in ihrer Auffassung bestätigt, Deutschland und insbesondere Berlin seien durch den massenhaften Zuzug von Asylbewerbern strukturell massiv überfordert.
    Auch die Wohlfahrtsverbände, die in ihrer Arbeit mit Flüchtlingen mit dem LAF regelmässig kooperieren müssen, haben sich inzwischen zu Wort gemeldet: Sie beklagen massenhaft unbezahlte Rechnungen. Das Landesamt sei mit Millionensummen säumig. Für 20 der Flüchtlingsunterkünfte in Berlin gebe es noch immer keine Verträge.
    Am Mittwoch findet im LAF eine Personalversammlung statt. Im Dezember wird der neue Berliner Haushalt verabschiedet. Gut möglich, dass der schriftliche Hilfeschrei der LAF-Mitarbeiter dort Wirkung zeigt.