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Landesmuseum Zürich
Die Renaissance in all ihren Facetten

Die Ausstellung "Renaissance in Europa" ist ein programmatischer Neubeginn im Landesmuseum Zürich. Es zeigt diese Kulturepoche mit seinen bedeutenden Umbrüchen, wie etwa der Erfindung des Buchdrucks.

Von Christian Gampert | 30.07.2016
    Mit der Eröffnung des neuen, weiträumigen Museumsflügels erlebt auch das Züricher Landesmuseum eine Art Wiedergeburt. Spektakulär vor allem die kathedralenhohe Treppenflucht im neuen, gefältelten Tuffstein- und Betonbau, der vom Volumen fast für Staatsempfänge geeignet scheint und den historistisch vermurksten Altbau, ein Disney-Stilmix-Märchenschloss, mit modernistischer Kühle konterkariert.
    Spektakulär hoch, nackt, grau und kühl auch die neuen Ausstellungsräume. "Renaissance in Europa" ist ein programmatischer Neubeginn. Da die kunsthistorischen Preziosen der Epoche sich in Italien befinden, wird das Thema hier viel breiter, kulturwissenschaftlicher und auch politischer gefasst. Vom Buchdruck über die Astronomie, von der Architektur bis zur Entdeckung Amerikas erzählt die Ausstellung von einem neuen europäischen Selbstbewusstsein, das im Rückgriff auf die Antike entstand und sich die Rehabilitation der Schönheit aufs Panier geschrieben hatte. Aber nicht nur: Diese Verweltlichung des Denkens, die neue Präsenz des Körperlichen beflügelte die Wissenschaft, die in der Ausstellung mit mechanischen Geräten und Globen, mit Medizintechnik und Vermessungsinstrumenten vertreten ist.
    Renaissance als Vermittlung der Antike
    Am Eingang der Ausstellung steht der Schreibtisch von Jacob Burckhardt. Der Basler Historiker hat die Renaissance in allen Facetten beschrieben. Das will auch die Züricher Ausstellung. Allerdings sind die Thesen auf neuestem Stand: Kriege und Handelsrouten werden gleich im ersten Saal in einer Animation vorgeführt; die Rezeption antiker Autoren und des römischen Rechts wird schon im 11. und 12 Jahrhundert ausgemacht, während man den Beginn der Renaissance normalerweise um 1400 ansetzt. Die Schau betont die Rolle der Araber bei der Vermittlung der Antike – und will dann vor allem mit Objekten argumentieren. Kurator Bernd Roeck:
    "Wir wollen die Kunstwerke zum Sprechen bringen. Wir wollen eine Geschichte erzählen einer großen Kulturepoche, die durch Austausch entstanden ist. Austausch von Ideen, von Objekten, Austausch, der sich entlang von Handelswegen vollzogen hat."
    Die revolutionärste Erfindung der Epoche, Gutenbergs Druckerpresse, ist in einer Nachbildung zu sehen. Ansonsten ist man in Zürich sehr stolz darauf, fast nur Originale zu zeigen. Was vorher nur in handschriftlichen Kopien kursierte - man sieht jede Menge prachtvolle Bücher -, konnte durch Gutenbergs bewegliche Lettern nun massenhaft vervielfältigt werden. Von Skandinavien bis Sizilien kann die Oberschicht Latein, bisweilen auch Griechisch.
    "Man diskutiert, man redet, man liefert sich Konkurrenz um die interessantesten Neuerungen, die interessantesten Kunstwerke. Und daraus entsteht, aus einem kulturellen Treibhausklima heraus, eben dieses Neue, das sich an der Antike orientiert. Aber daraus etwas sehr Eigenständiges entwickelt."
    Kurator Bernd Roeck sieht die Renaissance als Nukleus der europäischen Moderne. Manches spricht dafür, obgleich die Renaissance eine Kultur der Eliten war. Aber nicht mehr nur Kleriker und Mönche, sondern Wissenschaftler, Künstler, Zünfte, Fürsten und Mäzene, das Weltliche also, geben nun den Ton an. An den Höfen hält man sich ein paar Humanisten. Italien ist das übermächtige Zentrum, es entwickelt die auch mathematisch bedeutsame Zentralperspektive; aber die Niederländer untersuchen die Landschaft, die Deutschen revolutionieren das nun realistisch gefasste Porträt. Kopernikus sieht schon die Sonne als Zentrum. Leonardo erkundet den Körper. Man könnte schwärmen von der Rekonstruktion von Leonardo-Bildern, die die Ausstellung auch bietet, von Dürer, Memling, der durch den Holzschnitt ermöglichten Wanderung von Bild-Motiven, der Mechanik der Turmuhren und dem neuen Umgang mit der Zeit. Man steht staunend vor den Widersprüchen: Der Glaube an Gott und die Hölle konnte koexistieren mit der neuen Vermessung der Welt. Man glaubte an die antike Lehre der Körpersäfte und öffnete trotzdem Leichen.
    All das erzählt diese opulente Ausstellung, um uns am Schluss zu desillusionieren: Am Ende der Renaissance stehen klimatisch eine Kältewelle und politisch die Religionskriege, die "spanische Furie" tobt im reformierten Holland. Auf jeden Höhepunkt der Geschichte folgt ein Jammertal.
    Ausstellungsinfos:
    "Europa in der Renaissance – Metamorphosen um 1400 – 1600" im Landesmuseum Zürich