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Landtagswahlen
Kommt Rot-Rot-Grün in Thüringen?

Von Henry Bernhard | 21.08.2014
    "Dann fang ich mal bei der Frau an. Dürfen wir ... Würden Sie Ihre ... Gut."
    Wer die Welt verändern will, muss raus auf die Straße, wer Wählerstimmen haben will, ebenso. Und so steht Dieter Lauinger, Landessprecher der Thüringer Grünen, auf dem Erfurter Anger. Baumwollbeutel gegen Plastiktüten will er tauschen und darauf aufmerksam machen, dass die natürlichen Ressourcen der Erde für dieses Jahr schon verbraucht seien.
    "Dann frage ich ihn: Würden Sie ihre Plastiktüte gegen einen Baumwollbeutel tauschen? Und Sie müssen das da rein leeren! Und ich muss die Plastiktüte entsorgen, das ist Teil des Deals! Sehen Sie: Viel schöner, das können Sie öfter verwenden, und das ist umweltzerstörend. Und wir entsorgen das. Danke!"
    Natürlich steckt im Baumwollbeutel das Wahlprogramm der Grünen. Familienpolitik, Schutz der Umwelt, Bildungsvielfalt, Demokratie. Die Grünen wollen im Landtag bleiben, das ist realistisch, aber nicht sicher; und sie wollen mitregieren.
    "Wenn es am Schluss so ist, dass es für eine Regierungsbildung notwendig ist, auch mit Grünen zu reden, werden wir mit denjenigen reden, die uns dazu einladen."
    Zerreißprobe für die Grünen
    Nur, mit wem sie am liebsten reden würden, das steht nicht im Programm. Die Kandidatenliste hat die Parteispitze so gestaltet, dass eine schwarz-grüne Koalition möglich wäre. Alle Umfragen deuten aber darauf hin, dass dafür keine Mehrheit bei der Landtagswahl zustande kommt. Bleibt die rot-rot-grüne Option unter einem linken Ministerpräsidenten, Bodo Ramelow. Die Grünen wissen, dass das für viele Mitglieder und Wähler ein Affront wäre.
    "Die Grünen heißen ja nicht umsonst Bündnis 90/Die Grünen. Das heißt, wir haben schon auch noch eine relevante Zahl Mitglieder, die aus der Bürgerrechtsbewegung der DDR kommen und die auch völlig zu Recht Dinge ansprechen, die geklärt werden müssen."
    Es geht um Landtagsmitglieder der Linken, die Stasi-Spitzel waren und um das Verhältnis der Linken zur DDR-Vergangenheit. Für manche ältere Grüne eine dicke Kröte, für viele Jüngere kein großes Hindernis. Eine Zerreißprobe wäre es auf jeden Fall für den kleinen grünen Landesverband. Wie schon vor fünf Jahren, als es schon einmal um Rot-Rot-Grün ging. Aber die Stimmung an der grünen Basis hat sich verändert.
    "Wir haben auch 25 Jahre lang CDU-Regierung hier. Und wenn wir das nicht auf Dauer weiter durch unsere Haltung zementieren wollen, dann müssen wir auch bereit sein, über so was nachzudenken. Und dann heißt das, wenn wir uns so positionieren würden, dass wir sagen: Wir wählen keinen Linken, wäre das eine Ämtergarantie für Lieberknecht. Und die werden wir auch nicht geben."
    Und auch, wenn sich die Grünen um keinen Preis festlegen wollen, gibt es doch eine deutliche Tendenz. Astrid Rothe-Beinlich kommt aus der DDR-Bürgerrechtsbewegung und gehört zu den Parteilinken. Sie will einen Politikwechsel in Thüringen, auch mit den Linken.
    "Also, ich sag mal: Die Blockflöten in der CDU sind auch bis heute da, und in der FDP im Übrigen ganz genauso. Es ist eine demokratische Partei. Dass wir mit ehemaligen Stasi-Kadern da wenig anfangen können, ist auch allen hinlänglich bekannt, dazu hat sich die Linke erklärt. Und insofern hoffe ich, dass man trotzdem ein vernünftiges Miteinander irgendwie finden kann, selbstverständlich immer in dem Bewusstsein, dass Aufarbeitung ein großes Thema darstellt."
    Ein linker Ministerpräsident?
    Und da wäre noch die SPD. Von ihr wird abhängen, wer im Herbst in die Thüringer Staatskanzlei einzieht. Noch einmal Christine Lieberknecht oder Bodo Ramelow von der Linken.
    "Ja, die Semmel ein bisschen aufbrechen."
    Heike Taubert ist die Spitzenkandidatin der SPD. Sie zieht zur Zeit mit einem Profi-Griller durchs Thüringer Land und steht selbst am Wahlkampf-Grill. Die traditionell langen Thüringer Würste hat sie geteilt, sodass sie genau ins aufgebrochene Brötchen passen. Bei der Wahl aber will sie keine kleinen Brötchen backen, noch immer behauptet sie:
    "Ich kämpfe um den Sieg und nicht um Umfrage-Ergebnisse."
    Denn die sehen gar nicht nach Sieg für die SPD aus. Knapp 20 Prozent - mehr wird für die SPD kaum drin sein. Da würde im Fall einer rot-rot-grünen Koalition die Linke den Ministerpräsidenten stellen. Heike Taubert weiß:
    "Unsere Genossinnen und Genossen vor Ort haben natürlich sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht, sowohl mit der Links-Partei als auch mit der CDU und den Grünen. Und deswegen tendiert der eine dahin und der andere dahin."
    Ein entschlossenes Sowohl-als-auch der SPD-Spitzenkandidatin zur Koalitionsfrage also. Etwas tiefer in der Hierarche, bei den Abgeordneten, gibt es schon eine Tendenz. Dorothea Marx ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Sie wärmt die Brötchen auf dem Grill an.
    "Wir legen uns ja vorher nicht fest, also wir sind für die Koalition, wo am meisten SPD drin ist. Also von daher sagen wir jetzt nicht vorher, es geht jetzt nur noch rot-rot oder so. Aber ich mein, die CDU hat hier in Thüringen sich den Staat zur Beute gemacht. Wenn die ‚unser Land' sagen, dann meinen die das immer ganz anders als wir. Und wenn ich diesen Satz sage, verstehen den immer alle gleich. Also, es ist vielleicht mal wirklich Zeit für einen Wechsel. Aber es muss natürlich klar sein, dass Demokratie und bestimmte Freiheitsrechte, dass die gesichert werden, auch unter so einer Koalition."
    Sachargumente und Gefühle
    Diese Meinung teilen viele, aber eben nicht alle SPD-Mitglieder. Gerade die Älteren, die die DDR in unguter Erinnerung haben, sind skeptisch. Klaus Roßmeier aus Gotha ist seit 1989 Sozialdemokrat. Er ist entschieden gegen eine Zusammenarbeit der SPD mit den Linken.
    "Wenn ich mir die ganzen Vertreter da angucke, dann ist ein Großteil noch aus der kommunistischen Ära. Sie haben sich nicht geändert, die haben sich gar nicht geändert. Mit der Linken gehen, das sage ich, ist Selbstmord. Weil sie nicht ehrlich sind, die sind nicht ehrlich. Ich mußte in der DDR leben, ich mußte in der DDR alles machen, was die Regierung wollte - ich habe böse Erfahrungen gemacht."
    Die Spitzenkandidatin Heike Taubert kennt solche Befindlichkeiten.
    "Und deswegen plädiere ich dafür, nach der Wahl die Gefühle ein bisschen runterzufahren, die Sachargumente sprechen zu lassen und dann eine Entscheidung zu treffen."
    Die SPD will nach den Sondierungsgesprächen ihre Mitglieder befragen, mit wem sie koalieren wollen. Das Ergebnis ist völlig offen. Und auch, wenn sie sicher keine Ministerpräsidentin wird: Grillen kann Heike Taubert nach diesem Wahlkampf perfekt.