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Landwirtschaft
Ärger über Glyphosat-Berichterstattung - Bauer lädt Journalistin ein

Das Thema Glyphosat erhitzt die Gemüter. Ein Landwirt aus Baden-Württemberg ärgerte sich so vehement über die seiner Meinung nach mangelhafte Berichterstattung, dass er den Deutschlandfunk einlud, sich die Situation doch einmal selbst auf seinem Hof anzuschauen. Ein Ortsbesuch.

Von Susanne Lettenbauer | 09.06.2016
    Die Verpackung eines Unkrautvernichtungsmittel, das den Wirkstoff Glyphosat enthält.
    Die EU-Kommission hat ihre Entscheidung über eine Verlängerung der Zulassung des umstrittenen Herbizids zwar verschoben, in diesem Jahr soll und wird aber über Ja und Nein von Glyphosat entschieden werden. (dpa / picture alliance / Patrick Pleul)
    Kirchberg an der Iller, Am Ried 1 steht ein schmuckes Wohnhaus. Daneben die ehemaligen Stallungen, ein Silo, eine Scheune. Kein großer Bauernhof. Ein Familienbetrieb. Vier Namen stehen an der Hausklingel. Davor wartet er - unser kritischer Hörer: Manfred Koppenhagen, so um die 50 Jahre alt, weißes Hemd, helle Weste, ein wenig untersetzt, abwartendes Lächeln. Dann ein prüfender Handschlag für die Journalistin, die nun wegen seiner Brand-Email nachfragen will: Die Berichterstattung des Deutschlandfunks über Glyphosat sei unerträglich? Jetzt ist der Deutschlandfunk tatsächlich da, weil uns unser Hörer und Kritiker auf seinen "kleinen landwirtschaftlichen Betrieb" eingeladen hat.
    "Sie wollten mal auf den Acker gucken?"
    "Genau."
    "Dann fahren wir mal raus."
    Wir steigen freundlich plaudernd in sein Auto.
    "Da kann ich Ihnen nur ein landwirtschaftliches Nutzfahrzeug bieten."
    "Da hätte ich jetzt aber einen Traktor erwartet."
    "Ah, okay."
    Unser kritischer Hörer wirkt gar nicht mehr verärgert. Keine Vorwürfe, keine Beschimpfung. Nur das Autoradio rauscht und knackt. Seine erste Kritik: Warum man denn in seinem Ort den Deutschlandfunk nur so schlecht empfangen kann? Das müsse man unbedingt ändern, betont er.
    Wir fahren also raus aufs Feld, in terra horroris, an den Ort des Grauens, wo Pflanzen totgespritzt werden, Bienen sterben und der Acker Maximalerträge bringen muss, sagen die Umweltschützer.
    "Das hier ist der Weizen, damit wir mal in das Thema reinkommen."
    Wir gehen ins Feld. Der Weizen steht kerzengerade, dicht an dicht. Pralle Ähren.
    "Wenn Sie hier mal auf den Boden schauen, was sehen sie da?"
    Ich sehe - nichts.
    "Ich sag's Ihnen. Der Unterschied ist der: Der Kollege hier pflügt, althergebracht, wir machen seit 1981, 1982 ohne Pflug."
    Ohne Pflug - praktischer Umweltschutz
    Manfred Koppenhagen baut seit Anfang der 1980er-Jahre auf 70 Hektar lehmig-sandigem Boden verschiedene Feldfrüchte an: Mais, ein wenig Erbsen und Soja, aber vor allem Getreide. Ohne Pflug, für ihn praktischer Umweltschutz. Er vertraut auf Bodenorganismen und Regenwürmer.
    "Wir haben auf einem Quadratmeter, so habe ich es mal gelernt, wir eine Million Unkrautsamen. Wenn ich über eine mechanische Maßnahme ein bis drei Prozent zum Auflaufen bringe, ist noch genügend Potenzial da, was später im Bestand durchwächst."
    Koppenhagen ist ein sogenannter Vermehrer, das heißt er kauft Getreide-Saatgut, sät es aus, erntet und verkauft es wieder als Saatgut. Als Vertragsbetrieb unterliegt er strengsten Kontrollen. Vom örtlichen Landwirtschaftsamt aus der Kreisstadt Biberach wie auch vom Aufkäufer der VO-Firmen, also Vermehrerorganisationen:
    "Die schicken Feldbesichtiger, die den Bestand im Prinzip durchgehen. Der fängt vorne an, geht hinten wieder raus, zählt ab, welche Arten, welches Fremdgetreide, welche Unkräuter und sagt dann: Bestand ist geeignet für die Anerkennung oder nicht."
    Die VO-Firmen prüfen also haargenau, was Koppenhagen ihnen da verkaufen will, sie nehmen nur "deutsche Top-Qualitätsware", sonst nimmt der Kunde das billigere Saatgut aus dem Ausland. Die Konkurrenz ist groß und Glyphosat wird auch in Osteuropa verwendet. Das erwähne man in den Medien nie, kritisiert Koppenhagen:
    "Ganz einfach: Wenn vier fremde Getreidearten oder zwei Unkräuter dazu haben, wenn die Zahl überschritten wird, dann wird der Bestand aberkannt, das heißt ohne Erfolg besichtigt und damit ist das Thema Saatgut erledigt."
    Nach der Ernte kommt das Glyphosat - danach ist alles tot
    Und um als Firma zu überleben, packt Koppenhagen jeden Herbst nach der Ernte die Kanister mit dem noch legalen, glyphosathaltigen Pflanzenschutzmittel "Roundup Powerflex" auf seinen Traktor, rund 40 bis 50 Liter pro Jahr für die 70 Hektar. Er befüllt das Sprühgerät und fährt über den Acker. Danach ist so ziemlich alles tot auf dem Feld, gibt er zu, also vor allem die Pflanzen. Die Alternative?
    "Mehr andere Herbizide, mehr mechanische Bekämpfung, das schadet meiner Meinung nach der Umwelt, dem Boden, denn wenn ich mehr Diesel in die Luft puste, macht das ja auch keinen Sinn."
    Der Acker sei nun mal seine Arbeitsfläche, sagt der Landwirt. In einer Arztpraxis müsse auch desinfiziert, in einem Büro auch geputzt werden. Eine Arztpraxis würde man aber nicht essen, entgegne ich. Für Tiere sei das Glyphosat nicht schädlich, hätten Studien ergeben. Das werde verschwiegen in den Medien, so Koppenhagen.
    Unser kritischer Hörer kennt sich gut aus mit den unzähligen Studien, sie entscheiden über das Abstimmungsverhalten der Mitgliedsländer, also auch über Wohl und Wehe seines Betriebes. Im Deutschlandfunk würde man "sogenannte oder selbsternannte Fachleute" befragen, deren Aussagen klar belegen, dass ihnen "auch nur der Hauch einer Ahnung fehlt, über was sie reden". Ihn ärgert:
    "Überhaupt nicht zu hinterfragen, wo macht das Mittel vielleicht Sinn, und was ist die Alternative."
    Was er erwartet vom Deutschlandfunk? Die seiner Meinung nach tendenziöse Berichterstattung weg, stattdessen schwierige Themen wie Glyphosat, AfD, Flüchtlingspolitik oder Klimawandel objektiv recherchieren:
    "Sie haben mich jetzt befragt, finde ich gut, ja, aber sie können auch andere Kollegen fragen. Dass Sie einfach mal Praktiker befragen, die Glyphosat einsetzen und sagen, warum machst du das? Solche Stimmen kann man doch mal zu Wort kommen lassen."
    Wir versuchen unser Bestes.