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"Länger und getroster leben"

Ohne Sicherheit, Seriosität, Vertrauenswürdigkeit kann heute kein Anbieter von Lebensversicherungen auf dem Markt überleben. Das war nicht immer so. Als vor 450 Jahren drei Männer in London die erste Lebensversicherung abschlossen, glich das Geschäft eher einer zynischen Wette.

Von Monika Köpcke | 18.06.2008
    "Meine Herren, erlauben Sie mir, noch einmal das Abkommen zu rekapitulieren."

    London, 18. Juni 1583: In einem Büro sitzen drei Männer beisammen: Die beiden Londoner Bürger Richard Martin und Walter Gybbons und der Betreiber eines Versicherungsbüros:
    "Dem hier anwesenden Mister Richard Martin, Ratsherr der Stadt London, wird die Zahlung von 400 Pfund Sterling zugesagt für den Fall, dass der hier ebenfalls anwesende Mister Walter Gybbons innerhalb eines Jahres verstirbt. Im Gegenzug zahlt Mister Martin an die hier Anwesenden zu gleichen Teilen eine Prämie von 30 Pfund Sterling. Ist das so korrekt, meine Herren?"

    So könnte es sich angehört haben, als vor 425 Jahren die erste Lebensversicherung abgeschlossen wurde. Sie glich eher einer Wette und entsprach damit dem Geist der Zeit - zumindest in England. Die Insel befand sich in einer Phase wirtschaftlicher Aufbruchstimmung. Die Menschen suchten nach Anlagemöglichkeiten und fanden sie oftmals in bizarren Wettgeschäften.

    Ob auf das Wetter, das Geschlecht ungeborener Kinder oder die Haltbarkeit königlicher Mätressen - gewettet wurde auf alles. Auch auf den Tod: Erkrankten englische Staatsmänner, entstanden regelrechte Wettbörsen, Söhne wetteten gar auf das Leben ihres Vaters. Besonderes Aufsehen erregte der Fall eines Apothekers, der Wetten auf das Leben seiner Frau entgegennahm und sie danach vergiftete.

    Erst 1774 bereitete ein Gesetz solchen Auswüchsen ein Ende. Gültig waren fortan nur noch Verträge, die den guten Sitten entsprachen. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung und die Sterblichkeitsforschung - beide entstanden im 17. Jahrhundert - boten die Voraussetzungen, fortan das Feld der reinen Spekulation zu verlassen und auf mathematisch-statistischer Grundlage zu arbeiten.

    Wer eine Lebensversicherung abschloss, hatte nun nicht mehr den kurzfristigen Gewinn im Sinn, sondern wollte seine Hinterbliebenen abgesichert wissen und für eigene Lebensrisiken vorsorgen. 1830 gab es in England bereits 35 Lebensversicherungsanstalten, deren Filialen in ganz Europa um die betuchte Kundschaft buhlten.

    "Generalbevollmächtigte englischer Sozietäten haben sich namentlich in Deutschland in nicht geringer Zahl angesiedelt ."

    So schrieb der Kaufmann Ernst-Wilhelm Arnoldi 1823 in einer Denkschrift, in der er die Einrichtung einer deutschen Lebensversicherungsanstalt propagierte.

    "Zwar wird durch die bei Todesfällen gezahlten Summen ein Teil der Prämien dem Lande wieder zugeführt, doch dass die Bilanz günstiger für England steht, lehrt schon das eifrige Bemühen, sich fester auf deutschem Boden zu siedeln. Die Gründung eines Instituts dieser Art für Deutschland kann demnach nur wünschenswert sein."

    Arnoldi hatte als Kundschaft vor allem die neue städtische Oberschicht im Blick, für die es so gut wie keine Alterssicherung gab.

    "Der größte Teil unserer geachtesten Mitbürger - Ärzte, Chirurgen, Advokaten, Künstler, Gelehrte - müssen, wenn sie nicht vom Glücke besonders begünstigt sind, rat- und hilflos ihrem Alter entgegensehen. Eine Lebensversicherungsbank würde die Erwerbslust, die Sparsamkeit und den Ehefrieden fördern: Mit beruhigtem Blick auf das Grab werden beide länger und getroster leben."

    Die englischen Anbieter in Deutschland verlangten außerordentlich hohe Prämien, und Streitfälle mussten vor englischen Gerichten ausgetragen werden, was mit enormen Kosten verbunden war. Als 1825 ein englisches Unternehmen nach dem Tod Herzog Friedrichs IV. von Sachsen-Gotha-Altenburg die Auszahlung der Versicherungssumme verweigerte - Begründung: man habe die geistige Schwäche des Herzogs bei Vertragsabschluss verschwiegen - , war das für Arnoldi der Auslöser, in Gotha die erste noch heute existierende deutsche Lebensversicherung zu gründen.
    Für Richard Martin in London entwickelten sich die Dinge gut: Walter Gybbons starb tatsächlich vor Ablauf eines Jahres. Doch die Versicherung wollte nicht zahlen.

    "Nach unserer Kalkulation berechnen wir einen Monat mit 28 Tagen. Daraus ergibt sich unzweifelhaft, dass Mister Gybbons nach mehr als 12 Monaten verstorben ist. Ihre Ansprüche betrachten wir damit als nichtig."

    Richard Martin ließ sich mit dieser fadenscheinigen Begründung nicht abspeisen. Er zog vor Gericht und bekam Recht. Die Versicherung musste ihm die 400 Pfund auszahlen.