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Langlebigkeit einer früheren Wunderfaser

Asbest isoliert, brennt nicht und hält Wärme wie Kälte aus. Deshalb galt es als Wunderfaser. Aber winzige Teile in der Lunge können Krebs auslösen. Tausende Wohnungen sind allein in Berlin belastet. Eine Lösung ist nicht in Sicht.

Von Wolf-Sören Treusch | 07.03.2013
    "Hier drunter ist der schwarze Kleber, und das sind die Platten, die sind überall dahinten so zerbröselt, …"

    Ein Blick unter den Teppichboden genügt und man versteht, warum Brigitte Buske alarmiert ist. Vor kurzem sah sie im Fernsehen einen Bericht über asbesthaltige Bodenplatten.

    "Da habe ich zu meinem Lebenspartner gesagt: Das ist ja bei uns genauso, und dann haben wir zwei Stellen hochgenommen, wo wir ran kamen und haben gesehen, dass da die ganzen kaputten Platten drunter liegen und wenn man sie anhob, sich sofort der Kleber gelöst hat, und die Platten sind zerbröselt."

    Brigitte Buske wohnt in einem Gebäudekomplex, der in den späten 70er Jahren erbaut wurde. Asbest galt damals als Wunderfaser und wurde massenhaft in Neubauwohnungen eingesetzt. Doch seitdem lauert der Baustoff als tödliche Gefahr unter dem Teppich, seit 1993 ist seine Verwendung verboten. Nun hat der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen BBU mitgeteilt: In mindestens 48.000 städtischen Wohnungen seien asbesthaltige Bodenplatten verbaut. Ihr Experte Siegfried Rehberg fügte aber gleich hinzu:

    "Die Platten, die dort eingebaut sind, und das gilt auch für andere asbesthaltige Materialien, stellen keine Gesundheitsgefahr dar, solange sie unbeschädigt sind."

    Solange die Faserkonzentrationen, die von den so genannten Flex-Platten ausgingen, unterhalb von 500 Fasern pro Kubikmeter Luft lägen, sei die Gesundheit nicht gefährdet, so der BBU-Experte. Ganz anderer Ansicht ist Rechtsanwalt Sven Leistikow, der unter anderem auch Frau Buske vertritt.

    "Tatsächlich ist es so, dass eine einzige Asbestfaser ausreicht, den gesamten Schaden auszulösen, das heißt Rippenfellkrebs, der in jedem Fall tödlich endet. Asbestose bedarf nicht einer besonders hohen Anzahl an Fasern im Körper, eine einzige muss aufgenommen werden."

    Der Anwalt beruft sich auf ein Urteil des Berliner Landgerichts. Das hat kürzlich einer Familie mit drei Kindern das Recht auf Schadensersatz zugesprochen, falls eines der Kinder später an Lungen- oder Rippenfellkrebs erkranken sollte. Noch ist das Urteil allerdings nicht rechtskräftig. In der früheren Wohnung der Familie waren vor acht Jahren eben jene Vinylasbestplatten ohne besondere Staubschutzvorkehrungen entfernt worden. Zudem war die Familie seinerzeit über die Gesundheitsgefahr, die von solchen Arbeiten ausging, nicht aufgeklärt worden. Das soll nun anders werden. Hendrik Jellema, Vorstandsmitglied der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag betont:

    "Überall dort, wo gebrochener Asbest auftritt, muss etwas passieren, muss etwas geschehen. Wir haben unsere Mieter schriftlich dazu aufgefordert, aufgerufen, uns das mitzuteilen, und wir reagieren dann sehr schnell."

    Doch nicht alle städtischen Wohnungsbaugesellschaften haben ihre Mieter informiert. Rainer Wild vom Berliner Mieterverein sagt:

    "Wir halten das für ausgesprochen fahrlässig, erstens müssten die Mieter dringend umfassend informiert werden, auch in mehreren Sprachen, das ist sehr wichtig, und dann muss ein Sanierungsfahrplan vorgelegt werden, damit ganz klar ist, wann die Mieter damit rechnen können, dass die Dinger ausgetauscht werden können. Aus unserer Sicht müssen die Wohnungsunternehmen Rücklagen für diese Fälle bilden."

    Eine halbe Milliarde Euro könnte die Sanierung kosten. Stadtentwicklungssenator Müller, SPD, hat die Wohnungsbaugesellschaften nun aufgefordert, ein Kataster zu erstellen, in dem ganz klar aufgelistet ist, wo überall asbesthaltige Bodenbeläge saniert werden müssen. Aber auch für ihn gilt: von unbeschädigten Bodenplatten geht keine Gesundheitsgefahr aus. Im Juni wird eine bundesweite Expertenveranstaltung zu dem Thema stattfinden. Rechtsanwalt Sven Leistikow sagt:

    "Auf alle Fälle ist es ein bundesdeutsches Problem, was wir hier haben. Überall da, wo das Geld war auch neu zu bauen, werden wir dieses Problem auch in erheblichem Maße haben."

    Seine Mandantin Brigitte Buske wird vorerst Anspruch auf Mietminderung geltend machen. Wirklich weiter hilft ihr aber nur eine rasche, fachgerechte Sanierung.

    "Ich bin sehr in Sorge um meine Gesundheit, ich komme mir vor wie auf einem Pulverfass."