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Lappland
Leben mit Schlittenhunden

Andreas Barth und seine Frau Kerstin Pöller sind mit 30 Hunden, sechs Pferden und sieben Kanus nach Lappland gezogen. In Schweden haben die beiden noch einmal von vorne angefangen und konzentrieren sich auf ihre Huskys und den Hundeschlitten-Sport.

Von Alexa Hennings | 01.03.2015
    Ein rotes Holzhaus mit Seeblick. Zwischen Haus und Ufer Pferdekoppeln und Hundegehege mit Zwingern und Auslauf. Links und rechts dichter Wald. Schnee. So, wie man sich Lappland vorstellt, so ist es hier auch: in Gasa, wenige Kilometer vom Polarkreis entfernt. Dorf wäre zuviel gesagt für ein paar versprengte Höfe. Das nächste Haus steht zwei Kilometer weiter, und auch wer zehn Kilometer weit weg lebt, wird hier noch Nachbar genannt.
    In Gasa heulen nicht die Wölfe. Von denen gibt es zwar in den Wäldern ringsum welche, ebenso wie Bären, Elche und Rentiere. In Gasa heulen die Huskys. Es sind Schlittenhunde, näher verwandt mit dem Wolf als mit dem Haushund. Deshalb heulen sie auch so inbrünstig wie ihre Vorfahren.
    Die Meute ist aufgeregt. Der Chef sucht die Hunde aus, die er nachher anspannen will. So wild sie sich auch anhören: Vielleicht trifft das berühmte "Mein Hund beißt nicht" am ehesten auf Huskys zu.
    "Den Hunden ist über Generationen diese Aggression gegenüber dem Menschen abgezüchtet worden, weil das Arbeitshunde sind. Die müssen umgänglich sein zum Arbeiten. Und ich kann mit völlig fremden Leuten in den Zwinger reingehen und du wirst null Aggression sehen, sondern immer nur freundliche Hunde. Nein Röde, nein!"
    Andreas Barth und seine Frau Kerstin Pöller, beide dick vermummt in Overalls, sind umringt von den acht Hunden, die heute trainieren werden. Vorher noch eine Runde Streicheln, Kraulen, Kuscheln.
    "Bei den Inuit ist es ja auch so gewesen, dass Huskybabys in den Iglus mit aufgewachsen sind, damit sie möglichst viele Leute kennenlernen. Weil ja jeder in der Lage sein muss, so ein Schlittenhundegespann zu fahren. Na, du Kuscheltier? Aber wehe, er sieht die Laufgeschirre. Zweimal am Tag ist richtig Krach: Das ist, wenn Andreas mit den Laufgeschirren reinkommt: Nimm nicht mit, nimm mich mit, ich will auch mit! Und dann ist hier voll Terror. Aber in dem Moment, wo sie loslaufen, ist absolute Stille, da wird nur noch gelaufen. Und das zweite ist natürlich mit Futter. Wenn er mit dem Futtereimer kommt: Vergiss mich nicht!"
    Kerstin Pöller nimmt einen der Welpen auf den Arm, die in einer Extra-Box herumkrabbeln. Es ist Olaf, er wurde nach dem Tierarzt zuhause in Vorpommern benannt. Olaf hat ein blaues und ein braunes Auge.
    "Eigentlich ist das wie so ein Kindergarten. Oder wie eine Schulklasse. Jeder ist anders, jeder hat einen anderen Charakter. Mit den Pferden kannte ich mich aus, da haben sie mich auch immer gefragt: Wie hältst du die auseinander? Na, die sehen doch völlig unterschiedlich aus! Und es gibt keine zwei Pferde, die haben den gleichen Charakter. Und hier muss ich jetzt erstmal noch üben, die sehe ich auch erst zum zweiten Mal!"
    Im Herbst 2014 verließen Andreas Barth und Kerstin Pöller ihren Hof in Vorpommern. Sie hatten dort einen Treff für Reiter, Kanu- und Hundesportler. 30 Hunde, sechs Pferde und sieben Kanus zogen mit um nach Lappland. In Schweden wollen die beiden mit Anfang 50 nochmal ganz von vorn anfangen. Erst vier Jahre zuvor saß Andreas Barth zum ersten Mal auf einem Hundeschlitten. Das war in Lappland, und er war Tourist. Drei Jahre später ist der ehemalige Neubrandenburger Leichtathletiktrainer schon Vierter bei der Weltmeisterschaft im Schlittenhundesport. Die Huskys hatten es ihm angetan - und Lappland auch.
    "Es ist zu allen Jahreszeiten schön. Aber wenn wir mit Leuten über Lappland reden, dann hast du immer zwei Argumente, die man hört: dunkel und kalt. Und beides stimmt natürlich nicht. Im Dezember oder November in Deutschland mit drei Grad, Nieselregen und Matschepampe ist es deutlich dunkler als in Lappland. Ich habe noch nie so spannendes Licht gesehen wie im Dezember oder Januar. Fantastisch. Da ist nichts mit dunkel oder gruslig. Nach dem 21. Dezember kriegen wir dann pro Tag so zwölf Minuten mehr Licht und im Februar haben wir schon um 4:30 Uhr Sonnenaufgang. Das steigert sich dann bis Mai, Juni, dann wird es überhaupt nicht mehr dunkel. Gewöhnungsbedürftig, aber interessant. Da haben die Schweden einen ganz eigenen Rhythmus. Die schlafen einfach im Winter ein bisschen mehr und im Sommer kann es dir schon mal passieren, dass der Nachbar früh um halb drei kommt und sich eine Kettensäge borgt, ist so!"
    Andreas Barth macht mit zwei Eimern seine Runde. Röde, Batida und die anderen bekommen je eine große Kelle Futter in ihre Schüsseln. In weniger als einer Minute haben sie alles vertilgt. Der Trainer stellt die leeren Eimer ab und macht einen Ausflug in die Geschichte der Schlittenhunde.
    "Ist geschichtlich entstanden irgendwann mal in Alaska und Sibirien. Also in Gegenden, wo man wenig Straßen hatte, und da sind Huskys benutzt worden zum Transport von allen möglichen Sachen. Und mit zunehmender Industrialisierung ist dieser Hintergrund natürlich verschwunden, in Alaska und Sibirien werden solche Strecken geflogen. Da braucht man weniger Hunde, und die Tendenz hin zur Freizeitbeschäftigung mit Hund oder zur Teilnahme an Rennen oder Wettbewerben mit Hund hat dann zugenommen. Aber der Hund an sich ist derselbe. Und der Ursprung für Rennen lag in der Goldgräberzeit."
    Sein nächstes Ziel: das 500 Kilometer lange Finnmark-Rennen am Polarkreis in Norwegen und die Weltmeisterschaft 2016 in Schweden.
    "Die Hunde sorgen dafür, dass ich mich auch wieder ein bisschen mehr bewege. Du musst dann schon fit sein. Wenn dann der, der hinten auf dem Schlitten steht, das schwächste Glied in der Kette ist, ist das nicht so prickelnd. Wenn sich dein Leithund umdreht und dich vorwurfsvoll anguckt, dass du hinten am Berg ein bisschen mehr machen könntest, dann sollte man das ernst nehmen!"
    Ausdauertraining für Mensch und Hund
    Ein Musher - so heißt ein Schlittenhundefahrer - sitzt nicht gemütlich im Schlitten, sondern steht darin. Allein das über 100 Kilometer in alpinem Gelände und Minus 20 Grad durchzustehen, ist schon eine Leistung. Bei großen Steigungen steigt ein Musher ab oder schiebt mit seinem Fuß - wie beim Rollerfahren - den Schlitten immer wieder mit an. Mit Ausdauerlauf im Sommer und Skilanglauf im Winter hält sich Andreas Barth fit. Natürlich geht das Training exakt nach Plan. Für Mensch und Hund.
    "Es sind ähnliche Stoffwechselvorgänge, ähnliches Herz-Kreislaufsystem. Es gibt natürlich ein paar Unterschiede. Ein Sportler kann dir sagen: Heute bin ich platt. Ich brauch eine Pause. Das kann ein Hund dir nicht sagen. Da musst du einen Hund lesen können. Scotty!"
    Eine kurze Ermahnung für einen Unruhestifter. Ein Kraulen für den Schmusebedürftigen. Viel Lob. Ohne Leckerli. Genaues Beobachten: Wer taugt für welche Position im Team? Wer kann mit wem? Und: Wieviel schafft er, wo ist Schluss?
    "Es gibt ja von Tierschutzseite immer wieder Vorwürfe, gerade gegen Schlittenhundeleute. Wo Tierschützer meinen, die Hunde werden angetrieben. Nicht ein einziger Schlittenhund auf diesem Planeten würde sich auch nur einen Moment von einem Musher, also dem, der hintern drauf steht, treiben lassen. Null. Wenn der Hund meint, es ist genug, dann ist es genug. Dann kriegst du den Hund auch nicht bewegt, weiter zu gehen. Die rennen aus Spaß. Die rennen aus Freude. Born to run. Und wenn man den Hunden am Start oder unterwegs einmal nur in die Augen guckt, dann siehst du, wieviel Spaß die am Rennen haben. Und wenn die keinen Spaß haben, dann hast du im Training was falsch gemacht oder sie sind nicht genügend vorbereitet für so ein Rennen. Aber selbst dann ist die Gefahr einer Überlastung eigentlich nicht gegeben, weil du diesen Hund nicht bewegt kriegst, weiter zu laufen, wenn er keinen Bock mehr hat oder wenn er müde ist. Die legen sich hin und dann ist gut. Dann kannst du da rumtanzen oder Sachen veranstalten."
    Nach dem Füttern müssen die Gehege gereinigt werden. Sind die Häufchen wie jetzt gefroren, geht das schnell. Zur Zeit liegt nur wenig Schnee, darunter ist Eis. Ein schlechter Untergrund für den Schlitten. Bleibt nur, den Quad mit den breiten Reifen anzuspannen. Um ihn leichter zu machen, hat Andreas den Motor ausgebaut. Er holt acht Hundegeschirre. Eine junge Frau hilft ihm beim Anspannen: Jette König. Nach dem Abitur reist sie durch Schweden und hilft gegen Kost und Logis auf Schlittenhundehöfen aus. Und das als "Katzenmensch", wie sie sagt. Umso mehr lernte sie hier über Hunde.
    "Erst mal, dass man selbstbewusst auf sie zugehen soll. Dass man keine Angst vor ihnen haben soll. Wenn jemand jetzt nicht so den besten Draht dazu hat und es springen auf einmal sechs wilde Hunde auf einen zu und wollen einen alle irgendwo anspringen und ablutschen - aber ich hatte überhaupt keine Angst vor denen. Sind schon ein bisschen größer, sind halt die Huskys!"
    Anspannen geht der jungen Frau schon gut von der Hand.
    "Einmal beides über'n Kopf, dann die beiden Pfötchen dann da durch. Dann Gucken, ob das Halsband da drüber liegt. So. Schon fertig."
    In vier Paaren hintereinander wird angespannt. Zügel wie bei einer Pferdekutsche gibt es nicht. Die Hunde müssen allein auf die Stimme reagieren. Da heißt es nicht rechts und links, sondern die Tiere hören auf internationale Kunstwörter, die ganz gegensätzlich klingen: Ho und Dschi.
    "Ich dachte immer so: Man stellt sich da drauf und die Hunde ziehen. Ich habe mir nie Gedanken drüber gemacht, dass man ja auch keine Leine hat und nichts! Man hat ja wirklich nur seine Stimme und seine Kommandos. Mehr hat man nicht. Und es ist eigentlich so ein Zusammenspiel zwischen Mensch und Hund, das ist bemerkenswert. Die Leithunde fangen dann an, in die Richtung zu rennen, und die anderen folgen. Und dann musst du gucken, dass du hinten nicht gerade mit deinem Schlitten gegen einen Baum knallst. Und dann musst du lenken wie beim Skifahren. Beim ersten Mal dachte ich: Oh Gott, wir fahren bestimmt gegen einen Baum oder so. Ich hoffe mal, das passiert nicht!"
    Der Lautstärkepegel hat inzwischen seinen Höhepunkt erreicht. Dann der befreiende Moment - der Karabiner wird gelöst und Andreas ruft: Okay - das Zeichen zum Start.
    Krafttraining pur
    Von nun an ist nur noch das Geräusch der Reifen auf dem Schnee zu hören und noch eine Weile das Bellen jener Hunde, die heute nicht mit durften. Im Gespann selbst: Ruhe und Konzentration. Acht Hunde ziehen einen Quad mit zwei Menschen darauf. Auch wenn bei Anstiegen einer der Mitfahrer abspringt, ist das Krafttraining pur.
    "So ist fein, okay. Okay. Laufen."
    Immer wieder ein Lob. Es geht durch den Wald, der hier fast ausschließlich aus Taigafichten und Birken besteht. Dann eine Lichtung. Der Blick auf den vereisten See und die Berglandschaft dahinter. Fjäll heißen hier die Berge. Im tiefen Winter werden die Spuren für die Hundeschlitten mit Schneemobilen bis ins Fjäll gezogen. Diese Arbeit teilt man sich mit den Nachbarn. Dann brechen Kerstin und Andreas mit ihren Gästen nicht nur zu Tagestouren auf, sondern bleiben in den Bergen und übernachten in Zelten. Nach etwa zwei Tagen kann auch ein Ungeübter ein Hundegespann lenken. Natürlich nur, weil die Huskys das vorher hunderte Mal geübt haben. Und weil sie dabei nicht nur die Kommandos und die Ausdauer, sondern auch das Vertrauen in den Menschen gelernt haben.
    "Für mich sind es die größten Athleten auf diesem Planeten. Was diese Hunde leisten, ist unglaublich. Diese Hunde ziehen bis zum Neunfachen ihres Körpergewichts. Ob wir da Minus 30 haben und Schneesturm oder Minus 40 und Schneesturm: Die Hunde arbeiten. Und die machen das teilweise auch für den Menschen, der da hinten drauf steht. Das sind schon Athleten, bisschen von einem anderen Stern eigentlich."