Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Las Vegas Golden Knights
Eine Stadt im Eishockey-Fieber

Niemand hatte damit gerechnet, dass es die Las Vegas Golden Knights in ihrem allerersten Jahr in der National Hockey League auch nur in die Playoffs schaffen. Nun stehen sie im Finale um den Stanley Cup und gelten sogar als leichte Favoriten. Ein Erfolg, der über den Sport hinaus wirkt.

Von Jürgen Kalwa | 26.05.2018
    Die ganze Stadt fiebert mit: Vor dem berühmten Kasino Caesar's Palace hält die Cäsar-Statue einen Eishockey-Schläger und eine Fahne der Las Vegas Golden Knights
    Die ganze Stadt fiebert mit: Vor dem berühmten Kasino Caesar's Palace hält die Cäsar-Statue einen Eishockey-Schläger und eine Fahne der Las Vegas Golden Knights (imago sportfotodienst)
    1. Oktober 2017, ein Sonntagabend auf einem großen Parkplatz zwischen den Casino-Türmen von Las Vegas. Austragungsort für ein Country-Musik-Festival mit zehntausenden von Besuchern.
    Ein Attentäter, der tagelang Schnellfeuergewehre und Munition in seine Hotelsuite geschleppt hat, beginnt, aus einem Fenster im 32. Stock wahllos in die Menge zu schießen. Die Bilanz ist erschütternd: 58 Tote, mehr als 800 Verletzte. Eine Metropole, die gerne mit ihrem Spitznamen "Sin City" – "Sündenstadt" – kokettiert, und die mit grellem Neonlicht Millionen von Touristen anlockt, erlebt ihren dunkelsten Tag.
    Das Massaker liegt etwas mehr als eine Woche zurück, als die Las Vegas Golden Knights zum ersten Heimspiel ihrer allersten Saison antreten. Die Halle – keine zwei Kilometer vom Tatort entfernt. Die 18.000 emotional angeschlagenen Zuschauer werden mit einem aufrüttelnden Musikvideo inspiriert. Rettungskräfte, Ärzte, Krankenschwestern und Hotelangestellte verkünden den Slogan: "Vegas Strong". Die Botschaft: Wir lassen uns nicht unterkriegen.
    Die Wüste lebt
    In der Wüstenlandschaft von Nevada baut man alles – notgedrungen – auf ein fragiles Fundament. Auf Sand. Darunter die Illusionslandschaft, für die die Stadt berühmt ist. Inspiriert vom Postkartenkitsch aus anderen Teilen der Welt: Mit Motiven wie der Skyline von New York oder dem Eiffelturm von Paris. Auch eine Sportart wie Eishockey wirkt an einem solchen Standort – angesichts der üblichen hohen Temperaturen – wie künstlich inszeniert.
    Doch nach der ersten Saison steht fest: Zumindest die Eishockeyspieler sind echt. Und überraschend erfolgreich. Sie stehen in der Finalserie um den Stanley Cup. Und es fehlen nur noch vier Siege, und die Sensation ist perfekt. Noch nie in der hundertjährigen Geschichte der National Hockey League hat eine Mannschaft ein derartiges Kunststück vollbracht und sich aus dem Nichts ganz nach oben gekämpft. Die Wüste lebt.
    Die Bank der Las Vegas Golden Knights mit Trainer Gerard Gallant (Mitte hintere Reihe) beim ersten Heimspiel am 10. Oktober 2017.
    Die Bank der Las Vegas Golden Knights mit Trainer Gerard Gallant (Mitte hintere Reihe) beim ersten Heimspiel am 10. Oktober 2017. (imago sportfotodienst)
    Das Projekt hat der ehrgeizige Geschäftsmann Bill Foley angeschoben, der sein Geld mit Ferienresorts, Steakhäusern und Weinbergen in den USA und in Neuseeland verdient hat. Er spekulierte darauf, dass eine Stadt, in der es bis dato in keiner Top-Mannschaftssportart einen Ableger gab, genügend ortsansässige Zuschauer mobilisieren kann. Und auf keinen der jährlich 40 Millionen Touristen angewiesen ist.
    "Hier leben 2,2 Millionen Menschen, die sich mit etwas identifizieren wollen. Und das ist nicht die Casino-Gegend am Strip. Unser Team wurde hier geboren. Wir sind hier zuhause."
    Für die Geburtshilfe gab Foley hunderte von Millionen Dollar aus. Für die neue Halle. Und vor allem für die Aufnahmegebühr, die die NHL verlangt – die sogenannte "expansion fee". Im Gegenzug erhielten die Golden Knights die Chance, auf das Personal der existierenden 30 Mannschaften zugreifen zu können.
    Das System gibt es schon lange, aber es schränkte die Wahlmöglichkeiten traditionell stark ein. Die Abwanderung ihrer Stars konnten Teams bei der sogenannten "expansion draft" blockieren. Die Folge: ein Mangel an Qualität bei den Nachrückern, die deshalb jahrelang nicht aus dem Tabellenkeller herauskamen.
    Trainer Gallant: "Ein harter, ehrlicher Typ"
    Diesmal waren die Restriktionen nicht ganz so drastisch. Was der erfahrene Chefmanager George McPhee der Golden Knights zu nutzen wusste. Er zockte wie ein Kartenhai am Pokertisch mithilfe mehrerer Tauschaktionen eine formidable Mannschaft zusammen. Der spektakulärste Fang: Die Verpflichtung von Torwart Marc-André Fleury. Der hat mit den Pittsburgh Penguins bereits dreimal den Stanley Cup gewonnen.
    Brian Burke, der in der Liga schon viele Klubs gemanagt hat, war beeindruckt. Aber nicht nur davon:
    "Zunächst war da diese schreckliche Tragödie. Damit konnte man die ganze Stadt zusammenbringen und dem Team eine Mission geben. Zweitens: Der Trainer hat hervorragend gearbeitet. Sie haben mindestens acht Klasse-Stürmer. Und mit dem Torwart den Hauptgewinn gezogen."
    Viele Experten halten diesen Trainer namens Gerard Gallant übrigens für den wichtigsten Faktor. Einen Mann, dessen Qualitäten sein Chef schon vor der Saison herausstrich:
    "Er war als Spieler ein harter, ehrlicher Typ. Solche Trainer kommen am besten mit Spielern klar. Sie wissen, wie man mit ihnen umgeht. Und was auf dem Spiel steht, wenn sie hinaus aufs Eis gehen. Und wie intensiv das ist"
    Mit dem bisher Erreichten, so sensationell es auch sein mag, ist Gallant noch nicht zufrieden:
    "Es ist schön, Meister der Westen Conference zu werden. Aber das interessiert uns nicht. Wir wollen den Titel. Dafür sind wir hier."
    Dafür und fürs Emotionale. Ende März wurde in einer feierlichen Zeremonie verkündet, dass kein Spieler der Knights jemals die Rückennummer 58 tragen wird. Als ewige Erinnerung.
    Zeremonie in der Eishockey-Arena der Las Vegas Golden Knights. Auf einem großen Bildschirm die Aufschrift "Vegas Strong"
    Im März gaben die Las Vegas Golden Knights bekannt, dass kein Spieler je die Rückennummer 58 tragen wird - als Erinnerung an die 58 Toten des Amoklaufs im Oktober 2017 (imago sportfotodienst)