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Laschet: Die Türkei braucht Europa

Der Prozess der Annäherung zwischen Europa und der Türkei muss weitergehen, sagt Armin Laschet, Landesvorsitzender der NRW-CDU. Für neue Beitrittsverhandlungen müsse die Türkei aber einen "europäischen Geist" entwickeln und bereit sein, sich an die Regeln der Wertegemeinschaft EU zu halten.

Armin Laschet im Gespräch mit Christine Heuer | 24.06.2013
    Christine Heuer: Am Wochenende hat die türkische Polizei wieder einmal den Taksim-Platz in Istanbul geräumt, dafür gab es eine große Demonstration gegen den türkischen Regierungschef Erdogan in Köln. Vorher schon erlebten wir Drohungen aus der Türkei und diplomatische Verbalscharmützel zwischen Ankara und Berlin, Botschafter wurden einbestellt, die Außenminister sprachen miteinander, die Wogen konnten nur notdürftig geglättet werden. Und heute legt der türkische Europaminister schon wieder nach.
    Die EU-Botschafter, später dann die Außenminister beraten heute also, ob diese Woche, wie ursprünglich geplant, ein neues Kapitel in den Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mit der Türkei eröffnet wird.

    - Armin Laschet ist CDU-Vorsitzender in Nordrhein-Westfalen, Mitglied im Präsidium seiner Partei, er war Außenpolitiker im Europäischen Parlament und Integrationsminister in Düsseldorf. Guten Morgen, Herr Laschet.

    Armin Laschet: Guten Morgen.

    Heuer: Sie sind dagegen, das neue Kapitel zu öffnen, das weiß ich schon. Warum genau?

    Laschet: Ich bin vor allem dagegen, dass sich die Außenminister in dieser Woche treffen und Entscheidungen fällen, so als sei nichts geschehen. Die Türkei will einer Wertegemeinschaft, nämlich der Europäischen Union beitreten. Da gibt es bestimmte Regeln, da gibt es auch bestimmte Regeln an Menschenrechten, die man einhalten muss. Und es wäre, glaube ich, ein Schlag in das Gesicht auch der vielen Zehntausend Demonstranten, wenn man in Brüssel jetzt so täte, als wäre nichts gewesen und einfach neue Kapitel der Regionalpolitik so eröffnet, wie man das bisher geplant hat.
    Auf der anderen Seite muss man wissen: Die Demonstranten, die da auf die Straße gehen, die hoffen natürlich auf Europa. Die wollen eine europäische Türkei. Und deshalb glaube ich, dass die Außenminister vor einer sehr schwierigen Aufgabe bis Mittwoch stehen, deutlich zu machen, dass Europa an einer engen Bindung der Türkei interessiert ist, aber dass man nicht einfach so weitermachen kann, als sei nichts passiert.

    Heuer: Aber, Herr Laschet, wie macht man das denn?

    Laschet: Ja, es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie man auf der europäischen Ebene auch diplomatisch der Türkei signalisieren kann, dass sie sich an bestimmte Regeln halten muss. Das Verhandeln über einzelne Kapitel bedeutet ja, dass die Türkei sich auch verändern muss. Also man kann durchaus zu Ergebnissen kommen, dass weiter verhandelt wird - nicht nur jetzt über Regionalpolitik, die der Türkei viel Geld bringen wird, sondern auch über Fragen von Menschenrechten, über Grundrechte, über innere Fragen. Und in diesem Prozess kann man dann noch mal auf die Entwicklung in der Türkei Einfluss nehmen. Ein Eröffnen von Kapiteln heißt ja noch nicht, dass die Türkei nun sehr schnell Mitglied der Europäischen Union wird, sondern dass der Prozess der Annäherung zwischen Europa und der Türkei weitergehen soll.

    Heuer: Genau. Immerhin: Die Gespräche würden dann fortgesetzt. Welche Bedingungen müsste denn aus Ihrer Sicht die türkische Regierung dafür erfüllen?

    Laschet: Es kommt aus meiner Sicht zunächst bei der türkischen Regierung einmal auf eine Grundhaltung an. Man kann nicht, wie der türkische Europaminister, tagtäglich Drohungen aussprechen, welche anderen Optionen man hat und was man alles könnte und wenn die Deutschen sich nicht bewegen, dann werde man. Das ist einfach kein Umgangston in der Europäischen Union. Das ist die erste wichtige Voraussetzung.
    Das Zweite ist: Die türkische Regierung könnte ja auch einmal jetzt ihren harten Kurs im Inland verändern. Noch am gestrigen Abend sind erneut am Taksim-Platz Demonstranten mit Wasserwerfern vertrieben worden. Da gibt es ja überhaupt kein Einlenken, auch nicht in der Sprache von Ministerpräsident Erdogan. Alles das könnte das Klima in der Europäischen Union verändern. Ziel muss nur sein, das darf kein deutsch-türkischer Konflikt sein, sondern alle EU-Außenminister müssen gemeinsam der Türkei dies signalisieren. Und ich glaube, dazu ist die nächsten zwei, drei Tage Zeit.

    Heuer: Deutschland spielt aber eine wichtige Rolle in diesen Überlegungen. Guido Westerwelle, der Außenminister, hat gestern Abend gesagt, der Gesprächsfaden dürfe nicht abreißen zwischen der EU und der Türkei. Wie ist das eigentlich mit der Bundesregierung, Herr Laschet? Ist die geschlossen gegen Gespräche zum jetzigen Zeitpunkt?

    Laschet: Nein. Es gibt keine Aussage der Bundesregierung, dass man geschlossen gegen Gespräche ist. Die Bundeskanzlerin hat nur diese Grundfrage an Menschenrechten angemahnt. Und man hat sie vor wenigen Tagen in Russland erlebt, da hat sie auch gegenüber Präsident Putin eine klare Sprache gesprochen. Ich glaube, diese Klarheit, dass man sich auch gegenseitig sagt, was geht und was nicht geht, das ist ganz entscheidend. Und ich denke, auch die Bundeskanzlerin wird ebenso wie der Außenminister wollen, dass der Gesprächsfaden nicht abreißt. Aber dass wir auch nicht so tun - und das habe ich am Anfang unseres Gespräches ja gesagt -, als wäre nichts gewesen. Denn was wird die Türkei erst mal machen, wenn sie Mitglied der Europäischen Union ist und weiter so auftritt? Sie muss ihr gesamtes Denken, dass man nicht als Nationalstaat einfach, ohne sich an Regeln zu halten, macht, was man will. Das muss sich zu einem europäischen Geist ändern. Und den habe ich weder beim Europaminister noch beim Ministerpräsidenten Erdogan in den letzten Tagen festgestellt.

    Heuer: Nun hat ja die türkische Regierung - wir haben das gehört - wissen lassen, man werde in Brüssel nicht betteln und es gebe Alternativen. Wie sehr braucht die Türkei denn eigentlich die Europäische Union?

    Laschet: Die Türkei ist wirtschaftlich ein erfolgreiches Land, jetzt unabhängig von den Ereignissen der letzten Tage. Sie hat großes Wirtschaftswachstum, also man könnte sagen, sie braucht die Europäische Union nicht. Mein Eindruck ist jedoch: Diesen großen Binnenmarkt Europäische Union, den braucht die Türkei auf jeden Fall. Und was sollen die Alternativen sein? Sie kann sich Richtung Zentralasien orientieren. Das Verhältnis in den Nahen Osten zu Israel hat Erdogan auch durch viele Unbedarftheiten zerstört. Zu Syrien liegt er in einem extremen Konflikt im Moment, auch zum Iran. Also auch das Drohen, wir könnten auch anders und wir haben so viele Alternativen, das hilft nicht weiter. Wir als Europäer brauchen sehr gute Beziehungen zur Türkei als wichtiges Land und die Türkei braucht genauso Europa.

    Heuer: Sie haben Erdogan angesprochen mit all den Baustellen, die er eröffnet hat. Steigen die Chancen auf eine Annäherung der Türkei zur Europäischen Union, wenn er irgendwann nicht mehr die Türkei regiert?

    Laschet: Das ist schwer zu sagen. Wenn dann Menschen wie der Europaminister, die dann noch mal in der Sprache schärfer sind, ...

    Heuer: Der wäre dann ja vielleicht auch gleich mit weg!

    Laschet: Mein Gefühl ist, dass es auch in der AKP, in der Regierungspartei Menschen gibt, die einen moderateren Kurs wollen, die auch im Landesinneren im Dialog mit der Zivilgesellschaft anders auftreten würden als Ministerpräsident Erdogan. Aber ich glaube, das ist nicht die Aufgabe der Europäer, nun zu bestimmen, wer denn türkischer Ministerpräsident wird. Das müssen die Türken schon selber machen. Aber dass Europa bestimmte Prinzipien anmahnt und dass auch einem Ministerpräsidenten einmal deutlich sagt, das, glaube ich, das können die Außenminister in den nächsten Tagen tun.

    Heuer: Armin Laschet, CDU-Vorsitzender in Nordrhein-Westfalen, war das im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Herr Laschet, ich danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.