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"Lassen Sie nicht zu, dass Angst Ihr Leben beherrscht"

Die westliche Welt lernte 1989 ein neues Wort kennen: Fatwa. Einige Dutzend Menschen starben, weil sie mit Salman Rushdies Buch "Die satanischen Verse" in Verbindung gebracht wurden. Jetzt ist Rushdies Autobiographie erschienen.

Von Henry Bernhard | 24.09.2012
    "Yesterday the Ayatollah Khomeini said, Mr. Rushdie and everyone envolved in the publication of his book should be murdered. Now one of the Ayatollahs have offered a million pounds for anyone who will do it."

    Februar 1989. Ayatollah Khomeini verurteilt den britischen Staatsbürger Salman Rushdie zum Tode, erklärt ihn für vogelfrei, ebenso alle Übersetzer und Verleger von Rushdies Buch "Die satanischen Verse". Eine Million Pfund Belohnung setzt ein anderer Ayatollah auf den Kopf des Schriftstellers aus. Der aufgeheizte Pöbel weltweit fordert Rushdies Kopf.

    "The streets of Teheran this morning were filled with crowds taking up the cry for Salman Rushdie’s life."

    Die Proteste gegen Rushdies Buch laufen schon seit einigen Wochen, aber jetzt, nach Khomeinis Fatwa, muss Salman Rushdie untertauchen, sofort. Sein Leben ist in Gefahr. Er fragte sich, wie viele Tage er noch zu leben hatte, und dachte, die Antwort wäre vermutlich eine einstellige Zahl. Rushdie verlor nicht nur seine Freiheit, sondern auch seinen Namen: Er musste ein Pseudonym finden, mit ihm unterschreiben, darauf hören. Er entschied sich für Joseph Anton – nach Joseph Conrad und Anton Tschechow. Joseph Anton heißt auch seine Autobiographie, die er konsequent in der dritten Person schreibt – schließlich musste der lebenslustige, öffentlich aktive Intellektuelle ein für ihn fremdes Leben führen. Der Leser folgt Rushdie durch die ersten Tage, die Wochen, Monate und Jahre seines Lebens im Untergrund, erlebt dessen Einsamkeit, den Stress der anfangs fast täglichen Wohnungswechsel und der ständigen Polizeipräsenz, die Unsicherheit und den Schmerz – so wie Rushdie ihn in seinem ersten Fernsehinterview mit der BBC nach dem Untertauchen beschrieb:

    "Es ist sehr schwierig, im Fernsehen über Gefühle zu sprechen, denn es klingt meist fürchterlich. Natürlich kann ich immer sagen, "Es geht mir gut!", wie ich es mir selbst auch meistens sage, weil es hilft. Aber eigentlich ist es die Hölle."

    Die westliche Welt lernte 1989 ein neues Wort kennen: Fatwa. Einige Dutzend Menschen starben, weil sie mit dem Buch in Verbindung gebracht wurden oder weil sie dagegen protestierten. Rushdie dagegen wurde von der britischen Regierung gedrängt, sich still zu verhalten, nicht zu provozieren, sich nicht zu verteidigen, ja, sich lieber zu entschuldigen. Der Erzbischof von Canterbury, der britische Oberrabbi, der Papst, die britische Premierministerin Margaret Thatcher äußerten Verständnis für die aufgebrachten Muslime, die einen Schriftsteller ermorden wollten, weil er ihren Propheten Mohammed als Menschen dargestellt und angeblich dessen Frau verunglimpft hat.

    "So zügig wie skrupellos legte die Welt der Religion die Bedingungen dieser Debatte fest. Die säkulare Welt, weniger gut organisiert, weniger vereint und letztlich nicht ausreichend interessiert, hinkte weit hinterher; wertvolles Terrain wurde kampflos aufgegeben."

    Rushdie beschreibt, wie er weich wurde, weil er doch nur verstanden und für seine Bücher geliebt werden wollte – und unter welchen Umständen er eine Entschuldigung und ein Bekenntnis zum Islam unterschrieb. Dies alles nützte ihm nichts, im Gegenteil: Seine Feinde erneuerten den Mordaufruf, seine Freunde und Unterstützer waren irritiert. Die britische Klatschpresse zerriss sich währenddessen das Maul darüber, wie viel Rushdies Sicherheit den Steuerzahler wohl kostete.

    "Er wand sich an dem Haken, den er so bereitwillig geschluckt hatte; und ihm wurde schlecht. Bis zu diesem Moment war ihm vorgeworfen worden, sich gegen den Glauben anderer Menschen vergangen zu haben. Nun warf er sich vor, sich gegen sich selbst vergangen zu haben, und befand sich schuldig."

    Das Ausleuchten der inneren Zerrissenheit gehört, wie die Schilderungen des Verhältnisses zu seinem minderjährigen Sohn, zu den stärksten Teilen in Rushdies Buch. Nach dem Kniefall entschied er sich, zu kämpfen: Für sich, aber auch für die Freiheit des Geistes. Er ging in die Öffentlichkeit, tauchte überraschend als Redner oder bei Preisverleihungen auf – in London oder New York. Er wollte aktiv sein, nicht passiv in seinem Versteck abwarten. Die Öffentlichkeit brachte ihm weitere politische und publizistische Unterstützung.

    "Der Kampf gegen den Fanatismus brauchte klare Gesichter und deutliche Stimmen. Er würde nicht länger schweigen. Für die Redefreiheit, für die Freiheit der Fantasie, für die Freiheit von Furcht und für die schöne alte Kunst, die ausüben zu dürfen er als Privileg empfand. Auch für Skepsis, Respektlosigkeit, Zweifel, Satire, Komödie, für die frevelhafte Schadenfreude."

    …also letztlich für die Werte der Aufklärung, die auch 200 Jahre nach Voltaire, Rousseau und Kant nicht Allgemeingut sind, nicht in der islamischen Welt und man möchte fast meinen, immer weniger auch bei uns. So sagte Salman Rushdie bei seiner Buchpräsentation, dass er die Satanischen Verse heute nicht mehr veröffentlichen könnte; Terry Jones von der englischen Comedy-Truppe Monty Python mutmaßt, dass ihre Satire "Das Leben des Brian" heute nicht mehr erscheinen könnte. Der Weg in ein selbstbestimmtes Leben dauerte für Salman Rushdie knapp zehn Jahre, erst dann hatten der internationale Druck und neue Regierungen im Iran und im Vereinigten Königreich Entspannung gebracht. Der Iran trachtet nun offiziell nicht mehr nach seinem Leben, ein bedeutender Ayatollah hat die Fatwa gegen Rushdie jedoch gerade vor einigen Tagen für nach wie vor gültig erklärt und das Kopfgeld auf drei Millionen Euro erhöht.

    "Wie der Terrorismus zu besiegen ist? Lassen Sie sich nicht terrorisieren. Lassen Sie nicht zu, dass Angst ihr Leben beherrscht. Auch wenn Ihnen angst und bange ist."

    Salman Rushdies Autobiographie ist laut, poltrig, satt, selbstgerecht, sie ist ironisch, poetisch und sentimental – und sie ist gut. Weil sie deutlich sagt, wohin uns der "Krebs des kulturellen Relativismus" führt, weil sie uns eine faszinierende Migrationsgeschichte von Bombay bis New York erzählt, weil sie sehr deutlich macht, wer die Helden und wer die Feiglinge waren, als es galt, Leben und Integrität eines britischen Staatsbürgers zu verteidigen, und weil sie über weite Strecken große Literatur ist, voller Bilder, Gerüche und Geschichten. Sicher, Rushdie ist eitel, er genießt die Aufmerksamkeit, die speziellen Arrangements, das Aufzählen der berühmten Menschen, die er trifft. Er ist indiskret bis an den Rand des Tratsches, wenn es um Frauen und Liebschaften geht. Er hält sich mitunter für das einzige Problem, das Politiker weltweit interessieren sollte. Aber wir sollten nicht vergessen, dass Khomeinis Fatwa "der Eröffnungsschuss im Krieg gegen die kulturelle Freiheit" war, wie es der kürzlich verstorbene Publizist Christopher Hitchens formulierte.


    Literaturhinweis:

    Salman Rushdie: Joseph Anton – die Autobiographie. Aus dem Englischen von Verena von Koskull und Bernhard Robben. C. Bertelsmann Verlag, 720 Seiten, 24.99 €.