Methan-Strom aus Ruanda

Energie aus dem Vulkansee

24:14 Minuten
Auf einem See wird eine große Gasförderstation gebaut, im Hintergrund thront ein großer Vulkan über dem See.
Bau der Methangas-Anlage auf dem Kivu-See in Ruanda. Im Hintergrund zu sehen: der Vulkan Nyiragongo. © Imago/Hans Lucas/Eric Lafforgue
Von Thomas Kruchem · 08.07.2021
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Der Kivu-See ist einer der gefährlichsten Seen der Welt und gleichzeitig eine gewaltige Ressource für die Energieversorgung von Ruanda und Kongo. Am Grund lagert massenweise Methan, mit dem Ruanda Strom erzeugt – ein hohes Risiko.
Bis zu eine Million Menschen wurden 1994 beim Völkermord in Ruanda getötet. Heute ist das kleine zentralafrikanische Land ein anderer Staat. Die Versöhnungsarbeit funktioniert, es gibt wenig Verbrechen, die Hauptstadt Kigali ist sauberer als viele europäische Städte, die Landwirtschaft zählt zu den produktivsten Afrikas.
Jetzt will Ruanda eine eigene Industrie entwickeln. Dazu braucht es eine verlässliche Energiequelle und die soll Methan aus dem Kivu-See sein.
Der Kivu-See ist fünfmal so groß wie der Bodensee – ein Vulkansee in 1500 Metern Höhe. Er gilt als der gefährlichste See der Welt: eine Zeitbombe und potentiell eine gewaltige Ressource für Ruanda und Kongo.
Blick auf das Südufer des Kivu-Sees bei der Stadt Kibuye. Grüne Hügel mit Hütten, im Hintergrund der riesige See.
Blick auf das Südufer des Kivu-Sees bei der Stadt Kibuye.© Thomas Kruchem
Martin Schmid erklärt mir die Entstehungsgeschichte. Er ist ein Schweizer Limnologe, ein Experte für Binnengewässer. Schmid erforscht den See seit Jahren.
"Der Kivu-See ist einer der großen Seen im ostafrikanischen Graben. Er füllt dort eine Senke. Diese ist dadurch entstanden, dass sich dort Kontinentalplatten auseinander bewegen. Der See ist auch deutlich tiefer als der Bodensee – fast 500 Meter tief."

Hier lagern Millionen Tonnen Methan

Der Kivu-See ist erst 10.000 Jahre alt, ein extrem junger See. Die vielfältige Fische Aktivität in dieser geologisch sehr unruhigen Region des Grabenbruchs hat das tiefe Becken des Sees geformt.
In den unteren Wasserschichten sind viele Millionen Tonnen Gas gespeichert: CO2 und Methan.
Zur Entstehung: Bakterien verwandeln CO2 im Salzwasser in Methan. Abgesunkenes organisches Material – Algen, Haushaltsabfälle, Industrieabfälle – verwandeln sie ebenfalls zu Methan.
Weil das Salzwasser schwerer ist als Süßwasser, sammelt sich im Kivu-See das Gas im Tiefenwasser unter gewaltigem Druck.
Kommt man in höhere Wasserschichten, wird das Wasser immer "süßer". Wirbelt irgendetwas diese Schichten durcheinander, steigt wie aus Sprudelflasche giftiges Gas auf und tötet Fische und immer wieder auch Menschen: eine Kettenreaktion, die im Extremfall so viel Gas freisetzen kann, dass alles Leben rund um den See vernichtet wird.

"Eine Herausforderung der absoluten Extraklasse"

Seit kurzem fördert ein internationales Team dieses Methangas aus der Tiefe. Aus dem Methangas erzeugt Ruanda jetzt schon knapp ein Drittel des verbrauchten Stroms. Es sollen noch deutlich mehr werden.
Aktiv ist das US-Unternehmen Contour Global, das etliche innovative Kraftwerke in Entwicklungsländern hat. Es betreibt bei Kibuye eine Gasförderplattform auf dem See, 13 Kilometer vor der Küste.
Mit dem Motorboot fahre ich bis acht Kilometer an die Plattform heran. Dichter darf ich nicht. Nachdem kurz vor meiner Ankunft Ende Mai im Nachbarland Kongo der Vulkan Nyiragongo ausgebrochen ist, herrscht hier noch große Hektik und Vorsicht.
Nachtansicht eines Hauses vor dem Hintergrund eines glühend roten Himmels.
Der Ausbruch des Vulkans Nyiragongo im Mai 2021, aufgenommen in der Stadt Goma in Kongo.© Imago/Xinhua
An Land treffe ich den Leiter des Projekts: Maschinenbauingenieur Priysham Nundah. Er ist noch recht jung, stammt aus Mauritius und ist sehr enthusiastisch.
"Dieses Projekt verkörpert eine Herausforderung der absoluten Extraklasse. Unsere Technologie, im industriellen Maßstab Gas aus dem Kivu-See zu extrahieren, haben wir hier entwickelt. Hier, auf dem Kivu-See, mussten wir völlig neue Verfahren erfinden, mussten sie testen, erlebten Rückschläge, mussten modifizieren und erneut testen – immer wieder. Davon abgesehen mussten wir Tausende Tonnen Material über schmale Bergstraßen zum See schaffen und weltweit hochqualifizierte Experten rekrutieren. Wir haben Ingenieure aus den USA, Kanada, Deutschland oder Frankreich nach Ruanda gebracht, um dieses Projekt zu realisieren."

Kosten für das Megaprojekt verdoppelt

Die Gasförderplattform auf dem Kivu-See ist fast so groß wie ein Fußballfeld und sie ist für Ruanda ein Wahnsinnsprojekt, finanziert von Entwicklungsbanken. Die Technologie wurde erst vor Ort entwickelt.
Einiges lief schief. Die Kosten verdoppelten sich im Laufe der Jahre auf 200 Millionen US-Dollar, erzählt mir der Finanzmanager David Wafula fröhlich lächelnd . Er ist 35, kommt aus Kenia und hat mit den Entwicklungsbanken verhandelt.
"Die Banken hatten eine Menge Vorschussvertrauen in uns investiert – in der Hoffnung, dass dieses völlig neuartige Projekt tatsächlich funktionieren würde. Dann aber traten während des Baus der Plattform immer neue Probleme auf und der Finanzierungsbedarf wuchs auf das Doppelte des Kalkulierten. Ehrlich gesagt: Hätte ich damals in den Schuhen eines dieser Bankiers gesteckt, hätte ich kalte Füße bekommen. ‚Okay‘ hätte ich gesagt. ‚Wir haben eine Menge Geld verloren. Sollen wir nun, auf unabsehbare Zeit, noch mehr Geld in ein Fass ohne Boden werfen?‘"
Aber die Banken haben durchgehalten und die Gasförderplattform finanziert. Sie waren beeindruckt vom Durchhaltevermögen des Unternehmens und wussten, wie wichtig das für ganz Ruanda ist.
Seit 2015 wird im See jetzt Methan gefördert und an Land in einem 26 Megawatt-Kraftwerk zu Strom verbrannt.

Methan und Torf als Alternative zu Diesel, Kohle, Öl

Ruanda setzt grundsätzlich auf erneuerbare Energien. Aber Sonne und Wind sind wegen der vielen Wolken und Trockenzeiten nicht sehr verlässlich. Deswegen braucht es Alternativen zu teuren und schmutzigen Dieselkraftwerken.
Dazu gehört Torf – hochumstritten. Aber gerade hat an der Grenze zu Burundi ein Torfkraftwerk eröffnet. Die Verbrennung von Torf ist billig, pustet aber viel klimaschädliches CO2 in die Luft. Bei der Stromerzeugung mit Methan wird dagegen weit weniger CO2 in die Atmosphäre abgegeben als bei Diesel-, Kohle-, oder Torfkraftwerken.
Lässt sich die Methanförderung ausbauen, will Ruanda auch Strom exportieren – in die kongolesischen Millionenstädte Goma und Bukavi und nach Burundi. Dazu hat Ruanda das Problem als zentralafrikanischer Staat, ohne Meerhafen alles teuer über Landwege zu importieren.
Jetzt will das Land künftig mehr Produkte selbst erzeugen: in Nahrungsmittel-, Zement- und Düngerfabriken. Für eine solche Industrie braucht man auch eine verlässliche Energieversorgung: Die Lösung heißt Torf und Methan aus dem See.
Deshalb eröffnet, wenngleich später als erwartet, demnächst eine zweite Methanförderungsanlage: Shema-Power, ein von britischem Lord finanziertes Sozialunternehmen, mit einer gegenüber Contour Global fast doppelten Kapazität.

Weniger Gas im See – weniger tote Fische

Mit jedem geförderten Kubikmeter Methan verkleinern sich auch die vom Gas im See ausgehenden Risiken. Zum Beispiel, dass immer wieder die kleinen Sambaza-Fische vergiftet werden. Die sind die Haupteinnahmequelle von Fischern wie Nisei Mantofia, den ich in einem Dorf bei Gisenyi treffe.
"Wir sind froh, dass ausländische Firmen das Gas jetzt aus dem Wasser herausholen. Vielleicht gedeihen dann die Sambaza besser und wir verdienen mehr. Außerdem haben wir nun endlich Strom. Außerdem haben zwei meiner Freunde einen Job bei einer Gasfirma gefunden: der eine als Fahrer, der andere im Kraftwerk."
Fischer auf dem Kivu-See bei Gisenyi. In kleinen Ein-Mann-Booten fahren sie über den See.
Fischer auf dem Kivu-See bei Gisenyi. Sie sind froh über die Gasförderung.© Thomas Kruchem
Das Kraftwerk liegt in der Stadt Kibuye am Südende des Kivu-Sees. Dort kommt das Methan über eine Pipeline hin.

Auch ein Methan-Kraftwerk setzt CO2 frei

Im Kontrollraum befindet sich ein Bildschirm neben dem anderen: zuckende Balken und Kurven, überwacht von vorwiegend einheimischen Technikern. Das komplexe Überwachungssystem, das hunderte Messwerte anzeigt, hat David Krasner entwickelt, der aus Russland stammende Software-Ingenieur und Produktionsleiter der Anlage.
Krasner führte mich in eine riesige Halle, in der drei riesige, blau lackierte Generatoren donnern: "Jeder mit 20 Zylindern und einer Kapazität von 8,7 Megawatt. Macht zusammen über 26 Megawatt."
Die Anlage ist ein Grundlastkraftwerk. Das heißt: Sie läuft rund um die Uhr und liefert so knapp 30 Prozent des aktuellen ruandischen Strombedarfs.
Der Kontrollraum des Methan-Kraftwerks in Kibuye mit Anlagenleiter David Krasner.
Der Kontrollraum des Methan-Kraftwerks in Kibuye mit Anlagenleiter David Krasner.© Thomas Kruchem
Draußen habe ich auf den in der Nachmittagssonne dunkelbraun-silbrig leuchtenden Schornstein geblickt: kein Rauch, kein Gestank. Sie würden hier sehr klima- und umweltfreundliche Energie produzieren, meinte Produktionsleiter Krasner stolz.
"In diesem Kraftwerk verwandeln wir Methan in Wasserdampf und Kohlendioxid, dass das Klima um das 25-Fache weniger belastet als Methan. Zugleich erzeugen wir umwelt- und klimafreundlich elektrische Energie, die Ruanda sonst wohl aus fossilen Energieträgern gewinnen müsste."
Aber: Die Verbrennung von Methan ist keine Produktion erneuerbarer Energie. Das gibt auch David Krasner zu. Auch die Verbrennung von Methan setzt gewisse Mengen des Klimagases Kohlendioxid frei – weit weniger aber als Kohle, Erdöl oder eben Torf.
Insoweit könnte die Methanförderung aus dem Kivu-See für Jahrzehnte einen sanften Übergang zu echter erneuerbarer Energie in Ruanda garantieren. Experten sprechen davon, dass die Methanmengen im See für 50 Jahre reichen.

Ein Magma-Ausbruch könnte Millionen den Tod bringen

Aber das birgt Gefahren: Erstens können die Firmen schlampig arbeiten und aus der Tiefe geholtes Waser nach der Gasabschöpfung einfach so wieder in den See leiten. Dieses Tiefenwasser aber enthält viele Nährstoffe. In kürzester Zeit wäre der See überdüngt: Algenblüten, Fischsterben – wie am Victoria-See.
Zweitens ist da eine gigantische Gefahr, die die Fachleute eigentlich erst nach dem jüngsten Ausbruch des Nyiragongo erkannt haben. Diese Gefahr hat mir Francois Darchambeau erklärt, der belgische Umweltexperte des Unternehmens Contour Global. Der ist während ich in Kibuye war, hektisch hin und her gehechtet zwischen Förderplattform und Kraftwerk – höchst besorgt über Vorgänge unter dem Kivu-See. Keine Zeit für ein Interview, das er mir erst gegeben hat, als er in Lüttich auf Heimaturlaub war:
"Wir alle vertrauten darauf, dass der See geologisch stabil ist und zumindest während der Laufzeit unseres Projekts insoweit nichts Dramatisches passieren werde. Wir wussten aber auch, dass es ein Ereignis geben könnte, dass gewaltige Mengen Gas an die Oberfläche des Sees befördern könnte: ein Magma-Ausbruch unter dem See.
Genau dieses Horror-Ereignis stand uns dann Ende Mai 2021 plötzlich vor Augen. Vulkanologen sagten uns, auf einer Fläche von 140 Quadratkilometern fließe Magma unter den See – in einer Tiefe von zwei bis fünf Kilometern, mit der enormen Geschwindigkeit von 20 Kilometern pro Tag. Am durch den See verlaufenden ostafrikanischen Grabenbruch kam der Magmafluss vorläufig zum Stillstand. Genau hier könne es, infolge des aufgebauten Drucks, zu einem Magmaausbruch kommen, sagten uns die Vulkanologen. Oder das Magma fließe entlang des Grabenbruchs weiter – nach Osten oder Westen."
Ein solcher Magmaausbruch, den im Mai viele Experten befürchteten, könnte zu einer plötzlichen Vermischung der Wasserschichten führen und zu einer Kettenreaktion: Wie aus einer Sprudelflasche würden Millionen Tonnen Gas aus dem See entweichen. Ein Tsunami würde die Uferregionen zerstören. Eine bis zu hundert Meter hohe Gaswolke würde bis zu vier Millionen Menschen ersticken – davon zwei Millionen allein in der Metropole Goma.

Im Ausland blickt man mit Sorge auf das Projekt

Angesichts dieser Lage gibt es zwar in Ruanda keine Kritik an dem Projekt, aber im Ausland: Die internationale Szene der Vulkanologen, Limnologen und Geografen macht sich schon Sorgen. In Deutschland habe ich mich mit dem Mainzer Geografieprofessor und Ruanda-Kenner Volker Wilhelmi unterhalten. Er hält die Methanförderung aus dem Kivu-See für überaus riskant:
"Normalerweise würde man sagen: Da lässt man die Finger von, weil es ganz einfach zu gefährlich ist. Wir haben hier direkt den ostafrikanischen Grabenbruch. Das ist eine extrem lebendige und unruhige Region, in der ständig mit Erdbeben und Ausbrüchen zu rechnen ist. Wir sind in einer Vulkanumgebung; der Nyiragongo hat Goma vor Jahren bereits fast zerstört. Das war eine Jahrhundertkatastrophe mit vielen, vielen Toten."
Für mich ist das eine Frage der Perspektive: Ohne begrenztes Risiko kommen Menschen, Unternehmen und ganze Länder nicht vorwärts. Konkret: Die Förderung von Methan auf Plattformen birgt für Ruanda und Kongo, solange sie verantwortungsbewusst betrieben wird, kein großes Risiko, aber viele Chancen.
Aber natürlich gibt es Risiken für das Unternehmen und seine Mitarbeiter, wenn zum Beispiel eine Rakete kongolesischer Rebellen die Plattform trifft.
Wenn der Vulkan aktiv wird und Magma unter dem See hervorbrechen lässt, dann gibt es die ultimative Katastrophe – egal, ob da oben auf dem See jemand Methan fördert oder nicht.
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