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Latinos in den USA
Die tägliche Angst vor der Abschiebung

US-Präsident Trump will ein Wahlversprechen nach dem anderen umsetzen: Dazu gehört auch die Abschiebung der sogenannten Illegalen, also jenen Menschen, die aus Mexiko stammen, aber zum Teil schon seit Jahrzehnten in den USA leben und dort für Niedriglöhne arbeiten. Im Februar gab es erste Razzien. Seither herrscht Panik in der Latino-Community.

Von Thilo Kößler | 29.03.2017
    Mitarbeiter der US-Zollbehörde nehmen einen jungen Ausländer fest.
    Mitarbeiter der US-Zollbehörde nehmen einen jungen Ausländer fest. Die Festnahmen waren Teil einer gezielten Aktion gegen flüchtige Immigranten. (dpa-picture-alliance/Polizeifoto)
    Mittags in einem Vorort von Fresno im Central Valley in Kalifornien: Die Sonne wärmt schon richtig, und Braythen Stoltenberg hat sich die Ärmel seines frisch gebügelten Hemdes hochgekrempelt: Sein goldener Stern mit dem grünen Wappen Fresnos auf der Brust weist ihn als Deputy Sheriff aus. Der junge Polizist ist schlank und durchtrainiert.
    Braythen stellt sein Viertel vor – "Old Fig Garden" heißt es, alter Feigengarten.
    Braythen steuert seinen breiten Ford-SUV mit der Aufschrift "Sheriff Fresno County" vom Hof der Polizeiwache. Seit Donald Trump im Januar sein Dekret verabschiedet hat, das darauf abzielt, illegale Einwanderer ausfindig zu machen und umgehend abzuschieben, könnte Braythen auch besonders auf Latinos achten.
    Das ist zwar eigentlich der Job der Einwandererpolizei ICE, kurz "Ice" genannt. Doch Trumps Heimatschutz-Minister John Kelly möchte auch lokale Polizeikräfte an den Razzien beteiligen. Aber Braythen macht da nicht mit. "Das ist nicht mein Job", sagt er – er käme nicht im Traum auf die Idee, während einer seiner Patrouillenfahrten anzuhalten und jemanden nach seinem Aufenthaltsstatus zu fragen.
    Keine Razzien bei Einwanderern ohne Papiere
    Braythen weiß seine Vorgesetzten hinter sich. Von seinem Sheriff hat er klare Anweisungen erhalten: Die Polizeikräfte von Fresno County beteiligen sich nicht an Razzien gegen Einwanderer ohne Papiere.
    Der Sheriff von Fresno County hat das Büro im sechsten Stock eines schmucklosen Bürogebäudes mitten in der Innenstadt. Der Sheriff ist eine Frau, heißt Margaret Mims, ist um die 50 Jahre alt und sehr erkältet.
    Der Job, die neuen Einwanderungsrichtlinien durchzusetzen, das sei Sache der Bundesbehörden – nicht der lokalen Polizeikräfte, stellt Sheriff Mims klar. Seit 11 Jahren ist sie nun schon Fresno County Sheriff, und nächstes Jahr stellt sie sich zur Wiederwahl.
    Diese demokratische Legitimation, gewählter Sheriff eines riesigen Bezirks mit 32 Städten zu sein, gibt ihr auch das Recht, sich über die Haltung des republikanischen Bürgermeisters von Fresno hinwegzusetzen. Lee Brand würde das Dekret von Präsident Trump am liebsten konsequent umsetzen. Aber niemand könne einem gewählten Sheriff vorschreiben, was er zu tun oder zu lassen hat, insistiert Sheriff Mims - selbst die Bundesbehörden nicht.
    Margaret Mims will ihre Polizeikräfte nicht in den Dienst der Trump´schen Abschiebepolitik stellen. Sie will auch nicht mit den Greiftrupps der ICE-Beamten zusammenarbeiten, die als brutal verschrien sind und mit Billigung der Trump-Administration völlig willkürlich vorgehen. Trump hat ihre Befugnisse massiv ausgeweitet: Nun reicht schon der bloße Verdacht eines Fehlverhaltens, um jemanden auszuweisen. Damit nicht genug: Margaret Mims hat beobachtet, dass offenbar gezielt Gerüchte gestreut werden, wonach ICE-Beamte gerade irgendwo dabei seien, Frauen und Kinder in Schlafanzügen aus ihren Wohnungen zu zerren und abzutransportieren. Sie gehe diesen Gerüchten regelmäßig nach und habe sie niemals bestätigt gefunden - aber sie lösen Panik aus und das muss aufhören, fordert Sheriff Mims.
    "Das ist der nackte Terror”, sagt auch Eduard de la Riva.
    "Die Angst geht um"
    Eduard de la Riva muss wissen, wie die Stimmung in der Bevölkerung ist. Er ist Stadtrat von Maywood – einer Kleinstadt im Central Valley, die als die am dichtesten besiedelte Gemeinde Kaliforniens gilt. 27.000 Einwohner zählt sie offiziell – inoffiziell sind es wohl 40.000. Der Anteil der Zuwanderer aus Mexiko und anderen Ländern Mittelamerikas dürfte so hoch sein wie nirgendwo sonst – er liegt bei mindestens 96 Prozent.
    Die Angst geht um, sagt Eduard de la Riva – obwohl Maywood sich schon vor 11 Jahren zur sogenannten Sanctuary City erklärt hat. Seither fragt die lokale Polizei niemanden mehr nach dem Aufenthaltsstatus. Doch richtigen Schutz bietet der Status der mittlerweile 633 Sanctuary Cities in den USA tatsächlich nicht – niemand könne die ICE-Beamten daran hindern, ihrem Job nachzugehen und gezielt nach Immigranten ohne Papiere zu suchen, sagt Stadtrat de la Riva. Deshalb sei die Sorge in der Bevölkerung so groß. Und deshalb könne er nur jedem raten, sich einen Anwalt zu suchen und einen Plan zurechtzulegen.
    De la Riva wird beängstigend konkret: Was geschieht mit den Kindern, wenn Mutter oder Vater aufgegriffen und abgeschoben werden? Wer holt sie von der Schule ab und versorgt sie? Darauf muss man vorbereitet sein, mahnt er.
    Das ist Teil einer Drohkulisse, die mittlerweile für regelrechte Panik unter den mutmaßlich 11 Millionen sogenannten "Illegalen" sorgt. Rosa und Miguel sind zwei von ihnen. Sie wollen ihre richtigen Namen nicht nennen. Diese Angst sei Teil einer neuen Realität, meint Rosa – und deshalb geht sie nicht mehr ohne dieses rote Kärtchen mit dem braunen Rand aus dem Haus: "Know your rights", steht drauf – nimm Deine Rechte wahr. Nämlich: Wer aufgegriffen wird, muss keinerlei Aussagen machen. Und darf vor einer Vernehmung einen Anwalt rufen.
    Donald Trump ruft Traumata wach
    Seit 1992 lebt sie mit ihren Eltern in Maywood. Rosa hat Angst davor, dass ihre Eltern abgeschoben werden und sie sich nicht mehr um den kranken Vater kümmern kann. Auch Miguel hat diese Befürchtung – auch er sorgt sich um seinen Vater. Miguels Mutter ist bereits vor Jahren abgeschoben worden. Und Donald Trump habe dieses Trauma wieder wachgerufen.
    Wenn ein Elternteil abgeschoben werde, sei das eine furchtbare Erfahrung für die ganze Familie, sagt Miguel. Er habe erst jetzt gelernt, dass er dieses Trauma im Grunde noch immer nicht verarbeitet habe – das Trauma, dass eine Familie einfach so und von jetzt auf gleich auseinandergerissen werden kann.