Freitag, 19. April 2024

Archiv


Lauterbach fordert Beteiligung der Einkommensstarken

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach befürwortet eine Anhebung der Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung um 0,3 Prozent. Dies sei unbedingt notwendig, um die angestrebten Qualitätsverbesserungen zu erreichen, sagte Lauterbach. Allerdings sperre sich die Union dagegen, die Einkommensstärksten an der Finanzierung zu beteiligen.

Moderation: Oliver Thoma | 16.06.2007
    Oliver Thoma: Der Streit um die Pflegeversicherung geht weiter. Die große Frage: wie viel Reform schafft die Große Koalition. Mehr als nur die übliche Beitragserhöhung? Am Montag wird sich der Koalitionsausschuss damit befassen. Das Problem: Die Kosten explodieren, die Finanzierung der Pflege muss auf ganz neue Beine gestellt werden. Und wie schon bei der Gesundheitsreform prallen hier zwischen Union und SPD zwei Welten aufeinander. Die Union will eine Kapitaldeckung, mehr Eigenverantwortung, weniger Solidarität, die SPD will die Bürgerversicherung, keine Trennung privat/gesetzlich. Karl Lauterbach, der Experte von der SPD, hat im Bundestag gegen die Gesundheitsreform gestimmt, und Herr Lauterbach, wiederholt sich nun das Drama bei der Pflegeversicherung?

    Karl Lauterbach: Nein, das wiederholt sich nicht. Also zum einen, es geht nicht um die Bürgerversicherung. Die Pflegeversicherung ist ja eine Bürgerversicherung. Also jeder hat dort den gleichen Anspruch auf die gleichen Leistungen schon jetzt, im Gegensatz zum Krankenversicherungssystem. Die Frage war nur, ob, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, die privat Versicherten sich auch beteiligen an den hohen Pflegekosten für die Einkommensschwachen und für diejenigen, die besonders hohe Pflegerisiken tragen, also die Menschen mit geringer Bildung. Bisher wird das Solidarsystem der Pflege ausschließlich von den gesetzlich Pflegeversicherten bezahlt, und daher war eine Beteiligung am Finanzausgleich der gesetzlichen Kassen vereinbart. Da sperrt sich aber jetzt die Union und ist offenbar nicht bereit, den Koalitionsvertrag umzusetzen. Das würde bedeuten, dass die Beitragssätze für die gesetzlich Versicherten deutlicher steigen müssen.

    Thoma: Im Koalitionsvertrag waren ja zur Pflegeversicherung relativ eindeutige Aussagen eigentlich gemacht, zum Beispiel, dass man diesen Kapitalstock aufbauen will, diesen Demografiefaktor für die geburtenstarken Jahrgänge, dass man also Kapital aufbaut und das Geld dann für die Pflegesicherung zur Verfügung hat. Wird das denn kommen?

    Lauterbach: Also der Kapitalaufbau, das heißt, hier geht es ja um Rückstellungen, das war ja nie etwas, was ich für besonders sinnvoll gehalten habe, denn die Pflegeversicherung ist im Vergleich zur Rentenversicherung eine kleine Versicherung. Sie hat im Prinzip eine sehr geringe Dimension. Wir brauchen mehr Kapitalaufbau, insbesondere für die Einkommensschwachen, in der Rente. Aber die Union wollte das unbedingt, sie will aber jetzt – und dazu wären wir auch weiterhin bereit – sie will aber jetzt im Gegenzug die Beteiligung der privat Versicherten am Finanzausgleich der Pflege nicht umsetzen. Das heißt, hier muss eine Hand die andere waschen, wenn die Union bereit ist, dass die privat Versicherten in den Finanzausgleich gerecht einzahlen. Und dann kann auch eine Rückstellung gebildet werden. Aber das Geschäft kann nicht so laufen, dass die Union, die für die private Assekuranz, also für die Versicherungsfirmen wichtige Rückstellungen, die den Versicherten kaum etwas bringt, dass das aufgebaut wird, aber die privat Versicherten sich an der Finanzierung der solidarischen Pflege nicht beteiligen. Das kann nicht einseitig sein.

    Thoma: Ist es denn so, dass jetzt letzten Endes nur eine Mini-Reform dabei rauskommt, weil es an den Finanzierungsmodellen scheitert?

    Lauterbach: Das würde ich nicht so sehen. Zum einen, das Ergebnis steht ja noch nicht fest, aber selbst dann, wenn man sich nur auf die Verbesserung der Pflegequalität, insbesondere für Demenzkranke, für diejenigen, die jetzt ambulant gepflegt werden, wenn man sich darauf einigen würde, und das wird man auf jeden Fall tun, dann verbessert sich die Qualität der Pflege. Das ist das, was für den Versicherten sowieso das Wichtigste ist. Und wir brauchen auch mehr Wettbewerb bei der Pflege, wir müssen zum Beispiel klarstellen, jeder Versicherte kann in Zukunft erfahren, welche Pflegeeinrichtungen sind gut, welche nicht. Das wird derzeit untersucht, aber wird den Versicherten nicht mitgeteilt, sodass keiner weiß, was sind eigentlich die guten Einrichtungen.

    Thoma: Aber die langfristige Finanzierung wird dann doch wieder auf die lange Bank geschoben?

    Lauterbach: Die langfristige Finanzierung ist erst einmal gesichert, wenn wir den Beitragssatz anheben würden. Und das ist aus meiner Sicht unbedingt notwendig. Ich selbst hielte eine Beitragssatzsteigerung von 0,3 für unbedingt notwendig, um die Qualitätsverbesserungen zu zahlen. Aber wie soll es weitergehen? Es ist einfach so, die Union sperrt sich hier, die Einkommensstärksten in der Gesellschaft an der Finanzierung der Pflege zu beteiligen. Ich kann es selbst nicht nachvollziehen. Hier wird eine Politik für zehn Prozent der Bevölkerung gemacht, und trotzdem will man aber von 40 oder 50 Prozent der Bevölkerung gewählt werden, das halte ich nicht für richtig.

    Thoma: Da werden die Privilegierten wieder bevorteilt, und wie das in unserem Staat ist, das beschreiben Sie auch in Ihrem neuen Buch "Die Zweiklassengesellschaft – wie die Privilegierten den Staat ruinieren". Dieses Buch hat für viel Aufsehen gesorgt, jetzt auch schon, weil Sie da sehr drastisch beschreiben, was in der Gesellschaft Ihrer Meinung nach abgeht. Die Pflege ist dabei ein Kapitel auch und letzten Endes sozusagen das letzte Kapitel im Leben der Zweiklassengesellschaft in Deutschland?

    Lauterbach: An der Pflege kann man das, was ich im Buch beschreibe, wieder perfekt dort sehen. Zum einen ist es so, wir müssen die Beitragssätze erhöhen, das belastet den Arbeitsmarkt, weil die Einkommensstärksten sich an der Finanzierung nicht beteiligen wollen, die lehnen das einfach ab. Also die Beamten, die privat versicherten Gutverdiener, die gut verdienenden Selbstständigen, diejenigen, die Zinskapitaleinkünfte haben, wollen nicht mitbezahlen, daher muss der Beitragssatz erhöht werden, und das belastet den Arbeitsmarkt und erhöht auch noch die Arbeitslosigkeit. Somit ein ungerechtes System. Dazu kommt, dass dann auch noch diejenigen, die einkommensstark sind, ein viel geringeres Pflegerisiko haben und dann besser gepflegt werden, wenn sie die Pflege benötigen. Das System ist ungerecht finanziert, die Pflegequalität hängt vom Einkommen ab, und die Privilegieren lassen es nicht zu, dass das geändert wird. Denn sie fragen sich, weshalb sollen wir auf Privilegien verzichten, nur damit die Arbeitslosigkeit sinkt oder damit die Pflegequalität der Migranten sich beispielsweise verbessert.

    Thoma: Aber Sie sagen, das ist im Prinzip von Geburt an vorbestimmt, dass man in der Pflege dann unterprivilegiert ist.

    Lauterbach: Na ja, wenn heute jemand in eine Migrantenfamilie geboren wird oder in eine Arbeiterfamilie, dann ist das Pflegerisiko für später schon sehr viel höher, weil die Pflegebedürftigkeit später vom Demenzrisiko abhängt, und das hängt an der Bildung. Menschen, die eine gute Bildung hatten, werden viel seltener demenzkrank später und auch pflegebedürftig. Das hängt damit zusammen, dass die Gehirnzellen in den jungen Jahren durch Bildung stärker gefordert und dann auch verknüpft werden. Später werden sie abgebaut. Und je größer die Reserve ist, desto besser. Also ein Mensch hat noch im Alter von 70 und 80 einen Gewinn davon, wenn er eine gute Bildung hatte. Und wird er in die falsche Familie geboren, kommt er in eine Hauptschule. Bei gleicher Begabung landen die meisten Arbeiterkinder, also bei guter Begabung, landen die meisten Arbeiterkinder heutzutage in der Hauptschule. Solange, wie es Hauptschulen gibt, müssen diese gefüllt werden. Das wird nicht passieren mit Kindern von Beamten oder Angestellten. Im Gegenzug: 85 Prozent der Kinder von Beamten, die landen später im Gymnasium, viele von ihnen eigentlich nicht dafür geeignet, nicht wirklich begabt. In Schweden beispielsweise studieren so viele Arbeiterkinder wie Akademikerkinder, weil die Intelligenzunterschiede sind nicht groß. Eigentlich sind Arbeiterkinder so intelligent wie die Kinder der Beamten oder von Akademikern. Sie müssen allerdings früh gefördert werden. Und das machen wir in Deutschland nicht.

    Thoma: Ich denke, viele der Missstände, die Sie in Ihrem Buch beschreiben, sind den Menschen eigentlich bewusst, weil sie sie ganz persönlich in der Zweiklassengesellschaft erleben. Sie erwarten aber eigentlich von den Politikern, dass sie daran was ändern. Und Sie kritisieren ja auch die Politiker, dass die Reformen nicht vorangetrieben werden. Und sind Sie ja eigentlich Politiker, schreiben Sie das Buch auch, weil Sie das da selber nicht haben durchsetzen können?

    Lauterbach: Ich bin ja noch nicht lange in der Politik, und ich habe in der Gesundheitsreform wie auch jetzt in der Pflegereform die Punkte, die mir bei der Qualität wichtig waren, zum Teil mit durchsetzen können, zum Teil sogar eigene Vorschläge durchsetzen können. Das wäre mir ja als Wissenschaftler nie gelungen. Also ich stehe im Zentrum der SPD, ich finde, die SPD hat die historische Aufgabe, den Zweiklassenstaat zum Thema zu machen und zu überwinden. Und Politiker müssen auch die öffentliche Meinung verändern. Also der Politiker macht sich heute oft künstlich klein, indem er die öffentliche Meinung nur versucht umzusetzen und in Politik zu gießen. Ich glaube, dass gute Politik auch darin besteht, dass man die öffentliche Meinung mit prägt. Und daher haben auch Politiker die Aufgabe, das Thema Zweiklassenstaat nach vorne zu bringen, müssen dann allerdings auch den zweiten Schuh fallen lassen und an der Bekämpfung des Zweiklassenstaat mit arbeiten.

    Thoma: Karl Lauterbach, der Gesundheitsexperte der SPD.