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Lautsprecher im Innenohr

Mit den Jahren hören die meisten Menschen schlechter. In aller Regel hilft dann ein Hörgerät, das den Schall verstärkt auf Trommelfell und Gehörknöchelchen überträgt. Diese "normalen" Hörgeräte versagen allerdings, wenn zusätzlich zu einer massiven Mittelohrschwerhörigkeit auch noch das Innenohr nicht mehr richtig arbeitet. Das kann passieren, wenn man beispielsweise zu lange wartet, bis man ein Hörgerät benutzt. Dann nämlich verändert sich das Hörvermögen im Innenohr. Ein neuartiges Mittelohrimplantat kann diesen Patienten jetzt helfen. Das Gerät mit Namen "DACS" wird seit Kurzem von einigen Unikliniken in Deutschland eingesetzt – bisher bei etwa 30 Patienten.

Von Michael Engel | 24.05.2011
    "Ja, das war vor ungefähr 14 Jahren. Da hatte ich mehrere Hörstürze bekommen. Und da fing das an, dass ich schwer höre. "

    Am Ende konnte Jürgen Hofmann aus Nordhorn gar nichts mehr hören. Diagnose: hochgradige Mittelohrschwerhörigkeit. Das heißt, die Übertragung der Schallschwingungen über die Gehörknöchelchen im Mittelohr funktionierte nicht mehr. Normale Hörgeräte helfen da nicht mehr weiter. Denn auch das Innenohr war bei ihm vorgeschädigt. Deshalb entschied sich Prof. Thomas Lenarz von der Medizinischen Hochschule Hannover für "DACS":

    "Bei "DACS" handelt es sich um ein implantierbares Hörgerät, bei dem ein kleiner Lautsprecher direkt in das Innenohr eingepflanzt wird. Also dort, wo die Sinneszellen sitzen. Man umgeht dabei die gesamte Wegstrecke vom äußeren Gehörgang – Trommelfell, Mittelohr – und geht dabei direkt ins Innenohr. Sodass man die Schallwellen, die erzeugt werden von diesem kleinen Lautsprecher, sehr effektiv direkt an den Ort des Hörgeschehens bringt."

    "DACS" ist das Kürzel für "Direct Acoustic Cochlear Stimulator". Das Gerät leitet den Schall "direkt" in das Innenohr hinein. Wie mit einem Unterwasser-Lautsprecher wird die Flüssigkeit dort mechanisch angeregt. Die Innenohrflüssigkeit wiederum bringt die Hörnerven zum Schwingen: Elektrische Signale entstehen - wir hören. Für die Patienten bedeutet das: Prothese einschalten und völlig normal hören. Jürgen Hofmann jedenfalls hat gute Erfahrungen gemacht:

    "Also nach dem Eingriff musste ich erst mal nach Hause und konnte auch gar nichts hören. Da musste die Wunde erst mal verheilen. Und dann musste ich ungefähr nach drei Wochen wieder hin. Und kriegte das Implantat auf die Ohren gesetzt. Ich bin aufgestanden. Ich war so was von ausgewechselt. Sodass ich heute wieder richtig telefonieren kann, richtig unterhalten kann, und ich fühle mich einfach wohl."

    Die Prothese besteht aus einem äußeren, über dem Ohr getragenen Teil mit Mikrofon und Elektronik. Der implantierte Teil wird mit der Schädeldecke fest verschraubt und verwandelt die Funksignale wie ein Walkie-Talkie wieder zurück in Schallschwingungen, die nun das Innenohr direkt anregen. Der Eingriff ist leider nicht unproblematisch. Um das Gerät mit dem kolbenartigen Lautsprecher einzuführen, muss das Innenohr chirurgisch eröffnet werden. Im schlimmsten Fall kann der extrem schwerhörige Patient vollkommen ertauben.

    Lenarz: "Das Entscheidende ist ja, dass wir eine mechanische Kopplung erreichen müssen. Das heißt, sie müssen im Prinzip dafür sorgen, dass dieser Kolben ausreichend tief, aber auch nicht zu tief in das Innenohr eintaucht. Und da reden wir über Zehntelmillimeter, die zu berücksichtigen sind. Auch der Zugangsweg zu dem Ohr zwischen verschiedenen, empfindlichen Strukturen – zwei Nerven sind dabei im Spiel – hindurch erfordert natürlich eine große Präzision."

    Gleichwohl: "DACS" kann Menschen helfen, die in der Hörversorgung bisher durch ein Raster gefallen sind: Bei denen schallverstärkende Hörgeräte nicht mehr helfen, aber noch ein Resthörvermögen vorhanden ist. Erste Uni-Kliniken wie in Hannover oder Heidelberg setzten bei rund 30 Patienten die Geräte ein. Prof. Lenarz rechnet mit mehreren Hunderttausend Menschen, die allein in Deutschland von der neuartigen Hörprothese profitieren könnten.