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Cola-Verschwörungsmythen
"Trink nicht das Blut deines Bruders"

Coca-Cola ist für manche Muslime zum Feindbild geworden. Sie unterstellen dem Getränkehersteller, Israel aufzurüsten. Dieser Verschwörungsmythos führt in der Türkei zu Protesten. Zuletzt, als Präsident Erdoğan eine neue Cola-Fabrik eröffnete. Nun gießen immer mehr Türken die Limo in den Gulli.

Von Hüseyin Topel | 21.09.2017
    Coladosen in der neuen Fabrik in Isparta, Türkei
    Die neue Cola-Fabrik in Isparta beschert dem türkischen Präsidenten Erdoğan innenpolitische Probleme (imago stock&people / Tolga Adanali)
    Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan eröffnet in Isparta, einer kleinen Stadt im Westen der Türkei, eine neue Fabrik des Getränkeherstellers Coca-Cola. Während der türkische Staatspräsident eine blaue Schleife durchschneidet, spricht er eine religiöse Formel, die aus dem Alltag frommer Muslime kaum wegzudenken ist.
    Aber diesmal berichten türkische Medien nicht so ausführlich wie üblich. Die Medien, die den Auftritt des Staatsoberhauptes senden, sprechen nur von der Eröffnung einer Saftfabrik. Der Markenname des Unternehmens wird konsequent abgeblendet. Denn es gibt große Widerstände gegen alles, was aus dem Westen kommt. Alparslan Kuytul, wichtiger Kopf einer kleinen fundamentalistischen Gruppe im Süden der Türkei, greift Erdoğan frontal an:
    "Wenn der türkische Staatspräsident eine Coca-Cola Fabrik eröffnet, begeht er einen historischen Fehler Wenn er das macht, wie sollen wir es seinen Wählern erklären, dass sie in Zukunft dieses Getränk boykottieren sollen?"
    "Moslem: Hör endlich auf, Cola zu trinken!"
    Der Hintergrund: In islamistischen Kreisen gilt Coca-Cola als etwas Teuflisches und als "haram", also als etwas Unreines. Denn angeblich würden US-Großkonzerne Israel im Kampf gegen die Palästinenser unterstützen. Und diese Großkonzerne seien selbstverständlich jüdische Großkonzerne. Das gelte auch für Coca-Cola. Die Folge: In der Türkei werden von Politikern und regierungsnahen Medien Boykott-Aufrufe verbreitet - egal ob sie nun antiamerikanisch, antiisraelisch oder antisemitisch sind. Das hört sich dann so an:
    "Moslem: Hör endlich auf, Cola zu trinken!" - "Die Coca-Cola-Dose und ihre zionistische Botschaft" - "Trink nicht weiter das Blut deines Bruders!"
    Die Schlagzeile "Trink nicht weiter das Blut deines Bruders" in großen Zeitungen in muslimischen Ländern hat Konsequenzen: In vielen Ländern wurden tausende Flaschen Coca-Cola aus den Regalen genommen und das Getränk verschüttet. Fundamentalistische Muslime haben auch in Deutschland Kindern mit türkischen Wurzeln Cola-Flaschen aus der Hand geschlagen. In Anatolien geht das einher mit Bekennermut vor Fernsehkameras: An einem Werbestand des Getränkeherstellers ruft ein Mann Passanten zum Boykott auf:
    "Mein Name ist Ilyas Kazici. Ich verschütte diese Cola. Denn jede Flasche ist eine Kugel auf unsere Geschwister in Palästina. Das ist ein Spiel Israels und ihr seid nur ihre Handlanger, die sich mit jeder Flasche an diesem Krieg beteiligen."
    "Kein Mohammed, kein Mekka"
    Aber was denken die anatolischen Passanten über diese Verschwörungsmythen? Haluk Yildiz beobachtet dieses Phänomen aus der Distanz. Er ist Lokalpolitiker in Bonn und Bundesvorsitzender einer Erdoğan-freundlichen Kleinpartei. Er bezweifelt, dass diese Verschwörungsmythen in der türkischen Bevölkerung einen großen Rückhalt haben.
    "Das sieht man auch an den Verbrauchszahlen von Coca-Cola. Man braucht eigentlich nur Untersuchungen zu machen, wie viele konservative Menschen Cola trinken. Ich glaube, die Zahl ist sehr, sehr groß."
    Im Jahr 2016 hat Coca-Cola 606 Millionen Kisten in der Türkei verkauft. Und das obwohl vor fast 20 Jahren in Ägypten das Gerücht aufkam, der Schriftzug Coca-Cola enthalte eine versteckte anti-islamische Botschaft. Spiegelverkehrt und in arabische Schriftzeichen umgewandelt ergibt sich nämlich: لا محمد لا مكه, "Kein Mohammed, kein Mekka". Obwohl der damalige Großmufti von Kairo die Theorie zurückwies, hielt sich das Gerücht und passte zu den verschiedenen Verschwörungsmythen. Auch der Islamist Alparslan Kuytul, der immer wieder mit antisemitischen Positionen auffällt, greift darauf zurück. Er gab sich nach der Einweihung der Fabrik durch Erdoğan entsetzt.
    "Gibt es denn keinen aufrichtigen Muslim mehr im Umfeld von Erdoğan, der ihn warnen kann, weil er einen großen Fehler begeht? Warum sagt ihm niemand: Verwöhne nicht Israel! Betrübe nicht das Herz der Muslime! Unterstütze keine Ungläubigen. Das darf nicht salonfähig werden! Vor dem jüngsten Gericht wirst du dich dafür nicht rechtfertigen können! Verflucht sei die Politik. Denk doch ans Jenseits! Ganz egal wie viel Druck sie auf dich ausüben sollten, beweise Haltung und sage: Nein! Diese Fabrik eröffne ich nicht!"
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei der Einweihung der Coca-Cola-Fabrik in Isparta am Rednerpult
    Gefährdet die Eröffnung einer Brause-Fabrik Erdoğans Seelenheil? (imago stock&people / Tolga Adanali)
    Und auch, wenn er Ja zu Coca-Cola gesagt hat - der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan steht für eine neo-muslimische Politik, die in den USA und Israel sowie generell im Westen ein großes Übel sehen. Wenn nicht das Böse schlechthin. Etwa, wenn Erdoğan vom gescheiterten Putsch spricht: Dann bezichtigt er mutmaßliche Putschisten, im Namen des Westens und für den israelischen Geheimdienst Mossad zu arbeiten. Erdoğan nutzt die anti-israelische Rhetorik konsequent seit Jahren.
    "Die imperialistischen Mächte benutzen Kreise aus unserer Mitte gegen unser Land. Wer nicht sehen will, dass die Putschisten mit dem Mossad kooperieren, soll verdammt sein."
    Ein derart scharfer Ton diene dazu, Verschwörungsmythen um jeden Preis zu stabilisieren.
    "Diese letzte Verschärfung, die kommt natürlich immer dann, wenn man sich da selber ins Hintertreffen kommen sieht und eigentlich versucht, mit einer möglichst drastischen Feinderklärung jetzt die Nation trotzdem noch zu retten. Also der Antisemit ist immer der radikalste Vorkämpfer der Nation. Der sieht sich gleichzeitig in der Position von krasser Unterlegenheit gegenüber diesen übermächtigen Leuten, die keine Skrupel kennen, und andererseits glaubt er aber trotzdem, dass er von sich aus eigentlich überlegen ist."
    "Da geht es ganz selten um faktische Stimmigkeit"
    Sagt Daniel Kulla, Autor des Buches "Entschwörungstheorie". Er sieht Staatspräsident Erdoğan in einem Zwiespalt. Einerseits bedient er sich anti-israelischer Verschwörungsmythen, andererseits weiht er eine Fabrik ein, der von Anhängern des politischen Islam unterstellt wird, das israelische Militär zu unterstützen.
    "Es gibt ja die ganze Zeit diesen Interessenskonflikt zwischen den realen, materiellen, ökonomischen Erwägungen, die man dann trotzdem als Staatsregierung treffen muss und dem, was man da ideologisch vertritt. Da ist ja immer eine Spannung drin. Das wäre wieder so eine Stelle, wo das auf den Prüfstand kommt und wo sich jetzt erweisen wird, inwiefern Erdoğan selber da immer noch die Deutungshoheit hat."
    Der scheint sich in diesem Spannungsfeld für die Ökonomie zu entscheiden. Denn auch für die meisten Wähler dürfte es entscheidend sein, ob Arbeitsplätze entstehen oder nicht. Daniel Kulla sagt:
    "Aber es ist Ideologie, es geht immer nur darum: ist es plausibel, ist es vermittelbar, geht es für die meisten Leute auf? Versprechen sich die meisten Leute, oder genügend Leute davon, dass es ihnen dann unter dieser ideologischen Erzählung unter dem Strich besser geht, dass sie mehr davon haben sozusagen. Da geht es ganz selten um die faktische Stimmigkeit."
    Anhängern des politischen Islam bleibt nun nichts anderes übrig, als sich zu fragen: "Haben wir in all den Jahren völlig umsonst dieses Getränk boykottiert?" Die Antwort lautet: Vermutlich ja. Ein Punktsieg also für Coca-Cola. Was aber Anhänger von Verschwörungstheorien kaum erschüttern dürfte.