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Leben auf niedrigster Stufe
Genforscher Craig Venter erschafft künstliche Minimalzelle

Für viele Genforscher ist es so etwas wie der Heilige Gral: die Minimalzelle. Nun hat der Wissenschaftler Craig Venter nach mehr als zehn Jahren Forschung im Labor einen Organismus hergestellt, der nur die Gene enthält, die absolut überlebensnotwendig sind. Das Bakterium hat eine Grundausstattung von 473 Genen und ähnelt weitgehend einem natürlichen Lebewesen.

Von Michael Lange | 29.03.2016
    Leben auf niedrigster Stufe
    Der Genforscher und Biotechnologe Craig Venter hat einen künstlichen Organismus erzeugt, dessen Genom auf das absolut Überlebensnotwendige reduziert wurde. (Imago / ZUMA Press)
    Für viele Genforscher ist es so etwas wie der Heilige Gral: die Minimalzelle. Schon 2005 formulierte der Wissenschaftler und Biotechnologie-Unternehmer Craig Venter sein großes Ziel: Er wollte einen Organismus im Labor herstellen, der nur die Gene enthält die absolut notwendig sind zum Leben.
    "Die Natur ist effizient, wenn es darum geht, Lebewesen für eine natürliche Umwelt zu entwickeln. Aber eine genetische Minimalausstattung für das Leben im Labor ist etwas anders."
    Als Ausgangspunkt wählte Craig Venter das Bakterium Mycoplasma mycoides, das als Parasit in Ziegen und Rindern lebt. Das Erbgut dieses einzelligen Organismus hatte sein Team bereits 2010 nachgebaut und es anschließend in ein anderes Bakterium verpflanzt. Das künstliche Erbmaterial übernahm daraufhin die Kontrolle. Craig Venter definierte das entstandene Bakterium als erste synthetische Lebensform und sorgte damit für Schlagzeilen. Nun hat er alle überflüssigen Gene aus diesem Organismus aussortiert.
    "Wir kennen Gene, die für die Anpassung an große Hitze verantwortlich sind - oder an andere seltene Umwelteinflüsse. Im Labor unter extrem konstanten Bedingungen braucht ein Organismus all diese Anpassungen nicht."
    Frustrierende Kleinarbeit im Labor
    Mit sogenannten Transposons schalteten die Forscher zunächst all die Gene aus, von denen sie annahmen, dass sie keine oder keine wichtige Aufgabe erfüllen. Eine frustrierende Kleinarbeit, die nicht sofort zum Erfolg führte.
    "Jede unserer Konstruktionen schlug fehl. Deshalb begannen wir, dem Bakterium das ursprüngliche Erbmaterial Gen für Gen zurückzugeben. Solange, bis wir irgendwann wieder einen lebensfähigen Organismus hatten."
    Rückblickend ist Craig Venter klar, warum er zunächst scheiterte. Manche der überflüssigen Gene werden gebraucht - nicht nur in Extremsituationen, auch unter Normalbedingungen. Craig Venter erklärt das mit einem Beispiel aus der Fliegerei:
    "Wenn Sie nichts von Flugzeugen wüssten und lassen einfach das rechte Triebwerk weg. Dann könnte die Maschine immer noch fliegen und landen. Das gleiche gilt für das linke Triebwerk. Daraus schließen Sie: Sowohl das rechte als auch das linke Triebwerk sind nicht unbedingt notwendig. Dass das nicht stimmt, merken Sie erst, wenn sie beide Triebwerke weglassen."
    Minimalzelle hat deutlich mehr Gene als erwartet
    Schließlich mussten die Forscher immer mehr Gene hinzufügen und endeten bei einer Grundausstattung von 473 Genen - deutlich mehr als erwartet. Bei 149 Genen – etwa einem Drittel - wissen die Forscher nicht, wozu sie gut sind. Bei 79 Genen können sie nicht einmal spekulieren. Für den Leiter der Forschungsgruppe am J-Craig-Venter-Institute, Clyde Hutchison, ist das jedoch keine schlechte Nachricht:
    "Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass wir bei keiner einzigen lebenden Zelle die Funktion aller Gene kennen, auch nicht bei dieser Minimal-Zelle. Aber wir sind dichter dran als bei jeder anderen Zelle."
    Der Bauplan des neuen Organismus ist im Labor entstanden. Sein Erbmaterial haben die Genforsche innerhalb von nur drei Wochen vollständig zusammengebaut. Dennoch ähnelt das Ergebnis weitgehend einem natürlichen Lebewesen. Craig Venters Traum, einen Organismus von Grund auf zu verstehen und selbst zu programmieren, bleibt vorerst ein Traum.
    "Es ist schon demütigend, wie wenig wir über die Grundlagen der Biologie wissen."