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Leben im Schatten der Fatwa

Am 14. Februar 1989 verurteilte Ayatollah Khomeini mittels einer Fatwa Salman Rushdie zum Tode. Diese Hexenjagd auf seine Person überwölbt Rushdies Leben wie auch seine Autobiografie "Joseph Anton". Sie ist Rückschau, Abrechnung - und, so meint der Rezensent, - eines seiner grandiosesten Bücher.

Von Shirin Sojitrawalla | 16.12.2012
    Gegen Ende landet der Autor der "Satanischen Verse" in der Stadt der Engel. Doch auch in Los Angeles findet Salman Rushdie die Liebe nicht, und die Freiheit auch nicht. Heute lebt er in New York und firmiert als der berühmteste Autor der Welt. Eine zweifelhafte Auszeichnung, weil sie sich nicht nur den großartigen Werken dieses Autors verdankt, sondern in erster Linie seiner jahrelangen Verfolgung und Bedrohung.

    Ausgerechnet am 14. Februar 1989, einem Valentinstag, an dem sich Menschen ihrer Liebe versichern, erfährt Salman Rushdie, dass der sterbenskranke Ayatollah Khomeini ihn mittels einer sogenannten Fatwa zum Tode verurteilt hat. Der Grund? Ein Buch, ein Roman, einer seiner besten: "Die satanischen Verse". Rushdie kann zuerst nicht glauben, was ihm geschieht. Islamisten werfen ihm vor, den Koran sowie den Propheten persönlich beleidigt zu haben. Ein Sturm der Entrüstung bricht los. In der ganzen Welt gehen Gotteskrieger auf die Straßen, protestieren gegen Salman Rushdie, verbrennen ihm mehr oder minder ähnlich sehende Puppen und auch sein Buch:

    "Er arbeitete über vier Jahre an dem Buch. Wenn man den Roman hinterher auf eine 'Beleidigung' zu reduzieren versuchte, hätte er am liebsten geantwortet: Ich kann sehr viel schneller beleidigen. Doch fanden es seine Gegner keineswegs seltsam, dass ein ernsthafter Schriftsteller ein Zehntel seines Lebens damit verbringt, etwas derart Grobes wie eine Beleidigung zu verfassen. Grund dafür war, dass sie sich weigerten, in ihm einen ernsthaften Schriftsteller zu sehen. Um ihn und seine Arbeit angreifen zu können, war es nötig, ihn als schlechten Menschen darzustellen, als einen Abtrünnigen und Verräter, als jemanden, der skrupellos Ruhm und Reichtum suchte, als Opportunisten, dessen Werk ohne Verdienst war und der aus persönlicher Gewinnsucht den 'Islam attackierte'. Das war mit der so oft wiederholten Phrase gemeint: Er hat es mit Absicht getan.

    Nun, natürlich hatte er es mit Absicht getan. Wie wollte man denn auch absichtslos eine Viertelmillion Worte schreiben? Das Problem war, um es mit Bill Clinton zu formulieren, was man denn mit 'es' meinte. Und die seltsame Wahrheit lautete, dass das neue Buch – nach zwei Büchern, die sich direkt mit der öffentlichen Geschichte des indischen Subkontinents befasst hatten – für ihn eine eher persönliche, gar innere Erkundung war, ein erster Versuch, ein Werk aus seiner Erfahrung mit Migration und Metamorphose zu schaffen: Seiner Meinung nach war es von den drei Büchern das, was am wenigsten politisch war. Und sein aus der Gründungsgeschichte des Islam gewonnenes Material zeugte, wie er fand, im Grunde doch von seiner Bewunderung für den Propheten des Islams, gar seinem Respekt."


    Das sagt Salman Rushdie über Salman Rushdie und sein zweites Ich Joseph Anton. So lautete sein Deckname in all den Jahren, die er unter Polizeischutz sein Leben fristete. Joseph wie Joseph Conrad und Anton wie Anton Tschechow. Zwei seiner Hausgötter. Von sich selbst spricht Rushdie in seiner Autobiografie in der dritten Person. Das wirkt zuweilen als spräche er von einem Fremden, was durch die Aufspaltung seiner Biografie in Salman Rushdie und Joseph Anton mehr als plausibel schiene. Beim Lesen stiftet das personale Erzählen zuweilen Verwirrung, weil man nicht weiß, welcher "er" jetzt gemeint ist. Die dritte Person macht Rushdie unnahbar, während ein Ich womöglich eine, wenn auch fiktive, Verbindung zum Leser herstellen würde. Wahr ist aber auch, dass man mit der Zeit vergisst, dass er nicht in Ichform erzählt, so persönlich und intim geraten seine Ausführungen zuweilen. Im Mittelpunkt des Buches stehen die Jahre der Fatwa, die bis heute nicht offiziell aufgehoben ist, aber laut Rushdie keine Bedrohung mehr für ihn darstellt.

    Dieses Ereignis, eine nicht für möglich gehaltene Hexenjagd auf einen einzelnen Autor, überwölbt sein Leben und folglich auch seine Autobiografie. Dabei zieht er selbst eine direkte Linie von seinem Todesurteil zu den Anschlägen vom 11. September in New York. Als Sinnbild dient ihm dafür eine Szene aus Hitchcocks Filmklassiker "Die Vögel", in der sich auf einem Klettergerüst erst ein schwarzer Vogel niederlässt, wo es später nur so wimmeln wird vor Vögeln. Ein Horrorszenario, das sich bei den Anschlägen auf das World Trade Centre verwirklichte. Die Fatwa ist der Fixpunkt dieses Buches, doch es gab ein Leben davor und auch eines mittendrin. Geboren wurde Salman Rushdie 1947 in Bombay in eine konservative, gut situierte Familie, die es sich leisten konnte, ihr ältestes Kind und einzigen Sohn mit dreizehn Jahren nach England aufs Internat zu schicken. Aufschlussreich schildert Rushdie seine Emigration und erkennt, dass Migration nicht bedeutet, keine Wurzeln mehr zu haben, sondern vielerorts verwurzelt zu sein. Doch zu Beginn seines Auslandsaufenthaltes ist er noch mit den "Mühen der Selbstwerdung" beschäftigt, wie er schreibt. Dabei habe es damals im Internat drei Fehler gegeben, die man auf keinen Fall begehen durfte: Ausländer sein, klug sein, unsportlich sein. Keine leichte Zeit also für den klugen, unsportlichen Ausländer Salman Rushdie. Er eckte an und versteckte sich in Büchern. Die siebziger Jahre mit ihrem Indien-Faible kamen ihm dann gerade recht. Nach seinem Studium in Cambridge schlägt er sich als Werbetexter durch, schreibt sein Erstlingswerk "Grimus", bevor er die Arbeit an seinem Jahrhundertroman "Mitternachtskinder" beginnt.

    "Eine Zeit lang schien es, als sollte dies ein einfacher Roman über seine Kindheit werden, doch machte sich schon bald bemerkbar, welche Auswirkungen das Geburtsdatum seines Protagonisten hatte. Wenn sie Zwillinge waren, dieser aufs Neue ersonnene Saleem Sinai und die neugeborene Nation, dann musste das Buch die Geschichte beider Zwillinge erzählen. Geschichte überflutete seine Seiten, gewaltig und vertraut, kreativ und destruktiv, und er begriff, seinem Werk hatte bislang auch diese Dimension gefehlt. Er war studierter Historiker, und was wesentlich an der Historie war, dass man nämlich begriff, wie das Leben einzelner Menschen, Gemeinschaften, Nationen und gesellschaftlicher Klassen von großen Kräften geformt wurde, sie aber dennoch zuzeiten die Fähigkeit bewahrten, diese Kräfte in bestimmte Richtungen zu lenken, musste auch für die Fiktion wesentlich sein. Seine Aufregung wuchs. Er hatte eine Schnittstelle zwischen dem Privaten und Öffentlichen gefunden, und er würde sein Buch an genau diesem Scheideweg ansiedeln. Das Politische und das Persönliche konnten nicht länger getrennt bleiben. Sie lebten schließlich nicht mehr in den Tagen von Jane Austen, die ihr ganzes Werk während der napoleonischen Kriege verfasste, ohne diese ein einziges Mal zu erwähnen, und für die die Rolle der britischen Armee vor allem darin bestanden hatte, ihre Soldaten Paradeuniformen tragen und auf Partys hinreißend aussehen zu lassen. Er würde sein Buch auch nicht im kühlen Englisch eines E.M. Forster schreiben. Indien war nicht kühl; es war heiß. Es war heiß, überbevölkert, vulgär und laut, und es brauchte eine Sprache, die dazu passte und er wollte diese Sprache finden."

    Diese Sprache hat er gefunden. Eine Sprache, die der Wirklichkeit mit Magie zu Leibe rückt. Eine Sprache, die der Reizüberflutung unserer Tage auf dem Fuße folgt. Eine Sprache, die sich der oralen Erzähltradition des Orients anheim gibt und sich im selben Augenblick in die Erzähltradition des Westens stellt. Überbordend, erschöpfend, ausschweifend, komisch, bewegend, scharfzüngig, lustvoll: unnachahmlich. Ein Kritiker nannte diesen Stil einmal die "Vollfettstufe des Erzählens", besser kann man es nicht sagen. Dieser Stil, der ihn bekannt gemacht hat und den er in seinen "Mitternachtskindern" zum ersten Mal in all seiner Meisterschaft vorführte, weswegen der Roman nicht nur 1981 den Booker Prize, sondern auch 1993 den "Booker of the Bookers" und 2008 den "Best of Bookers" einheimste, zeichnet auch sein autobiografisches Schreiben aus. Rushdie erzählt nicht geradewegs von A nach B.

    Er beginnt mit der Fatwa und springt dann hin und her, mal zurück in die Kindheit nach Bombay, dann wieder voraus in Ehen, die einmal geschieden werden. Dabei erweist er sich auch in seinen Memoiren als Meister der Abschweifung, der hier noch eine Anekdote einfügt und dort noch einen Witz loswird. In seinem Kern ist das Buch die Autobiografie von Joseph Anton, den seine Personenschützer zu Joe verkürzen, was er hasst. Als der Wahnsinn über seinem Schädel hereinbricht, notiert er in sein Tagebuch "Ich kämpfe den Kampf meines Lebens." Diesen Kampf kämpft er noch immer, das Buch ist voll von Rechtfertigungen damaliger Auseinandersetzungen und noch immer merkt man Rushdie sein Bemühen an, die Welt davon zu überzeugen, dass er diesen Kampf nicht um seinetwillen, sondern um der Freiheit des Wortes und der Menschen willen kämpft. Es gab und gibt viele, die obwohl sie seinen Roman nicht gotteslästerlich fanden, nicht an seiner Seite standen und stehen. Viele, die ihn arrogant, besserwisserisch und irgendwie unheimlich fanden und finden. Da schnappen durchaus auch rassistische Vorurteile zu wie auch der Umstand, dass Rushdie kein vor Dankbarkeit berstender Duckmäuser ist, sondern einer, der für sich und seine Rechte nicht nur einsteht, sondern sie vehement einfordert. Das ist nicht immer sympathisch und kommt nicht überall gut an. Die britische Boulevardpresse machte sich beinahe täglich Sorgen um die Staatsausgaben für den Inder Rushdie, manch ein Schriftstellerkollege mutmaßte gar, er habe es drauf abgesehen, weltweiten Wirbel zu veranstalten und Journalisten quälten ihn mit der Sportreporterfrage "Wie fühlen Sie sich?". Rushdie lässt all diese Dinge, indem er sie aufschreibt, ein zweites Mal geschehen. Und er erzählt in seinem Buch, wie er lernte, mit seinem Leben umzugehen.

    "Sein größtes Problem, so dachte er in seinen trübsten Momenten, war, dass er nicht tot war. Wäre er tot gewesen, hätte niemand in England sich darüber aufregen müssen, wie viel sein Schutz kostete und ob er diese andauernde Sonderbehandlung überhaupt verdiene. Er hätte nicht um sein Recht kämpfen müssen, in ein Flugzeug einzusteigen, noch darum, dass höhere Polizeibeamte ihm ein Quäntchen mehr persönliche Freiheit gewährten. Er müsste sich nicht mehr um die Sicherheit seines Kindes sorgen. Er würde nicht mehr mit Politikern reden müssen (Riesenvorteil). Seine Verbannung aus Indien würde nicht mehr wehtun. Und der Stress wäre definitiv geringer.

    Er sollte tot sein, doch offensichtlich hatte er das nicht begriffen. Die Schlagzeile wartete nur darauf, gedruckt zu werden. Die Nachrufe waren geschrieben. In Tragödien und selbst in Tragikomödien war es dem Helden nicht erlaubt, das Szenario umzuschreiben. Doch er bestand hartnäckig darauf, zu leben und – schlimmer noch – zu reden, für seine Sache zu streiten, zu glauben, nicht er habe unrecht getan, sondern ihm sei unrecht getan worden, seine Arbeit zu verteidigen und – ist das zu fassen' – sein Leben zurückzuverlangen, Stückchen für Stückchen, Schritt für Schritt. 'Was ist blond, hat dicke Titten und lebt in Tasmanien?' 'Salman Rushdie!', lautete ein beliebter Witz, und hätte er einem Zeugenschutzprogramm zugestimmt und unter falschem Namen an irgendeinem unbekannten Ort sein trostloses Dasein gefristet, wäre das auch in Ordnung gewesen. Doch Joseph Anton wollte wieder Salman Rushdie werden, und das war schlicht unerhört. Dies durfte keine Erfolgsgeschichte sein, Annehmlichkeiten hatten darin nichts zu suchen. Tot ließe er sich vielleicht noch als Märtyrer der Meinungsfreiheit würdigen. Lebendig war er öde und geradezu nervtötend lästig."

    Aus diesen sarkastischen Sätzen sind die Verletzungen der Vergangenheit noch deutlich herauszuhören. Ebenso die Wut über die Zustände der Welt. In der Zeit, die er von Polizisten bewacht an unbekannten Orten verbringen musste, schrieb er viele Briefe, die er nicht abschicken durfte, um kein Öl ins Feuer zu gießen. Seine Autobiografie gibt ihm jetzt die Möglichkeit, auch diese Briefe, etwa an Tony Blair oder Gott, abzusenden und im Nachhinein Klartext zu reden. So dient ihm das Buch nicht nur zur Rückschau auf verlebtes Leben, sondern auch zur Abrechnung mit vielerlei Dingen und Menschen. Das mehr als 700 Seiten starke Buch hält eine Unmenge an Partys, Intrigen, Krankheits- und Todesfällen, Hochzeiten, Gesprächen, Telefonaten, Abendessen, Streitereien und Geburtstagen bereit. Und immer wieder muss Rushdie den ermüdenden Cha-Cha-Cha aus Fort- und Rückschritten tanzen, die das diplomatische Geschacher auf allen Ebenen begleiten. Außer der täglichen Sorge um sein Überleben lässt er den Leser auch an seinen Allerweltssorgen teilhaben, seien es der zeitweilige Kummer mit dem pubertierenden Sohn oder Schlechtigkeiten unter Freunden. Nicht immer steht Rushdie gut da, oftmals aber schon. Kleine Gemeinheiten gegen Schriftstellerkollegen finden sich ebenso in diesem Buch wie netter Tratsch. Dabei ist es immer wieder sein königlich schwarzer Humor, der ihn vor Larmoyanz und Weinerlichkeit bewahrt.

    Nicht nur drei britische Premierminister erlebt Rushdie während seiner dunkelsten Zeit, sondern auch drei Frauen, die versuchen, sich an seiner Seite zu halten. Rosenkriege focht er manche aus in seinem Leben. Dabei wäscht er durchaus schmutzige Wäsche und gibt viel preis von sich und seinen Frauen. Das kommt neugierigen Lesern entgegen, die vieles erfahren, was sie streng genommen gar nichts angeht. Dabei belässt es Rushdie aber nicht nur bei Details aus seinem Leben, sondern versteht es, gerade die Unmöglichkeiten der Ehe allgemeingültig zu spiegeln, etwa wenn er über das Ende seiner dritten Ehe schreibt:

    "Am Ende einer Ehe gibt es nichts Neues mehr. Der eine, der sie langsam beendete, schleppte sich fort, während die andere, die nicht wollte, dass sie endete, zwischen kummervoller Liebe und rachsüchtiger Wut hin- und herschwankte. Es gab Tage, an denen ihnen wieder einfiel, was für Menschen sie einst gewesen waren, und sie sich zu Nachsicht und Verständnis durchrangen. Doch diese Tage wurden seltener. Dann kamen die Anwälte ins Spiel, und dann waren beide wütend und der, der die Ehe beendete, hörte auf, sich schuldig zu fühlen. Als Du in mein Leben kamst, bist Du Fahrrad gefahren, hast als Juniorlektorin gearbeitet und in irgendeiner Mansarde zur Untermiete gewohnt, und jetzt willst du dich als Millionärin daraus verabschieden. Und die, die sie nicht beenden wollte, tat alles, von dem sie hätte schwören können, es niemals zu tun, um dem, der sie beendete, seinen Sohn vorzuenthalten. Ich werde dir nie verzeihen, du hast sein Leben ruiniert, ich denke dabei nicht an dich, sondern an ihn. Und sie mussten damit vor Gericht ziehen, und der Richter musste ihnen sagen, dass sie gar nicht hier sein sollten, sondern es ihrem Sohn schuldig seien, sich zu einigen. Das waren nicht die Menschen, die sie eigentlich waren. Die würden erst mit der Zeit wieder zum Vorschein kommen, nachdem die Beschimpfungen, die Gier und die Zerstörungswut hinter ihnen lagen, nachdem die, die verlassen wurde, seiner Illusion in New York begegnete und sie in einem Vokabular beleidigte, das niemand bei ihr vermutet hätte, nachdem sie sich über das Sorgerecht für ihren Sohn geeinigt hatten; irgendwann in dieser Zukunft, als der Krieg beendet war und der Schmerz langsam nachließ, fanden sie zu sich zurück und erinnerten sich, dass sie einander gemocht hatten und darüber hinaus ihrem Kind gute Eltern sein wollten, und ein kleiner Funke Herzlichkeit schlich sich wieder ein, und schon bald diskutierten sie die Dinge wie Erwachsene, noch immer – ziemlich oft sogar – uneins, und manchmal genervt voneinander, doch sie konnten miteinander sprechen, sich sogar sehen, fanden, wenn auch nicht zueinander, so doch zu sich selbst zurück und schafften es ab und zu sogar zu lächeln."

    Bei der eben erwähnten Illusion in New York handelt es sich um das indische Fotomodel Padma Lakshmi, etliche Jahre jünger als er und bildhübsch, wurde sie die vierte Ehefrau von Salman Rushdie. In der Rückschau nennt er das, was alle Welt damals als klassische Midlife-Crisis abhakte, seine Millenniums-Illusion. Sie verkörperte für ihn seinen Traum von der Zukunft und alle, die sich in jenen Jahren wunderten über das schräge Paar werden nun aufgeklärt über die damaligen Umstände, die man sich freilich so oder so ähnlich denken durfte. Nicht selbst ausdenken konnte man sich bislang die genauen Umstände seines Untertauchens, die Angst, die Verzweiflung, die ihn einmal gar dazu brachte, sich zum Islam zu bekennen. Ihn, den Ungläubigen, den bekennenden Gottlosen.

    Der Unglaube ist auch ein Erbe seines Vaters, dessen Tod Rushdie in seiner Autobiografie berührend schildert. Er ist stolz auf dieses Erbe.
    13 Jahre fristet er sein Dasein unter Polizeischutz. In seiner Autobiografie erzählt er auch, was in jener Zeit, in der er nicht mehr die Titelseiten der Zeitungen beherrschte, geschah. Er offenbart Politisches und Privates, plaudert aber auch über viele Motive aus seinen Romanen, verrät, wer Vorbild für jenes oder dieses war. Und er präsentiert sich in all seinen Facetten: Als Vater, als Emigrant, als Liebender, als Witzbold, als Historiker und als Klatschtante. Nicht selten fühlte er sich in der Zeit seiner Verfolgung, als sei er in einen schlechten Roman hineingeraten. Er, dessen Freiheitsliebe sich so wenig mit der Fatwa wie mit einer herkömmlichen Ehe vereinbaren ließ.

    Seine jetzt vorliegende Autobiografie zählt dabei nicht nur zu seinen umfangreichsten, sondern auch zu seinen grandiosesten Büchern.

    Salman Rushdie: Joseph Anton. Die Autobiografie.
    Aus dem Englischen von Verena von Koskull und Bernhard Robben
    C. Bertelsmann Verlag 2012, 705 Seiten, 24,99 Euro