Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Leben in der Tiefe

Mikrobiologie. – Die Erdkruste lebt, und das nicht nur weil Menschen immer tiefer Stollen und Bergwerke in sie hineintreiben. Tiefe Biosphäre werden Einzeller genannt, die es sich in den tieferen Gesteinsschichten bequem gemacht haben, und manche Forscher gehen davon aus, dass sie einen beachtlichen Teil der irdischen Biomasse ausmachen. In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Science" berichtet nun ein internationales Forschungsteam von besonders tief lebenden Bakterien.

Von Volkart Wildermuth | 20.10.2006
    Wer im Inneren der Erdkruste nach Leben suchen will, der muss nach Südafrika fahren. Die wertvollen Golderze machen dort einen Abbau in drei Kilometern Tiefe rentabel. Am weitesten vorgestoßen sind die Kumpel einer Mine namens Mponeng in der Nähe von Johannesburg. Immer, wenn sie auf Wasser treffen, telefonieren sie nach oben, und alarmieren den Forscher vom Dienst. In den letzten Jahren saß auch Dr. Johanna Lippmann-Pipke häufig Wache und machte sich immer wieder auf den beschwerlichen Weg hinab in den Schacht:

    "Man muss sich da also ziemlich daran gewöhnen bei über dreißig oder über dreißig Grad in voller Montur mit Helm und Gummistiefel und schwerem Gepäck voran zu kommen und wenn wir dann auf die gesuchten Wasserstellen trafen, kommt es teilweise in großen Mengen aus einem kleinen Bohrloch heraus gespritzt. Während der Probenentnahme werden wir sicher klatschnass, vom Overall, das läuft uns in die Schuhe, wir müssen trotzdem sehr sauber arbeiten, quasi als wären wir in einem Labor, das ist recht schwierig."

    Literweise hat die Physikerin vom Geoforschungszentrum Potsdam in der Mponeng-Mine die sechzig Grad heiße, ziemlich salzige Flüssigkeit in Flaschen gefüllt. An der Oberfläche wurden die Proben dann aufgeteilt und von verschiedenen Spezialisten untersucht. Biologen filterten große Wassermengen um die wenigen Bakterien zu erwischen. In der Kultur ließen sie sich nicht vermehren, aber eine DNA-Analyse ergab, dass es sich vor allem um einen Bakterienstamm handelt, dessen Verwandte zum Beispiel an den heißen Schloten der Tiefsee leben. Doch anders als diese haben die Bakterien aus fast drei Kilometern Tiefe schon lange keinen Kontakt mehr zur Oberfläche gehabt, ergaben die Messungen von Johanna Lippmann-Pipke:

    "An diesem speziellen Bohrloch hat sich herausgestellt, das Wasser das dort zufließt hat ein mittleres Alter von ungefähr 15 bis 20 Millionen Jahren, und das bedeutet nun, dieses Wasser was wir angetroffen haben, ist seit dieser Zeit isoliert oder unabhängig von der belebten Atmosphäre, Biosphäre von der Oberfläche, auf der wir uns selbst sonst bewegen."

    Die Energie der Bakterien kann also nicht einmal auf Umwegen vom Licht der Sonne stammen. Offenbar sind auch rein geologische Prozesse in der Lage, ein Ökosystem dauerhaft am Leben zu erhalten. Die Energiequelle unter Tage ist die natürliche Radioaktivität des Gesteins, die hier einmal nicht Leben zerstört, sondern erhält. Die Strahlen setzen aus Wasser Wasserstoff frei. Dieses Gas ist ausgesprochen reaktionsfreudig und die Bakterien nutzen es, um ihren Stoffwechsel anzutreiben. So ist eine Existenz in ewiger Dunkelheit möglich, allerdings ist der Lebensraum Gestein nichts für hektische Zeitgenossen. Die Vermehrungsraten der Bakterien sind außerordentlich gering. Lippmann-Pipke:

    "Das kann man abschätzen, da war auch meine Datierung für nötig, denn letztendlich betrachtet man die Menge des Verdauungsproduktes und teilt durch das Alter, dann kriegt man ungefähr eine Idee, wie langsam diese Bakterien sozusagen leben und eine abgeschätztes Zeitintervall ergibt, dass sich Zellen in ungefähr in 40 bis 300 Jahren einmal verdoppeln."

    Mehr ist nicht drin. Wahrscheinlich nutzen die Zellen einen ergiebigen Gesteinsfleck, teilen sich ein paar Mal und bilden dann Sporen, die über Jahrhunderte im Tiefenwasser treiben, bis die lokalen Umstände wieder einmal günstig sind. Die Tiefe lebt, aber sie lebt gerade mal eben so. Da ist es wohl unwahrscheinlich, dass es künftig Heerscharen von Biologen in die Goldmienen Südafrikas zieht. Johanna Lippmann-Pipke vermutet eher, dass Astronomen sich für den Lebensraum Erdkruste interessieren werden:

    "Es ist ein faszinierender Gedanke, zu überlegen, ob es ähnliche Biosphären gibt, auf anderen Planten, wie wir sie auf unserer Erde in der großen Tiefen antreffen."