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Leben und Kämpfen im Dreißigjährigen Krieg

Während des Dreißigjährigen Krieges fand im brandenburgischen Wittstock eine Schlacht zwischen der schwedischen und der kaiserlich-sächsischen Armee statt. Anhand von Knochenfunden hat das Landesmuseum Brandenburg rekonstruiert, wie die Soldaten lebten, aussahen und woher sie kamen.

Von Eva-Maria Götz | 24.05.2012
    "Wir wollen keine Geschichte schreiben, wie sie schon so oft geschrieben wurde, die Geschichte der Herrschenden, die Geschichte der Reichen, sondern wir wollen versuchen, die Geschichte der einfachen Soldaten zu erzählen."

    "Es müssen mehr als 20.000 Soldaten des Kaisers sein, Sachsen sind wohl auch dabei. – Hoffentlich bleiben sie draußen auf dem Feld und kommen nicht in die Stadt."

    Wenn man die Ausstellung betritt, steht man in der Silhouette eines mittelalterlichen Dorfes. Es ist Nacht,.der Himmel ist dunkel, die Fachwerkhäuser, die hier an den Seiten auf die Wände gemalt sind, sind erleuchtet, die Fenster sind erleuchtet, und ein Fenster ist besonders groß, da sieht man die Silhouetten von zwei Personen, die man auch hört. Sie unterhalten sich darüber, dass vor den Toren der Stadt eine große Armee angekommen ist. Das ist Wittstock.

    "Ja, das ist Wittstock. Das kann aber auch jede andere beliebige Stadt in Brandenburg oder im gesamten deutschen Reich sein. Es ging uns darum: Der Besucher betritt quasi aus dem 21. Jahrhundert kommend den Ausstellungsraum, und wir müssen sehen, dass wir ihn möglichst schnell ins 17. Jahrhundert holen,und ihm auch ein Gefühl dafür vermitteln, wie schwierig diese Zeiten gewesen sind. Es gibt Regionen, dazu gehört Brandenburg, dazu gehört Mecklenburg, wo die Bevölkerung um fast zwei Drittel zurückgegangen ist. es gibt einzelne große Orte, Ortschaften, die 80 Prozent ihrer Bevölkerung verloren haben."

    Wie war denn die Situation Brandenburg, 1618, als der Krieg begann?

    "1618 war die sogenannte kleine Eiszeit auch schon- salopp gesagt- in vollem Gange. Eine Phase, wo es immer wieder Perioden gab mit sehr schlechtem Klima, mit Ernterückschlägen. Aber die großen Hungersnöte und vor allem diese zahlreichen Krankheiten, Pest, Seuchenzüge, die sind erst mit dem Krieg gekommen, mit den Soldaten, die insbesondere für die Verbreitung der Krankheiten gesorgt haben. Wir haben hier eine Vitrine, wo wir einzelne Gebeine, Knochen von Kindern, haben, um zu zeigen, dass die Not in einer Region sich natürlich bei den Kindern am schnellsten zeigt. Das ist ein Friedhof, östlich von Berlin, und es gibt dort aus der Frühen Neuzeit so gut wie kein einziges Kind, was nicht massive Krankheiten, massive Mangelerscheinungen als Säugling als Kleinkind erlitten hat."

    Man sieht hier auch ein Wandgemälde. Das ist , glaub ich, eine Musterung.

    "Genau, wir wollen darstellen: wie kommt ein Mann in die Armee. Die Gründe sind eigentlich klar, die Situation war so schlecht, die Männer konnten sich nicht mehr ernähren, die Armee war häufig der einzige Ausweg."

    Hier sind Zelte aufgestellt, also, wir nähern uns der Schlacht.

    "Der Besucher soll sich wirklich wie in einem Zeltlager fühlen, sie sehen kleine Zelte, die sind wirklich relativ klein mit Grundflächen von 2 Meter auf 1,80 Meter. Das sind Zelte, in denen während des Dreißigjährigen Krieges bis zu vier Männer übernachten mussten."

    Das war eng.

    <im_80528>ACHTUNG NUR IN ZUSAMMENHANG MIT AUSSTELLUNG "1636" IM ARCHÄOLOGISCHEN LANDESMUSEUM BRANDENBURG</im_80528>"Das war sehr eng, und wir kommen nachher noch dazu : nicht nur eng, sondern auch mit Parasiten belastet, unhygienisch und so weiter. Wenn der Besucher diesen Bereich unserer Ausstellung betritt, dann wollen wir ihm das Leben der Soldaten zeigen und ein bisschen auch in einem chronologischen Ablauf. Und das erste, was ein Mann machen muss, wenn er in die Armee kommt, ist, er muss ausgerüstet werden, und wir versuchen hier auch die unterschiedlichen Armeeabläufe zu erläutern. Das Massengrab ist am Ende einer Schlacht entstanden, dass heißt, es wundert natürlich nicht, dass die Männer Verletzungen hatten, das heißt, das Thema Medizin. medizinische Versorgung im Dreißigjährigen Krieg ist natürlich ein Thema, dass wir behandeln müssen."

    Wir verlassen das Feldlager, kommen in den nächsten Raum, auf dem Boden liegt ein Teppich.

    "Ja, wir stehen hier auf unserem sogenannten Schlachtfeld- Teppich, ein Teppichboden, der eine verheerte Wiese zeigt, wir wollen damit verdeutlichen, dass Geschichte begehbar ist, und wir möchten hier dem Besucher den Ablauf der Schlacht auf verschiedene Art und Weise vermitteln.
    Das ist eine Karte, die von einem Karthographen des schwedischen Heeres gezeichnet worden ist, und dieser Mann hat sehr filigran den Ablauf der Schlacht von Wittstock gezeichnet, mit den Aufstellungsbereichen der schwedischen Armee, mit Aufstellungsbereichen der kaiserlich- sächsischen Armee, dann der Beginn der Kämpfe, im zentralen Bereich der Karte laufen ganz ganz viele Regimenter ineinander, es ist ein Tohuwabohu, es liegen tote Menschen herum, es liegen tote Pferde herum, das ist also der Höhepunkt der Schlacht."

    Also das ist eigentlich so eine Art Zeitung.

    "Das ist eine Art Zeitung. Also während des Dreißigjährigen Krieges hat das Zeitungswesen einen ganz enormen Aufschwung bekommen, weil die Kriegsparteien zogen ja durch das gesamte deutsche Reich, es tauchte hier jemand auf und da jemand auf. Die Bevölkerung hatte einen unheimlichen Heißhunger auf neue Informationen."

    Ja, und wenn man sich umdreht, dann sieht man eine Vitrine und da steht er, der Soldat, der seinen letzten Tag erlebt hat auf dem Schlachtfeld von Wittstock.

    "Er hat eine knielange Hose, die in Stulpenstiefel gesteckt ist, er hat eine Jacke, die durch auffällige Knöpfe zusammengehalten wird und darunter ein Leinenhemd mit einem breiten Kragen."

    Er rote Haare, einen Vollbart und einen sehr traurigen Blick.

    <im_80530> </im_80530>"Ja, also, Individuum 71 hat ein sehr schweres Schicksal erlitten. Er hat zuerst eine Schussverletzung in seinem rechten Oberarm bekommen, die sicherlich aufgrund von Blutverlust schon alleine nach einer bestimmten Zeit zum Tode geführt hätte, er war schon gar nicht mehr richtig kampffähig, ist aber anscheinend in einen Konflikt mit einem Hellebardenträger verwickelt worden, der hat ihm einen Schlag auf den Kopf versetzt und ihm den Schädel gespalten. Der Mann ist dann zu Boden gestürzt und wir gehen davon aus, dass er zumindest bewusstlos war, aber er scheint noch gelebt zu haben. Die nächste Verletzung, die wir erkennen können, ist ein Stich durch die Kehle, im 2. Halswirbel fehlt nämlich ein Stück. Das ist abgeschnitten und wir gehen davon aus, dass Freund oder Feind- wahrscheinlich eher Freund- ihm einen Gnadenstoß versetzt hat. Er ist dann weiter auf dem Schlachtfeld liegen geblieben und hat dann zu guter Letzt noch einen schweren Schlag erlitten. Also er hat mit eines der schlimmsten Schicksale während der Schlacht, er hatte schon eine schlimme Kindheit und viele Krankheiten, was aber auch der Grund war, warum wir uns entschieden haben, sein Gesicht zu wählen und ihn quasi als den Soldaten für unsere Schlacht quasi in Lebensgröße wiedererstehen zu lassen."

    Welche Erkenntnisse über den Dreißigjährigen Krieg haben Sie durch die Grabfunde gewinnen können?

    "Also es zeigt sich für uns diese gesamte Gesellschaftsschicht der einfachen Soldaten, die in der Literatur so häufig als Täter erscheinen, weil sie natürlich im Heereszusammenhang Schlachten geschlagen haben, weil sie über die Bevölkerung hergefallen sind, weil sie Krankheiten verbreitet haben. Es zeigt sich aber, dass sie mindestens genau so viel Opfer gewesen sind. Das ist aus den Schriftquellen so bislang nicht klar geworden. Wir haben noch einige Untersuchungen, die ausstehen, und wir wollen nun versuchen, wiederum durch DNA- Analysen herauszufinden, wie viele unserer Soldaten im Grab hatten eine bestimmte Krankheit oder trugen bestimmte Krankheitserreger."

    Jetzt gehen wir noch in den letzten Raum und hier ist es sehr dunkel, wir sind im Kellerverlies und huh - jetzt sind wir wirklich im Grab.

    "Wir haben in der Ausstellung nur Einzelknochen, möchten aber, dass der Besucher auch an einer Stelle wirklich sieht, wie hat dieses Grab ausgesehen. Deshalb haben wir einen Brandenburger Künstler gewonnen, Thomas Bartel, der nach unseren archäologischen Plänen eine Grabinszenierung umgesetzt hat. Er hat aus modernen Materialien Skelette nachgebildet, hat sie ähnlich wie die im Grab lagen arrangiert und wir hoffen, dass die Besucher sich tatsächlich ein bisschen darauf einlassen, sich nicht nur gruseln, sondern auch ein bisschen für diese 125 Männer empfinden."

    Die Sonderausstellung "1636 - ihre letzte Schlacht" wird noch bis 9. September 2012 im Archäologischen Landesmuseum Brandenburg präsentiert.