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Lebende Steine
Geobiologen entdecken ein neues Ökosystem in der Tiefsee

Zu den bizarren Lebensräumen der Tiefsee gehören nicht nur die inzwischen berühmten Schwarzen Raucher, sondern auch die Cold Seeps, die Kalten Quellen. Dort strömt Methan aus dem Meeresboden, das ein ebenso bizarres Ökosystem antreibt wie das der Schwarzen Raucher. Und dieses Ökosystem ist anscheinend noch komplexer als bislang gedacht: Die Mikroorganismen, um die es in einem Aufsatz in "Nature Communications" geht, leben nicht nur im massiven Gestein, sie bauen es sogar selbst auf.

Von Dagmar Röhrlich | 15.10.2014
    Muscheln, Bartwürmer, Schnecken und weiße Teppiche von Mikroorganismen - in den grauen Weiten der Tiefsee erscheinen die Cold Seeps, die Kalten Quellen, als Oasen am Meeresgrund: Denn das Wasser, das dort ausquillt, ist voll von Methan, und das treibt eine bizarre Lebensgemeinschaft von Mikroben an. Dass die Gemeinschaft nicht nur die Oberfläche besiedelt, sondern auch die Tiefen des Schlamms, fanden Geobiologen vor 15 Jahren heraus. Und bislang schrieben sie diesen Mikroben im Schlamm zu, 80 bis 90 Prozent des aussickernden Methans abzubauen.
    "Obwohl die Kalten Quellen seit 20 oder 30 Jahren erforscht werden, ist die Frage noch immer offen, wie dieser Methanabbau denn genau verläuft. Die meisten Forscher haben sich mit dem Schlamm der Kalten Quellen beschäftigt. Allerdings gibt es an Kalten Quellen auch weite Flächen aus Kalkstein und regelrechte Kalkhügel, aus denen ebenfalls Methan austritt. Wir haben uns gefragt, ob auch darin methanumsetzende Mikroorganismen stecken", erklärt Jeffrey Marlow vom California Institute of Technology in Pasadena.
    Deshalb untersuchte der Postdoc das Innere dieser Kalksteine - mithilfe von Mikroskop, DNA-Analysen und radioaktiv markiertem Methan:
    "Wir fanden im Gestein viele Mikroorganismen, die regelrechte Klumpen formten. Es sind die gleichen Mikroben, die wir schon aus dem Schlamm der Kalten Quellen kennen. Mithilfe von radioaktiv markiertem Methan konnten wir nachweisen, dass die Mikroorganismen im Gestein sehr aktiv sind."
    Ihr Stoffwechsel läuft auf Hochtouren, erklärt die Geobiologin Victoria Orphan vom California Institute of Technology:
    "Die Mikroorganismen ziehen Energie aus dem ausströmenden Methan, indem sie es mit Sulfat aus dem Meerwasser umsetzen. Dabei entsteht erstens das Gas Schwefelwasserstoff, das dann andere Mikroben als Energiequelle nutzen. Und zweitens entsteht Hydrogenkarbonat, das beim Kontakt mit dem Kalzium des Meerwassers als Kalk ausfällt. Die Kalkflächen und -hügel entstehen also im Lauf der Zeit durch die Mikroorganismen selbst: Die sind wie kleine Ingenieure, die durch ihren Stoffwechsel ihre Umwelt verändern und dieses harte Gestein erzeugen."
    Bauherrengemeinschaft in der Tiefsee
    Als Baumeister betätigen sich dabei methanoxidierende Archäen und schwefelwasserstoffzehrende Bakterien, die in einer Symbiose leben. Allein im Gestein sind sie jedoch nicht:
    "Wir haben untersucht, ob diese aktive Mikrobengemeinschaft auf äußere Einflüsse reagiert. Und das tut sie. Wenn wir uns von den Regionen mit hohem Methandurchfluss entfernen, verändert sich die Zusammensetzung dieser Gemeinschaft. In den Gesteinen tauchen Bakterien auf, die weniger von Methan und Sulfiden abhängen. Und es gibt auch Hinweise, dass sich die Archäenpopulation verändert."
    Noch ist offen, wie tief die belebte Zone in den Kalksteinen reicht. Wahrscheinlich, vermutet Jeffrey Marlow, sei nicht die Methanzufuhr der begrenzende Faktor, sondern wie tief das Meerwasser in das Gestein eindringen könne:
    "An Kalten Quellen tritt sehr viel Methan aus dem Meeresboden aus, und Methan ist ein starkes Treibhausgas, wenn es in die Atmosphäre gelangt. Abschätzungen lassen vermuten, dass die Mikroorganismen an den Kalten Quellen zwischen 80 und 90 Prozent des Methans abfangen, das dort aus dem Meeresboden sickert. Bislang ist das allein den Mikroben im Schlamm zugeschrieben worden. Unseren Ergebnissen zufolge könnte die Verteilung ganz anders aussehen: verschoben zugunsten der Lebensgemeinschaft in den Gesteinen."
    Diese Kalkablagerungen sind also sehr viel mehr als das tote Gestein, als dass sie angesehen worden sind. Sie sind ein neues, bislang übersehenes Ökosystem in der Tiefsee. Eines, das erheblich dazu beigetragen hat, unser Klima stabil zu halten. Denn aus dem Meeresboden quellen gigantische Massen an Methan, die dank der Mikroorganismen niemals in die Atmosphäre gelangen.