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Lebensgespräch im Abgrund

Sie galten als das Traumpaar der Nachkriegsliteratur, verbunden in emotionaler und literarischer Symbiose: Hilde Domin, die verfolgte Jüdin und Poetin der Hoffnung, und Erwin Walter Palm, der feinsinnige Kunsthistoriker, Archäologe und Übersetzer. Alles anders?

Von Michael Braun | 27.07.2009
    Seit ihrem Weggang aus Deutschland im Oktober 1932 trugen beide gemeinsam ein Vierteljahrhundert lang die Bürde des Exils in Italien und Santo Domingo, bevor sie nach einer endlosen "linguistischen Odyssee" in ihren gemeinsamen Studienort Heidelberg heimkehrten. So sah es bislang die Literaturgeschichte – und so sahen es auch die Freunde des Paars, die dieses liebesgestützte "Prinzip Hoffnung" immer bewunderten.
    Nun ist, dreieinhalb Jahre nach Hilde Domins Tod, die erste umfassende Biografie der Dichterin erschienen, verfasst von ihrer langjährigen Weggefährtin und Freundin, der Heidelberger Germanistin Marion Tauschwitz. Und bei aller Skepsis gegen ein biografisches Unternehmen, das auf einer so großen Nähe zwischen der Biografin und der von ihr porträtierten Dichterin beruht, darf man doch festhalten: Dieses Buch, das sich auf die Auswertung des Hilde Domin-Nachlasses und ihres kompletten Briefwechsels mit Erwin Walter Palm stützt, bringt die bisherigen Fundamente der Domin-Forschung ins Wanken. Denn es bleibt nichts mehr übrig von der Legende eines liebenden Einverständnisses zwischen dem vermeintlichen Traumpaar. Die Analyse der über 800 Briefe, die Hilde Domin an ihren Mann richtete, zeigt ein Paar im jahrzehntelangen Liebeskampf. Das Grundmuster dieses Kampfes ist die egomanische Suche des Mannes nach literarischer Geltung – und die freiwillige, über die Grenze der Selbstdemütigung hinausgehende Unterwerfung der Frau.
    Über 20 Jahre lang, von 1937 bis 1959, dem Jahr ihres spektakulären Debüts "Nur eine Rose als Stütze", verzehrte sich Hilde Domin als aufopferungswillige Sekretärin und als "linguistisches Dienstmädchen" ihres Mannes, ohne gegen seine defätistischen Launen und seelischen Grausamkeiten aufzubegehren. Marion Tauschwitz erläutert im Gespräch, wie auf ihrer Suche nach biografischen Dokumenten das vertraute Bild vom symbiotischen Liebespaar zusammenbrach:

    "Das hatte man so nicht gewusst, denn- wie sie gesagt haben – das Paar galt als Traumpaar, hagiografisch verklärt war die Beziehung, denn Erwin war ja immer präsent und Hilde Domin hatte natürlich versucht, ihn sehr lebendig zu halten. Denn, ich denke, das liegt auch in der Natur der Sache, dass man dem Partner auch Ruhm zusprechen möchte, dass man stolz auf seinen Partner sein möchte und das versuchte Domin ach – zeitlebens eigentlich -, indem sie Erwin protegierte. Und was man eben nicht wusste, war dieser Kampf, dieser interne Kampf, die Zwistigkeiten und – wie sie sagen – tatsächlich das Exil im Exil . Drum sprach Domin immer wieder mal vom inneren Exil, das sie hatte, nicht nur der äußere Inselkäfig in dieser Dominikanischen Republik, sondern tatsächlich auch eingeschlossen und gefangen in sich selbst."

    Im Sommersemester 1931 hatten sich die 22-jährige Jura-Studentin Hilde Löwenstein und der junge Kunsthistoriker Erwin Walter Palm in der Mensa der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg kennen gelernt und sich nach einigen Eifersuchts-Schlachten zum antikeberauschten Liebespaar verbunden. Im Oktober 1932, als der Nationalsozialismus heraufdämmerte, verließ das Paar Deutschland in Richtung Italien, um sich dort der gemeinsamen Leidenschaft für die Antike zu überlassen. Und schon in den ersten Monaten des Zusammenseins bildete sich die asymmetrische Struktur dieser Liebe heraus, die sich in den Exil-Jahren in der Dominikanischen Republik verfestigte:

    "Und der Kampf mit Erwin, der fing auch schon 1946 etwa an, als Hilde Domin zum ersten Mal sich in die Berge zurückzog, um dort oben zu schreiben, weil Erwin sie unten in der Stadt in seiner Nähe nicht bei sich haben wollte, vor allem nicht, wenn sie schrieb, denn dann zog sie ihm ja Muse ab, das konnte er nicht verkraften – und da fing eigentlich der Kampf an – und da schuf Erwin auch diesen Topos von Kain und Abel und Domin nahm ihm sehr übel, dass er eben ihre Dichtkunst als das Opfer Abels bezeichnete... was ja dann als Konsequenz hätte, dass Kain den Abel erschlägt – und in gewisser Weise ist das ja so gewesen, denn den Dichteratem hat Erwin schon versucht, der Domin abzudrehen."

    Von der poetischen Genialität ihres Mannes überzeugt, hatte Hilde Domin viele Jahre alle ihre künstlerischen Ambitionen zurückgestellt, bis sie, tief deprimiert durch den Tod ihrer Mutter und die eigentümliche Gefühlskälte ihres Mannes, zum letzten Rettungsanker griff: zum Schreiben eigener Gedichte. Und diese Gedichte der zum Verzeihen bereiten Jüdin trafen auf den Versöhnungshunger einer Öffentlichkeit, die mit der vom Grauen des Holocaust verfinsterten Poetik eines Paul Celan nicht zurechtkam. Domins Dichtung erschien dagegen als Vollzug eines eigentümlichen Heilsgeschehens, als Bekenntnis zu einer "hellen Hoffnung", die sich von den elementaren Katastrophen das Grundvertrauen in die Poesie nicht nehmen ließ.
    Kaum war Hilde Domin Mitte der 50er-Jahre im westdeutschen Literaturbetrieb angekommen, entwickelte sie einen missionarischen Geltungsdrang, der von ihren schicksalsverwandten Dichterkollegen Nelly Sachs und Paul Celan sehr skeptisch registriert wurde. Besonders Celan beharrte auf strenger Distanz; alle Versuche Domins, mit ihm Kontakt aufzunehmen, wurden von ihm ignoriert.

    "Seine Bilder waren ja düstere Bilder, und er nahm die Helligkeit vielleicht tatsächlich übel, die aus Domins Gedichten sprachen, und Domin hatte ja immer in ihren Gedichten diesen appellativen Charakter, sie hatte immer einen Ansprechpartner gehabt, und wollte, dass ihre Gedichte tatsächlich etwas bewirken ... und das liegt nun wieder in der Ursprungsstruktur begründet , dass natürlich ursprünglich alle Gedichte an Erwin Walter Palm gerichtet waren, damit er doch in irgendeiner Form reagiert und damit er das Leben erträglicher macht - und später viele Gedichte an Rudolf Hirsch gerichtet waren, genau aus diesem Grund hat er sie ja nicht veröffentlicht. Aber dass eben ihre Gedichte etwas bewirken wollen und tatsächlich ein Alphabet von tätigen Buchstaben werden, die darauf hoffen, dass der andere sie sich so zu Herzen nimmt, dass er sich ändert vielleicht letztendlich sogar, nicht nur reagiert."

    Die Hilde Domin-Biografie von Marion Tauschwitz demontiert die liebevoll gehegten Klischees über die poetische Daseinszuversicht einer Autorin, die vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren zum lyrischen Publikumsliebling aufstieg. Was an diesem 580-Seiten-Opus irritieren mag, ist die Überfülle an mitunter entbehrlichen Details und die von Devotion nicht ganz freie Haltung der Biografin. Aber bislang hat kein Werk so akribisch die Widersprüche und Zerrissenheiten der Dichterin Hilde Domin aufgezeichnet. Das "Lebensgespräch" der Hilde Domin – es wurde in Abgründen geführt.

    ""Nicht umsonst hat Hilde Domin ihre Beziehung zu Erwin Walter Palm nie als Ehe bezeichnet, sondern hat eben immer gesagt: Ehe ist uns schnuppe, unsere Beziehung war ein 56 Jahre währendes Lebensgespräch. Ein sehr euphemistischer Begriff eigentlich, wenn man aber sieht, dass das ein Lebensgespräch ist, was bedingt war durch die vielen Trennungen, die sie beide auf sich genommen hatten oder auf sich nehmen mussten, dann bekommt auch dieses Wort wieder einen ganz anderen Sinn.""

    Marion Tauschwitz: Dass ich sein kann, wie ich bin. Hilde Domin. Die Biografie. Palmyra Verlag, Heidelberg, 580 Seiten, 28 Euro