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Lebensläufe in Zahlen

Das Sozio-ökonomische Panel untersucht, wie Arbeit, Bildung oder auch Vermögen in Deutschland verteilt sind. Wissenschaftler der verschiedensten Disziplinen weltweit nutzen diese multidisziplinäre Langzeitstudie. Ihre neusten Forschungsergebnisse mit diesem Datenmaterial präsentierten sie auf der 10. SOEP-Nutzerkonferenz in Berlin.

Von Barbara Leitner | 05.07.2012
    "Sie müssen sich das vorstellen wie ein kleiner Film über den Lebenslauf hinweg. Wir messen einmal pro Jahr und jedes Jahr haben wir einen weiteren Ausschnitt, um einen Film über das Leben mehrere Kohorten in Deutschland, die familiär verbunden sind, die über mehrere Generationen gehen sozusagen die Lebensverläufe nachbilden. "

    Prof. Jürgen Schupp, der Leiter des Sozio-ökonomischen Panels am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin.

    "Fragen der Auf- und Abstiege innerhalb unserer Sozialstruktur, das sind die Kernfragen, die Ursachen solcher Mobilitätsprozesse, aber auch die Folgen von Lebensereignissen, die man sich nicht aussucht. Dass einem der Partner verstirbt, dass man seine Arbeit verliert oder Ähnliches, dann zu schauen, was passiert bei Menschen, die in ähnlicher Familiensituation, mit ähnlichen Bildungsniveaus, ähnlichen familiären Zusammensetzungen, wie bearbeiten sie solche Lebensereignisse."

    Diese Daten finden sich im Sozio-ökonomischen Panel, dem SOEP, der größten und am längsten laufenden Längsschnittstudie in Deutschland. Seit 1984 geben Jahr für Jahr mehr als 20 000 Menschen für rund 11 000 Haushalte Auskunft: ob und wie viel sie arbeiten, was sie verdienen, welche Bildung sie haben oder anstreben, wie es um ihre Gesundheit steht und was ihnen für ihr Leben wichtig ist. Auf der Tagung in Berlin stellten Wissenschaftler die auf dieser Grundlage gewonnenen neusten Forschungsergebnisse vor. Im Zentrum stand die Frage nach der Verteilung gesellschaftlichen Ressourcen.

    Der berufliche Status, das Einkommen und die Bildung der Eltern beeinflussen entscheidend den Bildungserfolg der Kinder, besagt bisher die Ungleichheitsforschung. Wie wirkt zusätzlich elterliches Vermögen, untersuchte Fabian Pfeffer in einer vergleichenden Studie zwischen den USA, Schweden und Deutschland. Der Soziologe arbeitet an der University of Michigan. In den USA sieht er überdeutlich, wie die Bildungschancen an Vermögen gebunden sind. Die Familien leben in Nachbarschaften mit besser ausgestatteten Schulen. Sie sind in der Lage, die hohen Studiengebühren aufzubringen. Diese Hürden allerdings bestehen bisher in Deutschland kaum und in Schweden gar nicht.

    "Stattdessen übt Vermögen in Deutschland und in Schweden, potenziell auch in den USA eine Versicherungsfunktion für Kinder aus. Vermögen als Versicherung gegen negative Ereignisse, nicht nur in einer Generation, sondern auch für die nächste Generation. Das heißt, wenn ich weiß, dass ich auf das Vermögen meiner Eltern zurückfallen kann, zum Beispiel als Studienabbrecher, bin ich eventuell gewillter, ein Studium zu beginnen."

    Das ist eine Versicherung, die der Staat nicht übernimmt. Im Interesse der Bildungsgleichheit kommt es deshalb darauf an, andere Faktoren zu identifizieren, die den Übergang zu einer Universität beeinflussen und gerade bildungsferne Schichten unterstützen, nach einem Abitur auch zu studieren. Das untersuchte eine Studie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

    "Wir haben ein Parameter mit hineingenommen: Lebe ich in einer Stadt, wo ich schon in der U-Bahn viele Studierende sehen, wo ich ein Flair von Universität habe. Das spielt eine Rolle. Es ist nicht nur die Kostenfrage, sondern auch der Peereffekt, ob ich in einem Umfeld lebe, wo ich durch eine Studentenstadt beispielsweise, wenn viele, viele Studierende in meinem Alltag zu sehen sind, eine größere Nähe habe zu dem Übergang in eine Universität."

    Professorin Katharina Spieß ist als Familien- und Bildungsökonomin am DIW tätig. Für ihre Untersuchung spielte die Wissenschaftlerin zu den SOEP-Daten über den erreichten Bildungsabschluss, jene der Entfernung des Heimatortes von Universitätsstädten zu. Dadurch war es möglich, diesen Peereffekt zu erkennen. Gerade in der Vorstellung solcher methodischen Vorgehensweisen liegt der Wert dieser Nutzerkonferenz. Arbeitsmarkt- und Umweltexperten, Bildungs- und Glücksforscher zeigen einander, wie sie die Daten aus dem Panel kombinieren, um bekannte wie unbeachtete gesellschaftliche Phänomene auch wissenschaftlich beweisen zu können.

    Ein neues Thema für die SOEP-Nutzer ist dabei die Frage nach dem persönlichen Glück. Aus den Daten ist erkennbar, dass u.a. partnerschaftlichen Absprachen über die Arbeitszeit und Teilzeitverträge der Lebenszufriedenheit dienen. Gefühltes Wissen wird dadurch wissenschaftlich belegt. Ähnlich ist es mit Einschätzungen zur frühkindlichen Bildung.

    Seit 2003 werden innerhalb des SOEP-Panels Mütter auch über die Entwicklung ihrer Kinder von Geburt an befragt. Am konkreten Lebensweg können die Wissenschaftler so erforschen, welche Faktoren sich wie im Verlauf auswirken. Noch reichen die Daten erst neun Jahre zurück. Doch Katharina Spieß gibt erste Einblicke.
    " Wir können in unseren Daten sehen, dass die Lebenszufriedenheit der Mütter die Entwicklung der Kinder positiv beeinflusst, in dem Sinne, dass je zufriedener die Mutter ist, desto stärker ist ihr sozioemotionales Verhalten. Wir können auch sehen, dass die Familienstabilität ein ganz, ganz wichtiger Faktor ist. Gar nicht in dem Sinne, dass es eine Paarsituation sein muss. Sondern allein die Tatsache, dass es stabile Konstrukte sind, sprich, wenn man sagt, es ist ein alleinerziehender Elternteil, und wenn es eine stabile Struktur ist und das ständige Wechseln im Haushaltskontext und auch in der Partnersituation dazu führen, dass Kinder in ihrer sozioemotionalen Entwicklung teilweise nicht so weit sind wie Kinder, die stabile Strukturen vorfinden."

    Welche Faktoren verhelfen zum Bildungserfolg? Dazu forscht auch Shelly Lundberg von der University auf California in Santa Barbara. Die renommierte Familienökonomin legte in der Vergangenheit mehrere anerkannte Studien vor, wie in Familien Entscheidungen getroffen werden und wie sich das auf Ressourcenverteilung zwischen Männern, Frauen und Kindern auswirkt. Dabei entdeckte sie auf der Basis von amerikanischen Daten große Unterschiede für Kinder aus wohlhabenden und sozial benachteiligten Familien.

    "Kinder aus begünstigteren Familien - und sie sind im Alter zwischen 10 und 14 - werden mehr angehalten, zu berichten, wofür sie ihr Geld ausgeben, welche Kleidung sie tragen, wer ihre Freunde sind. Die Kinder und Eltern entscheiden dann gemeinsam. Kinder aus weniger begünstigten Familien sagen dagegen, ihre Eltern würden diese Entscheidungen treffen."

    Auf dem ersten Blick erscheinen die Eltern mit weniger Einkommen und Einwanderer als autoritärer denn begüterte Elternhäuser.

    "Wenn sie allerdings dieses Ergebnis zusammen führen mit Daten wie denen, wie viel Fernsehen gesehen wird und ob die Kinder in die Kirche gehen, ändert sich das Bild. Dann sehen wir, dass die gut gebildeten Mütter ihren Kindern viel autoritärer gegenübertreten. In Familien mit weniger Einkommen kümmern sich die Mütter weniger darum, wie viel die Kinder Fernsehen oder um die religiöse Erziehung. Aber sie greifen in dem Punkt durch, wie die Kinder ihr Geld ausgeben und was sie anziehen. Es werden also unterschiedliche Strategien benutzt für das Aufziehen von Kindern und die haben langfristige Auswirkungen auf den Bildungserfolg der Kinder."

    Auf der Tagung referierte Shelly Lundberg über Persönlichkeitsmerkmale und ungleiche Bildungschancen.

    "Diese Ergebnisse zeigen, dass die Kinder aus weniger günstigen Verhältnissen sehr spezielle Charaktereigenschaften brauchen, um unter den schlechten Umständen erfolgreich zu sein. Sie brauchen Charaktereigenschaften wie Offenheit für neue Erfahrungen, Entdeckerfreude, Vorstellungskraft. Das sind Eigenschaften, die für Kinder aus besseren Verhältnissen nicht so bedeutsam sind. "

    Kinder aus Einwandererfamilien brauchen oftmals eine andere Motivation, um auch nach der Schule zu lesen und zu lernen - beispielsweise weil sie keinen eigenen, ruhigen Arbeitsplatz oder nur wenige Bücher zu Hause besitzen. Sie müssen sich in ein zukünftiges Berufsleben hineindenken, für das sie vielleicht kein Vorbild in der Verwandtschaft finden. Sie brauchen offensichtlich - so der Befund von Shelly Lundberg zunächst für die USA - andere Umgebungen und Herausforderungen in der Schule, um diese Persönlichkeitseigenschaften auszuprägen.

    Mithilfe des SOEP kann sie überprüfen, ob sich das auch für Deutschland bestätigt. Denn auch diese Langzeitstudie nimmt unterdessen psychologischen Indikatoren und Persönlichkeitsmerkmale auf. Dadurch können neue Einsichten über Arbeit, Familie und Zufriedenheit gewonnen werden, betont Jürgen Schupp.

    "Dass zunehmend erkannt wird, dass es Fragen sind, wie sind die Anspruchsniveaus der Individuen, woran orientiert man sich, mit wem vergleicht, man sich und Ähnliches mehr. Das man solche Indikatoren aufnimmt, wo die Forschung herausfindet, ja, das hat wahrscheinlich auch eine Ursache für bestimmte soziale Prozesse. Dass es uns gelingt, das in empirische Fragestellungen umzumünzen und wir dann auch mit einer Langzeitstudie einen Beitrag leisten, der nachhaltig ist in der Wissenschaft für vermehrte Erkenntnisse einen substanziellen Beitrag liefert."