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Lebensmittel aus Japan "weit" unter den Grenzwerten

In der EU gelten neue Grenzwerte für strahlenbelastete Lebensmittel aus Japan - doch Sönke Gäthke beruhigt: Nur 0,1 Prozent unseres importierten Essens kommt dorther.

Sönke Gäthke im Gespräch mit Georg Ehring | 13.04.2011
    Georg Ehring: Die Informationen sind nach wie vor widersprüchlich. Erst vermittelt Japans Regierung den Eindruck, die Lage sei im Griff, dann kommt die Hochstufung der Katastrophe von Fukushima auf Stufe sieben der Skala der Internationalen Atomenergieorganisation. Das Ereignis gilt damit als ähnlich schlimm wie die Explosion des Kernkraftwerks Tschernobyl. Erst verzehrt Japans Regierungssprecher Yukio Edano publikumswirksam eine Erdbeere aus der Krisenregion, um Bedenken zu zerstreuen, dann verbieten die Behörden den Verkauf von Shiitake-Pilzen aus der Gegend rund um den Reaktor. Wie die Dinge einzuordnen sind, das kann uns Sönke Gäthke sagen. Herr Gäthke, gibt es denn Fortschritte bei den Versuchen, die Reaktoren selbst in den Griff zu bekommen, sprich: zu kühlen?

    Sönke Gäthke: Es gibt kleine Fortschritte dabei. Die Arbeiter bei Tepco haben es jetzt geschafft, mit dem Abpumpen des hoch radioaktiven Wassers aus den Tunneln vor dem Atomkraftwerk voranzukommen. Dort ist es ihnen gelungen, laut dem japanischen Fernsehsender NHK, tatsächlich den Wasserstand um vier Zentimeter abzusenken. Das ist immerhin schon mal etwas. Bislang ist immer radioaktives Wasser nachgeströmt. Jetzt gelingt es ihnen offenbar, dieses Wasser langsam abzupumpen, und das ist notwendig, weil man diese Sachen trockenlegen muss, um wieder an die Stromkabel heranzukommen und wieder an die Elektrik heranzukommen, um dann anschließend langsam wieder mal die Kühlpumpen in Gang zu bekommen.

    Ehring: Lebensmittel in der Region sind anscheinend belastet. Wie will denn die Europäische Union jetzt verhindern, dass radioaktive Pilze, Erdbeeren oder andere Produkte in Europa in die Verkaufsregale kommen?

    Gäthke: Mit neuen Grenzwerten und neuen Kontrollen natürlich. Die neuen Grenzwerte waren schlicht und ergreifend notwendig geworden, weil die Europäische Kommission da in letzter Zeit für einige Verwirrung gesorgt hat. Die hatte ja vor ungefähr zwei Wochen eine Verordnung aus der Schublade geholt und Grenzwerte festgelegt. Das war im Prinzip auch richtig gedacht. Es gab bis jetzt gar keine Grenzwerte für Nahrungsmittel aus Japan. Es gab nur Grenzwerte für Nahrungsmittel aus von Tschernobyl belasteten Ländern. Diese lagen allerdings deutlich niedriger als das, was jetzt durch die neue Verordnung gekommen ist, und das hat natürlich für eine heillose Verwirrung gesorgt. Jetzt ist es also so, dass am Freitag einstimmig beschlossen wurde, die Grenzwerte anzupassen. Die Grenzwerte für Nahrungsmittel aus Japan liegen sogar niedriger als die Grenzwerte für das, was aus der EU kommen darf. Und das gilt ab heute. Lebensmittelkontrollen haben allerdings in den letzten Wochen gezeigt, dass es bis jetzt kaum Grund zur Besorgnis gibt, weil die nachgewiesenen Radionuklide sehr, sehr, sehr gering sind und auch weit unter den neuen Grenzwerten liegen.

    Ehring: Bekommen wir denn viel aus Japan und was hauptsächlich?

    Gäthke: Wir bekommen gar nicht so viel aus Japan. Rein prozentual gesehen sind es 0,1 Prozent der importierten Nahrungsmittel, und das sind hauptsächlich sehr spezielle Sachen wie Gewürzsoßen, Bambussprossen oder Fisch.

    Ehring: Die Atomkraftwerke abschalten, das ist ja die Schlussfolgerung der deutschen Politik auf Fukushima. Kann man denn daraus auch lernen, was dort passiert ist, wie die Reaktoren in der Restlaufzeit sicherer betrieben werden können?

    Gäthke: Die japanische Regierung hat das zum Beispiel offenbar vor, denn Herr Edano kündigte heute an, dass man fordern werde, sich besser auf Tsunamis vorzubereiten, schon alleine dadurch, dass man die Notstrom-Aggregate höher lagert. In Fukushima waren sie im Kellergewölbe eingebaut, was nicht ganz günstig ist für den Fall, dass mal eine größere Flut kommt, also höher anbringen, auch in höheren Regionen noch mal Becken haben mit Frischwasser zum Kühlen. Das ist die japanische Forderung. Und bei uns kann man sagen, es kommt darauf an, wenn das Netz weg ist, also das Stromnetz zusammengebrochen ist und die Reaktoren sich alleine versorgen müssen, dass sie dann sich möglichst lange versorgen können. Deswegen will auch die Reaktorsicherheitskommission überprüfen lassen, ob die deutschen Reaktoren in der Lage sind, sich 72 Stunden lang mit Strom zu versorgen.

    Ehring: In Japan waren es, glaube ich, nur ganz wenige Stunden, in denen das möglich war?

    Gäthke: Das ist auch bislang in Deutschland nur geplant, dass man sagt, zwei Stunden, und dass man dann sagt, okay, wir versuchen, innerhalb dieser zwei Stunden das Netz wieder anzuschließen an die Atomreaktoren. Es zeigt aber gerade der Fukushima-Unfall, dass es schwierig wird für die Atomreaktoren, wenn sie länger vom Netz bleiben. Dann müssen sie sich irgendwie selbst mit Strom versorgen.

    Ehring: Auch in Frankreich diskutiert man inzwischen über die Atomkraft und ganz oben auf der Liste steht das Atomkraftwerk Fessenheim am Rhein. Was ist da besonders gefährlich?

    Gäthke: Das Atomkraftwerk ist schlicht und ergreifend alt. Das ist ungefähr genauso alt wie das Atomkraftwerk in Biblis. Biblis ist Ende der 70er-Jahre gebaut worden, Fessenheim '77/'78 angeschlossen worden ans Stromnetz. Das heißt, das Containment ist nicht das allerstärkste. Die Anlagen selber sind auch schon seit 40 Jahren in Betrieb. Es läuft zwar in diesen Tagen die Bemühung, noch mal das Atomkraftwerk für zehn Jahre zu verlängern, aber man wird sehr genau hingucken müssen, zum Beispiel ob diese Notstromversorgung in Fessenheim auch hundertprozentig funktionieren kann.

    Ehring: Herzlichen Dank Sönke Gäthke aus unserer Forschungsredaktion.

    Sammelportal "Katastrophen in Japan"
    Bundesamt für Strahlenschutz: Fragen und Antworten zu Japan