Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Lebensmittelchemie
Kontrollverlust bei Chips und Flips

"Hedonische Hyperphagie" - so nennen es Wissenschaftler, wenn man beim Essen von Kartoffelchips oder Schokolade nicht mehr aufhören kann. Doch welche Lebensmittel führen zum Kontrollverlust beim Knabbern? Auf der Suche nach der ultimativen Naschformel sind Lebensmittelchemiker einen wichtigen Schritt vorangekommen.

Von Volker Mrasek | 11.03.2015
    Kartoffelchips mit Paprika in einer kleinen Schüssel
    Kartoffelchips können Heißhunger auslösen (picture alliance /dpa/Romain Fellens)
    Monika Pischetsrieder: "Das Problem ist, dass viele Menschen einen Kontrollverlust erleben, wenn sie Chips und Flips essen."
    "Einmal angefangen - eine Hand nach der anderen."
    Auch sie können nichts dagegen machen. Monika Pischetsrieder nicht. Tobias Hoch nicht. Und auch Stefanie Kreß nicht. Doch wenigstens versuchen die drei, das Geheimnis zu lüften, das hinter der sogenannten Hedonischen Hyperphagie steckt, dem hemmungslosen In-Sich-Hineinstopfen von Chips und anderen Dingen. Sie tun das am Lehrstuhl für Lebensmittelchemie der Universität Erlangen-Nürnberg. Monika Pischetsrieder ist dort Professorin, Stefanie Kreß Doktorandin und Tobias Hoch Wissenschaftlicher Mitarbeiter.
    "Auch mit einer Tafel Schokolade geht es manchen Leuten so. Und da war eben interessant, welche molekularen Bestandteile von den Lebensmitteln dahinterstecken, die dazu führen, dass man die Lebensmittel über die Sättigung hinaus aufnimmt."
    Tobias Hoch überprüfte das im Tierversuch. An Ratten. Denen setzte der Lebensmittelchemiker neben dem üblichen Laborfutter klein gemahlene Kartoffelchips vor. Und dann auch noch Kohlenhydrate und Fette, die Hauptbestandteile von Chips, in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen. Um zu sehen, was die Ratten am stärksten zum übermäßigen Fressen verführt.
    Ein fatales Verhältnis
    Nach Auswertung der Daten glaubt Monika Pischetsrieder jetzt zu wissen, was bestimmte Lebensmittel unwiderstehlich macht:
    "Man könnte es als Naschformel bezeichnen. Das ist so eine Zusammensetzung, die uns offensichtlich zum Naschen oder zum Knabbern verführt."
    Die Formel lautet: 50 Prozent Kohlenhydrate und 35 Prozent Fett - bei diesem Mischungsverhältnis im Futter war der Heißhunger der Ratten laut Stefanie Kreß am größten:
    "Dann ist die Energieaufnahme insgesamt um 30 Prozent durchschnittlich höher gewesen. Und erstaunlicherweise wurden da teilweise bis zu 50 Prozent der Gesamttagesenergie in extrem kurzer Zeit durch die Tiere aufgenommen."
    Die Ratten fraßen viel mehr als nötig. Und es ist davon auszugehen, dass die Naschformel auch beim Menschen funktioniert:
    "Das ist unsere Hypothese, dass da der Mechanismus ganz ähnlich ist."
    Wobei nicht nur Kartoffelchips dieses fatale 50/35er-Verhältnis aufweisen, wie Monika Pischetsrieder sagt:
    "Da kann man natürlich nachsehen: Welche Lebensmittel haben auch noch diese Zusammensetzung? Und da findet man doch dann die üblichen Verdächtigen. Also, Chips haben die Zusammensetzung. Dann auch unsere Erdnussflips zum Beispiel, die wir vorher gegessen haben. Schokolade! Nuss-Nugat-Creme zum Beispiel auch noch. Also, das sind doch die Lebensmittel, wo man so eine Anziehungskraft auch irgendwie feststellen kann."
    Schon erstaunlich, was dabei herauskommt, wenn man den Dingen einfach mal auf den Grund geht:
    "Da hat bisher noch niemand geschaut. Man hat halt immer gedacht: Die Kalorien machen es. Das sind die kalorienreichen Lebensmittel. Aber es sind eben nicht nur die Kalorien, haben wir jetzt festgestellt, sondern es ist eben diese spezielle Zusammensetzung, die da sehr attraktiv ist."
    Doch warum ist das so? Doktorandin Stefanie Kreß hat sich überlegt, "dass die Kohlenhydrate als direkte schnelle Energielieferanten auf jeden Fall gut sind. Kohlenhydrate werden ja enorm schnell zu Glukose abgebaut. Und Glukose ist ja der Hauptbrennstoff fürs Gehirn. Und dass Fett dann längerfristig die Energie bereitstellt. Und da kann ich mir schon vorstellen, dass das vielleicht am besten in diesem Verhältnis funktioniert."
    Essen, wenn Essen da ist
    Die Evolution könnte uns so getrimmt haben. In der Frühgeschichte des Menschen war das Nahrungsangebot knapp. Da mag es sinnvoll gewesen sein, möglichst schnell viel in sich hineinzustopfen, wenn sich die Gelegenheit bot. Auf Vorrat sozusagen.
    Heute dagegen ist der Kontrollverlust beim Essen ein Problem, wie auch Projektleiterin Pischetsrieder betont:
    "Für uns ist es natürlich jetzt unangenehm, weil wir ein Überangebot an Lebensmitteln haben und so ein Kontrollverlust dazu führt, dass wir mehr essen als wir brauchen, das heißt also zunehmen. Und damit verbunden natürlich auch Krankheiten entwickeln."
    Wer sicher sein will, dass er die Kontrolle beim Essen nicht verliert, dem bleibt wohl nur eines: die Finger ganz weglassen von Lebensmitteln mit dem auch für Stefanie Kreß verführerischen Verhältnis von Kohlenhydraten und Fetten ...
    "Fett und Kohlenhydrate machen uns auf jeden Fall süchtig in Form von: Weiter! Mehr! Her damit!"