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Lebensmittelrecht
Foodwatch fordert radikalen Richtungswechsel

Immer wieder sorgen Lebensmittelskandale für Aufregung in den Medien. Und immer wieder werden in solchen Situationen auch schärfere Gesetze und strengere Strafen angemahnt. Die Verbraucherorganisation Foodwatch fordert jetzt einen radikalen Richtungswechsel und Gesetzesänderungen.

Von Philip Banse | 06.08.2014
    Die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch will eine grundlegende Reform der deutschen Lebensmittelgesetzgebung. Der Vorsitzende von Foodwatch, Thilo Bode, sagte, heute seien die deutschen Lebensmittel-Gesetze gemacht für den Fall, dass das Kind schon in den Brunnen gefallen, die Pferdefleisch-Lasagne schon gegessen, das Dioxin-Ei schon verkauft und verzehrt ist. Deswegen fordert Bode, dass die deutschen Gesetze umgeschrieben werden, damit sie wirken, bevor Pferdefleisch-Lasagne oder Dioxin-Eier verkauft werden. Erste Forderung: Futtermittelhersteller müssten verpflichtet werden, wirklich alle Komponenten zu testen, die sie zusammen mischen.
    "Heutzutage ist es nämlich relativ leicht, sich nicht erwischen zu lassen und nicht bestraft zu werden. Es passiert nämlich Folgendes: Dadurch, dass keine 100prozentige Prüfpflicht besteht, kann der Futtermittelhersteller, wenn er zum Beispiel absichtlich panscht, nachdem das Futtermittel verkauft ist, sagen, es ist leider Dioxin drin gewesen, er hat es zufällig entdeckt. Und dann darf die Staatsanwaltschaft nicht mehr ermitteln. Der geht also auf jeden Fall straffrei aus. Das ist das sogenannte Verwendungsgebot, Paragraf 44 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch. Das ist ein richtiger Hammer. Und das wird natürlich weidlich ausgenützt."
    Nur wenn der Futtermittelhersteller und Lebensmittelhandel verpflichtet würden, wirklich alle Chargen und Eigenmarken zu untersuchen, sei ihnen bei Lebensmittelskandalen auch eine Schuld nachzuweisen, weil sie dann nicht mehr sagen können: Wir wussten von nichts, so was passiert, tut uns leid. Eine umfassende Prüfpflicht wirke abschreckend, so Bode, und würde die Qualität von Lebensmitteln verbessern. Die Lebensmittelindustrie hält dagegen, solche Prüfungen machten Lebensmittel teurer. Stimmt, sagt Foodwatch, und rechnet vor:
    "Wenn ein Schnitzel in der Herstellung das Kilo 2 Euro kostet, dann können sie je nach Tierart damit rechnen, dass etwa 1 Euro auf Futtermittel entfällt. Wenn sie jetzt die Futtermittel jetzt durch Prüfpflichten - das ist aber schon viel - um 20 Prozent teurer machen, dann sind das 20 Cent auf ein Kilo umgerechnet. Das merken sie im Supermarkt gar nicht mehr."
    Um nachsorgende in vorbeugende Gesetze umzuwandeln, fordert Foodwatch neben den 100prozentigen Kontrollen, mehr Transparenz. Etwa müssten die Untersuchungen der Lebensmittelkontrolleure veröffentlicht werden. Jede Charge, jede Zutat müsse an ihren Ursprungsort zurückverfolgt werden können. Außerdem bräuchten Verbraucherverbände ein Normenkontrollklagerecht, also das Recht, bei Lebensmittelskandalen vor Gericht zu ziehen. Die Grundlage für diesen radikalen Schwenk sei gelegt, sagt Foodwatch-Chef Bode. Denn das europäische Lebensmittelrecht, also die Grundlage, auf der die deutschen Gesetze fußen, dieses Lebensmittelrecht sei sehr vorbildlich, setze voll auf Prävention: Ein begründeter Verdacht auf einen Verstoß reiche demnach im Prinzip schon aus, um ein Lebensmittel aus dem Verkehr zu ziehen. Doch als das Lebensmittelrecht in deutsche Gesetze gegossen wurde, sei aus Vorsorge Nachsorge geworden, so Bode:
    "Wir haben hier ein klassisches Beispiel, wo die Lebensmittelindustrie es verstanden hat, ein gutes vorbeugendes Recht in ein nachsorgendes Gesetzeswerk umzuwandeln. Durch Lobbyeinfluss. Das ist natürlich eine ganz schlechte Situation, die aber nur geändert werden kann, wenn sich die Politiker auch gegen die Lobby durchsetzen."
    Verbraucher seien machtlos, so Bode. Wer nur 99 Cent für 10 Eier zahlt, kann nichts Gutes erwarten – dieses Argument greife nicht. Auch der Griff zu Bio-Produkten sei keine Lösung, weil auch Bio-Produkte von Skandalen und Betrügern betroffen seien. Man entlasse die Politik aus der Verantwortung, wenn man die Verantwortung für saubere Lebensmittel auf Verbraucher abwälze.
    "Sie sollten den Verbrauchern erzählen, dass sie sich klar werden, dass ihre Möglichkeiten begrenzt sind, dass sie eben nichts machen können, dass sie verstehen, dass wir ein politisches Problem haben, was nur politisch gelöst werden kann."