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Lebensmittelrecht
Überregulierung schadet der Umwelt

In Deutschland landen jährlich etwa 6,7 Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Müll. Verantwortlich dafür sind nicht zuletzt gesetzliche Standards, strenge Hygienevorschriften und EU-Handelsnormen. Das zeigt eine neue Studie des Umweltbundesamts und des Forschungsinstituts Ökopol.

Von Annette Eversberg | 27.10.2014
    Eine Kundin greift nach einem Apfel aus ökologischem Anbau in einem Lebensmittelgeschäft, das Bio-Nahrungsmittel in Hannover verkauft.
    Gesetzliche Standards schreiben vor, dass Äpfel rund und ohne faule Stelle sein müssen. (dpa / picture alliance / Peter Steffen)
    Auf dem Biomarkt in Münster ist das Angebot so, wie man es gewohnt ist: Pralle Äpfel und Pflaumen, Salat und Kohlrabi liegen schön aufgeschichtet nebeneinander. Aber heute steht auf dem Stand von Biolandgärtner Thomas Kreimeier zum ersten Mal auch eine Kiste mit Äpfeln, die nicht so gleichmäßig aussehen.
    "Das ist eine alte Sorte: Dülmener Rose. Schmeckt gut. Hat aber dieses Jahr einfach durch Hagel ein paar Stellen gekriegt. So was machen wir hier zu etwas günstigerem Preis und bieten es trotzdem an."
    Und würden die Kunden sie auch kaufen? Mechtild Raffeltassemann:
    "Ja, doch, auf jeden Fall."
    Thomas Kreimeier macht jedoch auch andere Erfahrungen:
    "Wenn ich jetzt - sagen wir einmal - 200 Kohlrabi hinlege, dann kann es sein, das der geplatzte eben liegen bleibt. Es ist schon ein immer höherer Anspruch an das Äußere."
    Landwirtschaft muss sich auch nach den gesetzlichen Standards richten
    Die Landwirtschaft richtet sich dabei nach den Wünschen der Verbraucher. Aber sie muss sich auch nach den gesetzlichen Standards richten. Kohlrabis dürfen keine Risse haben. Äpfel müssen rund und ohne faulen Stellen sein. Genauso wie Bohnen oder Tomaten. Alles was nicht so aussieht, kommt nicht auf dem Markt. Das macht die Landwirtschaft zum Hauptverschwender von Lebensmitteln, betont Dr. Michael Angrick, Fachbereichsleiter für nachhaltige Produktion beim Umweltbundesamt.
    Das ist jedenfalls das Ergebnis einer Studie des Umweltbundesamts und des Forschungsinstituts Ökopol.
    "Zum Beispiel werden Kohlköpfe oder Salatköpfe, die nicht groß genug sind, regelmäßig untergepflügt. Dasselbe gilt für Kartoffeln zum Beispiel. Wenn die sozusagen nicht schön rund und in einer gewissen Größe anfallen, dann werden sie ebenfalls untergepflügt. Das heißt: Sie verlassen überhaupt nicht erst das Feld."
    Dabei belastet die landwirtschaftliche Produktion Boden, Wasser und Luft. Und zwar auch bei der Bioproduktion. Michael Angrick:
    "Pro Kopf und Jahr haben wir einen landwirtschaftlichen Flächenbedarf von einem halben Fußballfeld. Wir haben dann weitere Eingriffe dadurch, dass wir relativ viel Wasser benötigen. Und wir haben Treibhausgasemissionen von etwa drei Tonnen pro Jahr und Kopf wiederum. Das ist ungefähr vergleichbar, mit dem was sie haben, wenn sie mit dem Flugzeug von Frankfurt nach New York und wieder zurückfliegen."
    EU-Handelsnormen schreiben Form, Größe und Farbe vor
    Handelsnormen der EU schreiben vor, dass Salatköpfe eine bestimmte Form, Größe und Farbe haben müssen. Landwirte und Gärtner sollen dadurch angeregt werden, auch so zu produzieren. Der Verbraucher soll sich auf ein immer gleiches Angebot verlassen können. Aber auch beim Verbrauch ist die Verschwendung groß, weil es entsprechende Gesetze gibt. Die meisten Abfälle beim Verbrauch von Lebensmitteln produziert nach der Studie des Umweltbundesamtes die Gastronomie.
    "Das liegt von allem daran, dass die Großküchen und Kantinenbetriebe bestimmte Mengen im Grund vorhalten müssen. Das heißt, sie müssen einen gewissen Überschuss einkalkulieren. So jedenfalls die bisher übliche Denkart. So produzieren sie Reste, die sie nicht mehr für die nächsten Tage oder so verwenden können."
    Fast die Hälfte der eingekauften Lebensmittel wird von Kantinen, Restaurants und Großküchen entsorgt. Das liegt zum einen an Hygienevorschriften. Sie verhindern, dass einmal aufgetischtes Obst, Gemüse, Fleisch oder Wurst auch am nächsten Tag wieder verwendet werden können. Obwohl sie noch gut sind. Anderseits sind auch die Haftungsvorschriften sehr scharf. Restaurants oder Kantinen, aber auch Betreiber von Straßen- oder Vereinsfesten oder von Tafeln für Bedürftige machen sich strafbar. Wenn sie keine einwandfreien Lebensmittel anbieten. Also wandert mehr als nötig in den Müll. Nach einer Schätzung der EU-Kommission werden durch Landwirtschaft und Verbrauch insgesamt 89 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr vernichtet. Die Überregulierung im Lebensmittelrecht schadet also der Umwelt, meint Dr. Michael Angrick vom Umweltbundesamt.
    "Dadurch wird halt eben auch die Umweltinanspruchnahme vergrößert. Und eigentlich geht es um diesen Bereich, den so klein wie möglich zu halten, indem wir möglichst schonend mit unseren produzierten Lebensmitteln umgehen. "