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Lebensmittelwarnungen
"Von den allermeisten Rückrufen bekommen wir gar nichts mit"

Handelt es sich nicht gerade um einen spektakulären Fall, kommen Lebensmittelwarnungen beim Verbraucher oft gar nicht an - oder zu spät, kritisieren Verbraucherschützer. Doch das könne richtig gefährlich werden, warnte Foodwatch-Expertin Lena Blanken im Dlf. Am besten sei es, Supermärkte zur Information zu verpflichten.

Lena Blanken im Gespräch mit Stefan Römermann | 24.08.2017
    Stefan Römermann: Dioxin, Salmonellen und zuletzt Fipronil in Eiern - Lebensmittelskandale sorgen in Deutschland immer wieder für Schlagzeilen. Doch das sind dann nur die besonders spektakulären Fälle. Verbraucherschützer kritisieren, dass viele Lebensmittelrückrufe gar nicht beim Verbraucher ankommen. Die Organisation Foodwatch hat das Problem jetzt untersucht. Vor der Sendung habe ich Foodwatch-Expertin Lena Blanken gefragt, ob es bei den Dingen, die wir verpassen, wirklich nur um die vergleichsweise harmlosen Fälle geht.
    Lena Blanken: Das kann richtig gefährlich werden, wenn lebensgefährliche Produkte im Markt sind und nicht oder nicht rechtzeitig zurückgerufen werden. Wir haben zum Beispiel Produkte, Salmonellen in Eiern oder Glasscherben in Kirschen. Das kann zum Ersticken führen, das kann den ganzen Hals aufschlitzen. Salmonellen sind gerade für Kinder, für alte Leute, für Schwangere - wenn die da Produkte verzehren, können die schwer erkranken und das kann sogar bis hin zum Tod führen.
    Hersteller müssen warnen - aber nicht auf allen Kanälen
    Römermann: Wie wird denn bisher darüber informiert? Ich kann mich nur gelegentlich mal an Aushänge im Supermarkt erinnern. Ansonsten kriege ich davon nicht viel mit.
    Blanken: Von den allermeisten Rückrufen bekommen die Verbraucherinnen und Verbraucher gar nichts mit. Im Schnitt werden zwei Lebensmittel pro Woche wegen Gesundheitsgefahren zurückgerufen. Von den wenigsten wissen wir aber was.
    Römermann: Aber was heißt das? Wie funktioniert so ein Rückruf denn dann bisher?
    Blanken: Bisher ist es so, dass die Hersteller warnen müssen. Sie sind aber nicht verpflichtet, alle Kanäle, die ihnen zur Verfügung stehen, zu nutzen. Das heißt, sie schreiben eine Pressemitteilung, aber zum Beispiel ihren Facebook-, Twitter-Kanal, ihren Newsletter oder ihre Website, da wo sie viele Menschen erreichen, da sind sie nicht verpflichtet, über Lebensmittelwarnungen zu informieren, und in der Regel machen sie das auch nicht.
    Römermann: Das heißt, sie schreiben eine Pressemitteilung, geben es eventuell noch an die Behörden vermutlich weiter, und das war’s dann?
    Blanken: Die Behörden bekommen dann die Pressemitteilung und dann gibt es ein Portal, das heißt Lebensmittelwarnung.de. Das wird von den Behörden betrieben und dort weisen die Behörden auf diese Lebensmittelwarnungen hin.
    Oft verspätete Hinweise
    Römermann: Als Verbraucher soll ich dann, bevor ich eine Konserve aufmache, erst mal schauen, ob die noch gut ist, ob davor gewarnt wird? Oder wie stellen die sich das vor?
    Blanken: Die Seite ist so gedacht, dass es eine zentrale Informationsplattform für Verbraucherinnen und Verbraucher ist. Das ist auch im Prinzip eine gute Idee. Nur leider müssen wir feststellen, dass sie nur mangelhaft umgesetzt wird. Das heißt, die meisten oder fast die Hälfte der Warnungen kommen verspätet auf diese Seite, ein, zwei, drei, vier Tage, manchmal sieben, sogar manchmal 20 Tage. Da sind die Lebensmittel oft schon verzehrt. Das ist keine Plattform, die sich dafür eignet, schnell und umfassend informiert zu werden.
    Römermann: Haben Sie da nachgefragt, wie die Behörden das erklären, diese Verspätungen?
    Blanken: Die Behörden haben ganz unterschiedliche Erklärungen für die Verspätung. Zum Beispiel: Manchmal ergeht ein Rückruf am Freitag. Da arbeiten dann die Behörden am Nachmittag nicht mehr und dann dauert es schon mal bis zum Montag, bis so eine Lebensmittelwarnung von den Behörden veröffentlicht wird. Das kann natürlich nicht sein. Bei lebensgefährdenden Produkten müssen Behörden ohne Verzug warnen.
    Supermärkte müssten über Rückrufe informieren
    Römermann: Wie könnte denn Ihrer Meinung nach ein wirklich effektives Warnsystem aussehen, das bei den Bürgern auch wirklich ankommt?
    Blanken: Aus unserer Sicht sind die Handelskonzerne der Schlüssel dazu, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher davon auch wirklich mitbekommen. Denn in den Supermärkten macht man seinen täglichen Einkauf, da kehrt man hin zurück. Die Supermärkte haben den direkten Kontakt zu den Kunden. Wenn die verpflichtet werden würden, über jeden Lebensmittelrückruf, sowohl Eigenmarken als auch Herstellermarken, die sie in ihrem Sortiment führen, darüber zu informieren, dann würden schon eine Menge Verbraucherinnen und Verbraucher erreicht werden.
    Scheu der Unternehmen vor einem Rückruf gesunken
    Römermann: Können wir denn zumindest noch irgendwas Positives sagen zu den Lebensmittelrückrufen? Hat sich da vielleicht zumindest in den letzten zehn, 20 Jahren was verbessert oder war bei Lebensmitteln, bei der Lebensmittelsicherheit früher wirklich alles besser?
    Blanken: Was wir beobachten ist, dass tatsächlich mehr Lebensmittel öffentlich zurückgerufen werden. Das heißt aber nicht, dass es deswegen mehr Vorkommnisse gibt, sondern die Scheu der Unternehmen vor einem Rückruf ist aus unserer Sicht gesunken. Das liegt auch daran, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher in der Regel solche Vorfälle auch verzeihen. Das heißt, wenn es einmal dazu kommt, dass was schiefgeht, und das Unternehmen dann offensiv damit umgeht und alle Kanäle nutzt, um darüber zu informieren, dann ist das auch nicht rufschädigend oder so. Wenn Unternehmen aber versuchen, es zu vertuschen oder Risiken kleinzureden, dann leidet das Image.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.