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Lebensqualität als Ansporn

Ulrich Grober hat eine Kulturgeschichte des Begriffes der Nachhaltigkeit geschrieben. Darin kommt er zu dem Schluss, dass der nachhaltige Umgang mit der Natur keiner Generation, keiner historischen Epochen und keinem bestimmten Menschenschlag zuzuordnen ist, sondern das es so etwas ist, wie eine anthropologische Konstante.

Von Rainer Kühn | 01.03.2010
    Ist es womöglich eine angeborene Fähigkeit des Menschen, nachhaltig mit der Natur umzugehen? Das fragt sich Ulrich Grober gleich zu Beginn seines Buches. Falls ja, dann müsste die Idee, mit der Umwelt pfleglich, behutsam und vor allem vorausschauend umzugehen, die menschliche Gattung seit Anbeginn begleitet haben. Also ganz so, wie es der Philosoph Hans Blumenberg geschildert hat in seiner "Arbeit am Mythos". Danach hat dieses vorausschauende Handeln den Homo sapiens mindestens einmal vor dem Aussterben bewahrt: Aus der nördlichen Hemisphäre verdrängt und nur noch in einem winzigen Streifen im Süden Afrikas ums Überleben kämpfend, begannen unsere Vorfahren damit, Wasser in geleerte Straußeneier zu füllen und diese dann zu vergraben – als Vorsorge für die Zukunft. Der Begriff "Nachhaltigkeit" ist allerdings erst 1713 geprägt worden. Von Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz. Damals wurde im sächsischen Bergbau das Holz knapp, das für den Verbau der Schächte benötigt wurde. Carlowitz reformierte die Forstwirtschaft, machte sie – "nachhaltig":

    "Nachhaltigkeit ist vor allem, eine Balance von Selbstsorge und Vorsorge in der Gesellschaft zu etablieren. Und diese Balance, die hat sich in unserer Kultur – und auch in den Kulturen der Welt – immer jeweils anders ausgeprägt. Und das ist, denke ich, eine immanente kulturelle Angelegenheit. Und von daher eben mein Zugang über die Kulturgeschichte zu dem, was die Kernsubstanz von Nachhaltigkeit ausmacht," sagt Ulrich Grober. Der 1949 geborene Autor hat im doppelten Sinn des Wortes weite Wege zurückgelegt, um die Idee der Nachhaltigkeit zu verfolgen: Einerseits spannt er zeitlich einen weiten Bogen: Von Franz von Assisi über die mittelalterliche Theologie, die Frühaufklärung, die ausführlich – vielleicht sogar: zu ausführlich - dargestellte Entwicklung der Forstwirtschaft bis hin zu den Klimagipfeln unserer Tage ist er den Spuren nachgegangen, die der Begriff in Bibliotheken und Archiven hinterlassen hat.

    Dieses Buch will auf dem Weg über die Sprache und die Begriffsgeschichte zur Klärung und Sensibilisierung beitragen. Es erzählt davon, wie sich in langen Zeiträumen intuitives Vorsorgedenken zu einem Begriff kristallisierte. Wie unter dessen Schirm ein Wortfeld entstand, auf dem sich alltäglich gewordene Vokabeln wie Ökologie, Umwelt, Lebensqualität und sogar Management herausbildeten. Es handelt vom langsamen Wachsen einer Idee und von der komplexen Beziehung zu den Lebenswelten, in denen sie sich entwickelte.
    Andererseits hat der passionierte Wanderer Ulrich Grober auch zu Fuß weite Wege zurückgelegt, um dem Begriff der Nachhaltigkeit auf die Spur zu kommen. So liefert er dem Leser Reportagen aus Assisi, Weimar oder Venedig und versucht, geradezu sinnlich nachvollziehbar zu machen, was einzelne Aspekte der Chiffre Nachhaltigkeit bedeuten. So beispielsweise, wenn er von den enormen Anstrengungen der italienischen Lagunenstadt erzählt, die notwendig waren, um den gewaltigen Bedarf an Holz nachhaltig zu decken.

    "Ich bin zu Erinnerungsorten gegangen. Ich war in Venedig, und wenn man da mit offenen Augen durchfährt und die Holzpfähle sieht, auf denen die Ankerplätze gebaut sind, auf denen die ganze Stadt ruht, dann kriegt man wirklich ein sinnliches Gefühl für das, was die Venetianer an Forstpolitik im 15./16. Jahrhundert gemacht haben."
    Entstanden ist alles andere als trockenes Begriffsgeklapper. Auch hält sich Grober nicht sklavisch an chronologische Entwicklungen. Stattdessen liefert er eine assoziationsreiche Ideengeschichte und zitiert immer wieder das Staunen von Dichtern und Astronauten über den `schönsten Stern des Firmaments´, der gleichzeitig hochgradig bedroht ist. Wer oberflächlich an das vielschichtige Buch herangeht, könnte eine derartige Darstellungsweise als naive, sentimentale ökologische Spintisiererei abtun. Davon ist Grober allerdings weit entfernt. Er weiß sehr wohl, was die Stunde geschlagen hat, etwa wenn er die Chancen der Menschheit, das Ende dieses Jahrhunderts zu erleben, auf 50:50 einschätzt. Nein, Grober setzt eben viel tiefer an als die, die sich derzeit einseitig um eine CO2-Reduzierung bemühen.

    Selbst wenn es uns gelänge mit technischen Lösungen den Klimawandel zu managen, also auf die plus Zwei-Grad-Celsius-Grenze zu beschränken, würden wir die anhaltende Zerstörung des Lebens auf der Erde nicht beenden. Es geht um mehr als 'Karbonneutralität' und den Übergang zu neuen Methoden von Ressourcenmanagement, nämlich um eine große Transformation.
    Und für diese große Transformation braucht es eben mehr als schrilles Apokalypse-Geschrei. Die anstehenden, notwendigen Veränderungen brauchen eine tiefgehende Verankerung im Denken. Ein nachhaltiges Umdenken lässt sich aber nicht autoritär verordnen. Es bedarf, so Ulrich Grobe, eines neuen Ansatzes, der attraktiv genug erscheint, um sich in Konkurrenz zum vorherrschenden Denkschema durchzusetzen.

    Bei aller Kritik an der zerstörerischen Entwicklung der gegenwärtigen Zivilisation nimmt der Ansatz die Attraktivität des 'schneller, höher, weiter, mehr' durchaus ernst. Er unterschätzt nicht das Beharrungsvermögen des Stabilität und Sicherheit versprechenden Wachstumsparadigmas. Er verkennt nicht die ästhetische Faszination und die Glücksverheißungen der Konsumwelt. In einem offenen Wettstreit der zwei Modelle müsste der neue Entwurf seine Anziehungskraft steigern und sich als 'einfach schöner' erweisen.
    Und der entscheidende Aspekt dieses neuen Konzepts, das den Übergang zu einer nachhaltigen Lebensweise ebnen soll, ist – laut Grober – die Lebensqualität.

    "Was, glaube ich, diese Brücke bildet, zu einer nachhaltigen Zivilisation, ist das Konzept der Lebensqualität. Wenn wir von diesem Konzept 'Lebensqualität' ausgehen, dann betreten wir ein Gelände, glaube ich, was offen ist für die freie Gestaltung - eben auf einer gesellschaftlichen Ebene, auch auf einer individuellen Ebene. Also wenn wir uns darauf orientieren, ein Maximum an Lebensqualität zu erreichen – und nicht ein Maximum an Konsumgütern -, dann sind wir, glaub´ ich, auf einem nachhaltigen Pfad zu einer Ressourcen-leichteren Zivilisation."
    Das hervorragend lesbare Buch von Grober sei denen empfohlen, die noch die Muße haben, sich unaufgeregt mit dem zu befassen, was wirklich notwendig ist. Sollte er mit seiner Gelassenheit falsch liegen, werden wir alle erfahren, was wir hatten – wenn es weg ist.
    Seit heute in den Buchhandlungen: Ulrich Grober: Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs. Erschienen bei Kunstmann, 299 Seiten kosten 19 Euro (ISBN: 978-3-88897-648-3).