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Lech Kaczynski, der Europa-Querulant

Seit Lech Kaczynski im Oktober 2005 zum Staatspräsidenten Polens gewählt wurde, brachte er die Interessen seines Landes auch auf europäischer Ebene selbstbewusst ein. So konnte er beim EU-Reformvertrag von Lissabon etliche Änderungswünsche durchsetzen.

Von Volker Finthammer | 10.04.2010
    "Ich habe oft und eng mit dem polnischen Präsidenten zusammengearbeitet und ihn als entschiedenen polnischen Patrioten, aber auch einen den Werten der Freiheit und der Solidarität in der Europäischen Union verpflichteten Politiker schätzen gelernt", heißt es in der Erklärung des Präsidenten der EU-Kommission Jose Manuel Barroso.

    Und tatsächlich hat dieser Spannungsbogen die Auftritte von Lech Kaczynski in Brüssel geprägt. Das wurde besonders deutlich bei der langwierigen Debatte über den EU-Vertrag. Das Nein der Franzosen und der Niederländer gegen den gemeinsame Verfassungsvertrag gab den im Jahr 2004 zur EU beigetreten osteuropäischen Ländern eine Chance, ihre Interessen noch deutlicher einzubringen, als dies bei den Verhandlungen vor dem Beitritt zur EU der Fall war. Und der nationalkonservative Kaczynski, der im Oktober 2005 die Wahl zum Staatspräsidenten gegen den heutigen Regierungschef Donald Tusk gewonnen hatte, stieß im Zusammenspiel mit seinem Zwillingsbruder Jaroslaw, der im Sommer 2006 als Ministerpräsident die Regierungsgeschäfte in Warschau übernommen hatte, alsbald in Brüssel neue Töne an.

    Polen sollte aufgrund seiner Größe und als historische Wiedergutmachung für die Verluste im Zweiten Weltkrieg ein höheres Stimmgewicht in der EU bekommen, als dies der Verfassungsvertrag vorgesehen hatte. Die polnische Quadratwurzel wurde deshalb auch ein Kernproblem für den zweiten Anlauf zum EU-Reformvertrag. Doch in den schwierigen Verhandlungen konnten sich die Brüder Kaczynski letztlich weitgehend durchsetzen und einen Kompromiss erringen, wonach das Stimmengewicht ab dem Jahr 2014 nach einer neuen Formel berechnet werden muss, die vor allem mittelgroßen Ländern in der EU wie Polen oder Spanien mehr Gewicht einräumt.

    ""Ich bin sehr glücklich und das nicht nur über das Ergebnis, sondern auch darüber, wie die Zusammenarbeit mit den EU-Mitgliedern lief, für die die polnischen Forderungen besonders schwierig waren. Das ist wirkliche Solidarität zwischen den Ländern","

    hatte Lech Kaczynski nach der langen Gipfelnacht in Brüssel im Jahr 2007 erklärt. Dabei war der verstorbene polnische Präsident bei allen Auftritten in Brüssel weniger europaskeptisch als sein Bruder Jaroslaw, der mögliche Kompromisse in Brüssel noch von Warschau aus infrage gestellt hatte, während sich Lech Kaczynski vor Ort um eine Einigung bemühte. Dieses Bild änderte sich erst, als vor drei Jahren die Bürgerplattform von Donald Tusk in Warschau die Regierungsgeschäfte übernahm. Fortan war Lech Kaczynski der konservative Gegenpol zum neuen Regierungschef. Und dabei sollte der EU Reformvertrag noch einmal ins Zentrum rücken.

    Im Sommer 2008, nach dem erneuten Nein der Iren, hatte Kaczynski erklärt: "Die Sache mit dem EU-Verfassungsvertrag ist sinnlos." Er werde den Vertrag von Lissabon deshalb nicht unterschreiben. Erst nachdem die Iren im Oktober des vergangenen Jahres in einem zweiten Referendum den EU-Vertrag zugestimmt hatten, gab Lech Kaczynski seinen Widerstand auf. Europa muss mit einem großen Verlust leben, sagt der Präsident des EU-Parlaments, der frühere polnische Regierungschef Jerzy Buzek. Und sein Heimatland müsse mit einer unbeschreiblichen Tragödie zurechtkommen. Niemals zuvor seien in Europa so viele demokratisch gewählte Persönlichkeiten bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen.