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"Lectorbooks"
Ein neuer Independent-Verlag aus Zürich

Die Buchbranche befindet sich in einer gefühlten Dauerkrise. Trotzdem haben die Schweizer André Gstettenhofer und Patrick Schär einen neuen Verlag aus der Taufe gehoben. In diesem Frühjahr präsentiert Lectorbooks sein erstes Programm. Festes Ziel ist die Etablierung auf dem deutschen Markt.

Von Christoph Schröder | 31.05.2017
    Blick auf Zürich und die Limmat, sowie den Zürichsee
    Chic und elegant sehen sie aus, die Premieren-Neuerscheinungen von Lectorbooks - ganz wie Zürich, der Ort, woher sie kommen. (picture-alliance/ dpa)
    Im Frühjahr 2007 gründete André Gstettenhofer in Zürich den Salis Verlag, einen kleinen, unabhängigen Verlag für Belletristik und Sachbücher. Gstettenhofer, der zuvor bei Sony Music und anschließend beim Fotografieverlag Scalo gearbeitet hat, nahm wie viele andere Independent-Neugründungen den Schwung der Nullerjahre mit. Im Schatten der Krise des Buchhandels und der vielen offenen Fragen, die sich mit der Digitalisierung von Inhalten ergaben, entstand nicht nur in Deutschland eine Szene von Kleinverlagen, die mit Originalität, Frische und nicht zuletzt aufwendiger und sorgfältiger Gestaltung eine Nische suchten und fanden.
    Ein Jahr später, 2008, stieß Patrick Schär als Lektor bei Salis hinzu. Und das Salis-Duo landete 2012 einen Coup, von dem jeder Verleger träumt: "Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse", der Debütroman des Performance-Künstlers Thomas Meyer, war für den Schweizer Buchpreis nominiert und stand 46 Wochen auf der Beststellerliste. Der Bestand des Verlags war gesichert.
    Eine Neugründung ist stets ein Wagnis
    Nun, nach zehn Jahren, haben Gstettenhofer und Schär ein neues Projekt aus der Taufe gehoben: Auf der Leipziger Buchmesse präsentierten sie das erste Programm von Lectorbooks. Der neue Verlag soll allerdings, wie Gstettenhofer versichert, keinesfalls den etablierten Salis Verlag ablösen:
    "Der Salis Verlag funktioniert als klassischer Verlag mit den bekannten Strukturen und Inhalten, mit den Vertretern, den Auslieferungen, mit dem klassischen Begriff von Presse- und Vertriebsarbeit. In den zehn Jahren hat sich eine Vielzahl von Ideen angesammelt, von denen wir gesagt haben: Das müsste man einmal ausprobieren oder anders machen, und haben dabei auch gemerkt, dass das im Kontext, den wir uns mit Salis geschaffen haben, schwierig ist bis unmöglich."
    Eine Neugründung ist stets ein Wagnis. Gstettenhofer und Schär haben den Anspruch, mit Lectorbooks neue Wege zu gehen, inhaltlich, formal und auch in Bezug auf das Zielpublikum. Lektor Patrick Schär erklärt die Motivation für den Schritt der Neugründung:
    "Wir hatten Lust, mit Lectorbooks eine neue Spielwiese zu gründen, auf der wir alles ausprobieren können an Ideen, was sich so angesammelt hat, was wir uns mit Salis aber nicht trauen, weil das so gut läuft."
    Man will neue Talente finden und aufbauen
    Der Begriff der Spielwiese fällt oft, wenn man sich mit den beiden Verlagsmachern unterhält. Betrachtet man das erste Programm, so präsentiert sich, um im Bild zu bleiben, die Spielwiese noch als ein frisch bestelltes Feld, das es zu düngen und zu pflegen gilt. Mit Anna Stern, Heinz Emmenegger und David Signer bestücken drei Autorinnen und Autoren das Startprogramm, die zuvor ihre Bücher bei Salis veröffentlicht haben. Das allerdings soll sich in Zukunft ändern. Man will neue Talente finden und aufbauen. André Gstettenhofer zeigt sich zuversichtlich:
    "Es kommen immer mehr Sachen von Agenten. Das war interessant, weil es offenbar einige Jahre gedauert hat, bis die Agenturen einen ernst nehmen und einem auch Sachen anbieten, die nicht schon anderswo dreißigmal abgelehnt wurden."
    Die ersten positiven Rezensionen aus den Feuilletons hat Lectorbooks bereits verbuchen können. Das freut sowohl den Lektor als auch den Verleger ungemein, doch sind die Feuilletons nur einer der Multiplikatoren, auf die in Zukunft gesetzt werden soll, wie Schär erläutert:
    "Eine weitere Idee ist, dass wir die Blogger mit einbeziehen und diese genauso ernst nehmen wollen wie die professionellen Literaturkritiker. Wir glauben, dass wir die Leser so viel unmittelbarer erreichen können. Große Verlage machen das mittlerweile schon, aber wir hatten bisher auch nicht die Kapazität dafür."
    Die Macher haben ein Faible für das Skurrile
    Chic und elegant sehen sie aus, die Premieren-Neuerscheinungen: Die Cover mit einer großflächigen Fotografie, die sich über Vorder- und Rückseite des Buches erstreckt, mit in Silber geprägten Lettern und einem Lesebändchen, wie bei Anna Sterns Erzählungsband "Beim Auftauchen der Himmel". Oder auch als Taschenbuch wie im Fall Von Heinz Emmeneggers Roman "Im Heuschreck". Etwas kleiner im Format als gewöhnlich, gut in der Hand liegend, mit Sorgfalt im Detail gestaltet. Und noch etwas fällt auf am ersten Programm: Gstettenhofer und Schär scheinen ein Faible für das Skurrile, Surreale, Grenzüberschreitende zu haben: In Anna Sterns Erzählungen verwischen geradezu planmäßig die Grenzen zwischen Realität und Vorstellung, werden die Genres bunt durcheinander gewirbelt, gibt es sowohl realistische als auch Fantasy- und Krimi-Anklänge. Bei Emmenegger besteht das Personal aus dubiosen Geheimdienstlern, philosophischen Räsonierern und undurchsichtigen Afrikareisenden. Und auch in David Signers Erzählungen "Dead End" sollen die Figuren, und mit ihnen die Leser, in acht vom Tod handelnden Geschichten an den Rand ihrer Erfahrungswelten geführt werden. Lectorbooks, so scheint es, will sich als Spezialist für Radikalerfahrungen etablieren.
    So smart und originell die neuen Bücher auch präsentiert werden – was letztendlich zählt, ist der Verkauf und die Resonanz beim Publikum. Dafür bedarf es der Aufmerksamkeit des Buchhandels. In Deutschland beklagen viele Independent-Verlage, im Zuge der zunehmenden Zentralisierung des Buchhandels ignoriert zu werden. Die Marktriesen interessieren sich nicht für randständige Inhalte, sondern für verkäufliche Ware. Wartet man in der Schweiz auf einen neuen Kleinverlag? André Gstettenhofer ist optimistisch:
    "Die Kultur der unabhängigen Verlage, auch in der Organisation von SWIPS, also Swiss Independent Publishers, wo 25 oder 30 unabhängige Verlage ganz heterogener Art sich organisiert haben, ist relativ gut. Von daher ist die Schweiz ein guter Nährboden für unabhängige Verlage."
    "Werden auch einmal auf die Schnauze fallen"
    Was aber ist denn nun das Neue, Freche, Ungewöhnliche, das Alleinstellungsmerkmal, wie es mittlerweile heißt, von Lectorbooks? Zunächst einmal wollen Gstettenhofer und Schär Aufmerksamkeit erzeugen und dabei, das ist beiden wichtig, auch in den deutschen Markt vorstoßen. Zu diesem Zweck hat Schär sich ein Minibüro in Berlin gemietet, von wo aus er die Kontakte nach Deutschland herstellen und ausbauen will. Und man will versuchen, durch ungewöhnliche Maßnahmen Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen:
    "Wir möchten freche und ungezogene Kinder haben auf unserer Spielwiese. Wir haben jetzt angefangen, von der Erstauflage 999 Exemplare zu drucken. Die Erstauflage soll etwas Besonderes sein. Die wird ab dem zweiten Programm durchnummeriert sein, so dass die Leute auch an dem Objekt etwas Spezielles haben. Die Erstkäufer sollen belohnt werden."
    Gstettenhofer und Schär denken in Bezug auf die Verlagszukunft in unterschiedliche Zielrichtungen; auch reine E-Book-Publikationen oder multimediale Projekte seien denkbar. Der recht konventionelle Start des Verlags mit drei Büchern eingeführter Autorinnen und Autoren soll nur ein Anfang sein. Von der Zukunft wollen Schär und Gstettenhofer sich ebenso überraschen lassen, wie sie ihre Leser zu überraschen gedenken.
    Man merkt, dass die beiden Schweizer Lust haben auf etwas Neues. Und sie sind bereit, auch mit Rückschlägen zu leben:
    "Um beim Bild mit den frechen Kindern zu bleiben: Bei Lectorbooks werden wir auch einmal auf die Schnauze fallen und das darf auch sein, was man als Erwachsener nicht mehr so gut kann. Sie kennen das, die Schmerzen bleiben länger als Erwachsener."