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Legalisierung von Cannabis in Kanada
"Der Jugendschutz wird durch diese Freigabe massiv durchlöchert"

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), sieht die Legalisierung von Cannabis in Kanada kritisch. Das Argument, den Jugendschutz dadurch zu stärken wollen, sei nicht haltbar, sagte sie im Dlf. Denn je eher man konsumiere, desto größer sei die Gefahr von bleibenden Schäden.

Marlene Mortler im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 17.10.2018
    Die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler am 30.06.2015 bei der Vorstellung der Ergebnisse zum Alkoholkomsum in Deutschland für 2014.
    Die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler hält nichts von einer Legalisierung von Cannabis (picture alliance / dpa / Stephanie Pilick)
    Jörg Münchenberg: Am Telefon ist nun Marlene Mortler (CSU), Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Frau Mortler, ich grüße Sie!
    Marlene Mortler: Ich grüße Sie, Herr Münchenberg!
    Münchenberg: Frau Mortler, Kanada geht einen Schritt voran, legalisiert den Cannabis-Konsum ab der Volljährigkeit. Könnte das auch ein Modell für Deutschland sein?
    Mortler: Ich sehe, dass es grundsätzlich ein Problem ist, wenn Cannabis oder Cannabis-Konsum ständig verharmlost wird, und die Botschaft, die aus Kanada herüberkommt, heißt ja nichts anderes als: Es ist nicht so schlimm. Und der Vorwand, den Jugendschutz zu stärken, halte ich für einen wirklichen Vorwand. Aus meiner Sicht wird gerade der Jugendschutz durch diese Freigabe massiv durchlöchert. Und was den Schwarzmarkt betrifft: Den haben wir auch bei legalen Drogen, wenn ich an den Tabak denke. Auch hier haben wir den Schwarzmarkt noch nicht gänzlich beseitigt. Insofern halte ich es für eine sehr, sehr einseitige Vorgehensweise.
    Münchenberg: Das heißt, Frau Mortler, Sie würden sagen, die Kanadier sind von allen guten Geistern verlassen?
    Mortler: Na ja. Wenn Sie anmoderieren, in geringen Mengen, und wir reden über 30 Gramm, dann ist das schon nicht eine kleine Menge, sondern aus meiner Sicht eine entsprechend große Menge, die ja auch sagt, so viel kannst du mit dir haben, oder so viel kannst du kaufen, ohne dass irgendwas passiert. Aber wollen wir doch mal den Gesamtzusammenhang sehen: Wir leben in einer Zeit, wo man ständig nach Ersatzreligionen schaut, wo man andererseits sagt, die Gesundheit ist unser höchstes Gut. Das betrifft die gesunde Ernährung, unser Ernährungsverhalten als solches.
    "Wir brauchen keine weiteren legalen Drogen"
    Münchenberg: Frau Mortler, jetzt sagen viele Experten, Cannabis sei keine härtere Droge als Tabak oder Alkohol.
    Mortler: Ich gebe Ihnen vollkommen recht, dass jede Droge für sich gesundheitsschädlich ist. Das steht außer Frage. Aber wir wissen auch, dass Alkohol und Tabak als legale Drogen so viel Probleme machen, dass sie in unserer Gesellschaft so stark verankert und verfestigt sind, dass wir im Grunde genommen keine weitere legale Droge mit Cannabis brauchen.
    Münchenberg: Auch wenn bei Alkohol das Suchtrisiko deutlich höher ist? Auch das sagen ja die Experten.
    Mortler: Das mag alles sein. Aber Sie wissen auch, dass Alkohol in Maßen – und hier geht es bestenfalls um Alkohol genießen, um geringste Mengen – keinen Schaden verursacht, während wir gerade im Bereich Cannabis wissen: Je früher ich konsumiere, je jünger ich bin, je regelmäßiger ich konsumiere, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich im schlimmsten Fall auch bleibende Schäden davontragen kann.
    Münchenberg: Jetzt sagt sogar Ihr Drogenbericht, 26 Prozent der Erwachsenen hat schon mal Cannabis konsumiert. Aber nur sieben Prozent konsumieren härtere Drogen. Man kann nicht sagen, der, der auch Cannabis konsumiert, rutscht dann ab in die härteren Drogen. Das war ja lange Zeit ein Argument auch immer gegen die Legalisierung von Cannabis.
    Mortler: Wenn Sie mit den Suchthilfe-Einrichtungen reden – und das mache ich regelmäßig -, dann sagen die aber sehr, sehr oft, dass Cannabis, wenn Sie die Biographie der Menschen anschauen, eine Einstiegsdroge ist zu anderen Drogen. Das kann Alkohol sein als legale Droge; das können aber auch andere härtere Drogen sein. Das heißt, unser Weg kann doch nicht sein, auf der einen Seite bei den legalen Drogen auf die Bremse zu treten und bei den illegalen Drogen, in dem Fall bei Cannabis aufs Gaspedal.
    Ich halte das für eine vollkommen verfehlte Botschaft und ich finde, es hat auch was mit Glaubwürdigkeit zu tun, unsere Gesundheit in ihrer Gesamtheit zu betrachten und nicht einerseits nach gesunder Ernährung zu rufen und auf der anderen Seite, aber Cannabis muss anders behandelt werden.
    Münchenberg: Aber Sie sehen da kein gewisses Glaubwürdigkeitsproblem? Auf der einen Seite akzeptiert man den Konsum von Alkohol, nimmt das eigentlich hin und sagt, bei Cannabis sind wir aber viel strenger.
    Mortler: Sehen Sie, das habe ich als Drogenbeauftragte damals vorgefunden. Ich habe Cannabis weder illegal gemacht. Da haben viele, viele Nationen weltweit eine Vereinbarung unterschrieben. Das ist das eine. Das andere ist, dass ich mich sehr, sehr unbeliebt mache aus voller Überzeugung, wenn es darum geht, Alkohol-Konsum einzuschränken. Ich bin in ständigen Gesprächen mit der Brauereiwirtschaft, mit der Spirituosenwirtschaft, aber auch mit der Werbung, die vor allem durch Online-Werbung immer wieder den Jugendschutz hintertreibt.
    Auf der anderen Seite war ich die erste Drogenbeauftragte, die es geschafft hat, trotz vieler Widerstände einen Alkohol-Atlas auf den Markt zu bringen, der einfach noch mal ganz klipp und klar aufzeigt, im großen Zusammenhang, wo es Probleme gibt und wo wir weiter ansetzen müssen.
    Münchenberg: Frau Mortler, trotzdem noch mal die Frage. Wird da nicht mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen? Bei Alkohol schaut man großzügig hinweg, das ist so eine Art Volksdroge, die nimmt man in Kauf, da kann man auch wenig dagegen machen oder will nichts dagegen machen. Bei Cannabis dagegen ist das anders.
    Mortler: Genau deshalb bin ich ja – ich sage es noch mal – in Sachen Alkohol hier massiv unterwegs und mache mich auch unbeliebt und sage, ihr müsst hier euren Beitrag leisten. Es gab gute Beispiele zum Beispiel in Baden-Württemberg, wo man das Verkaufsverbot ab 22 Uhr in Tankstellen und Kiosken absolut eingeschränkt und verboten hat. Das hat man jetzt aus politischen Gründen wieder aufgehoben, trotz guter Erfahrungen, trotz guten Erfolgs.
    Gerade hier höre ich zum Beispiel auch auf die Polizei, die mir immer wieder sagt und bestätigt, diese sogenannten Sperrzeiten, die wir früher hatten, die wären ein gutes Mittel, nicht nur, um gegen das Thema Sucht vorzugehen, sondern Alkoholkonsum ist auch immer mit Gewalt verbunden, um auch diese Gewaltexzesse, die wir teilweise erleben, und Angriffe auf die Sicherheitsbehörden massiv einzuschränken.
    Bähr: Probleme sind mit der Legalisierung nicht aus der Welt
    Münchenberg: Frau Mortler, nun gibt es trotzdem auch noch andere Argumente, die für eine Legalisierung von Cannabis sprechen. Zum Beispiel, dass die Qualität auch deutlich besser gesteuert werden könnte, wenn man das streng kontrolliert und freigibt. Das ist ja eigentlich auch ein Gesundheitsaspekt.
    Mortler: Ich habe mich ja in der Vergangenheit immer klar positioniert zum Thema Cannabis im Freizeitkonsum-Bereich und Cannabis als Medizin, sprich in Arzneimittel-Qualität. Hier sollten wir auch weiter unterscheiden. Wir wissen auch, dass Cannabis als Medizin nicht das Mittel der ersten Wahl ist, sondern erst dann verschrieben werden soll, wenn es nachweislich keine anderen wirkenden Medikamente gibt. Insofern ist das ein vorgeschobenes Argument.
    Entweder wir nehmen das Thema Gesundheit und gesundes Verhalten als Einzelperson und als Politik ernst, oder wir sagen, wir meinen es doch nicht so, und das ist ja das, was ich zusammenbringen will, sowohl die Aufklärung im Bereich Alkohol. Ich habe nächstes Jahr als Drogenbeauftragte wirklich auch einen Schwerpunkt geplant und heuer auch im Rahmen meiner Jahrestagung, Sucht und Suchtverhalten beziehungsweise Drogenkonsum in unserer Gesellschaft. Das geht uns alle an. Wir müssen den endlich aus …
    Münchenberg: Frau Mortler, einen Punkt möchte ich gerne noch mal machen. Es geht ja auch um die Entkriminalisierung der Konsumenten. Diejenigen, die Alkohol trinken, die kommen ungeschoren davon, wenn sie jetzt nicht gerade am Steuer sitzen. Derjenige, der Cannabis konsumiert, der hat ein dickes Problem. Wie kann man das vermitteln?
    Mortler: Welches Problem hat er, außer …
    Münchenberg: Es ist nicht legal.
    Mortler: Ja. Aber wollen Sie jetzt im Ernst fordern, dass, wenn das Ganze legal ist, dann alles gut ist? Schauen Sie doch, was in Kanada an Reaktionen schon auf dem Markt ist. Die Polizei, das Militär, die Fluggesellschaften sagen, um Gottes Willen, wir weisen Mitarbeiter ganz klar an, nicht Cannabis zu konsumieren, weil wir um die Folgen wissen. Das ist ja nicht so, dass das jetzt mit der Legalisierung aus der Welt wäre.
    Münchenberg: Aber es wird ja konsumiert und es geht auch um die Austrocknung des Schwarzmarktes, der auch in Deutschland doch ein großes Problem darstellt.
    Mortler: Sie können mich an einer Stelle überzeugen, und das ist …
    Münchenberg: Das wäre doch schon mal was!
    Mortler: Nein, nein, an folgender Stelle: Wenn ich sage, wir müssen früher die jungen Leute ansprechen beim Konsum. Wir müssen früher einschreiten, zum Beispiel Modell Portugal, Frühintervention und die jungen Menschen vor die Frage stellen, Hilfe oder Sanktion, Beratung oder Sanktion. Dann ist das, glaube ich, ein ganz, ganz wichtiges und tolles Mittel, über das wir auch in Deutschland intensiver diskutieren sollten, denn es geht hier nicht um Kriminalisierung, um Stigmatisierung, sondern darum, wie ich glaubwürdig früher helfen kann, weil sonst bin ich als Drogenbeauftragte ja auch nicht glaubwürdig, und das möchte ich gerne. Wenn es um den Sonntag geht, ist der unteilbar.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.