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Lehren aus Katrina

Technik. – Zwei Jahre ist es beinahe her, dass der Wirbelsturm Katrina die US-Metropole New Orleans heftig traf. Die Aufräumarbeiten sind bei weitem noch nicht beendet und auch die Ertüchtigung der Deiche ist noch im Gange. Ein Bericht der Amerikanischen Gesellschaft der Bauingenieure zeigt jetzt auf, wo es weiterhin Schwachstellen im Schutzsystem gibt.

Von Volker Mrasek | 08.06.2007
    Zum Start der neuen Hurrikan-Saison im Atlantik ist das sicher keine Nachricht, die frühere Bewohner zurück nach New Orleans locken könnte. Die Stadt am Mississippi-Delta besitzt zwar jede Menge Deiche und Hochwasser-Mauern, stattliche 600 Kilometer lang. Doch ihre Schutzwirkung war und ist weiterhin stark limitiert. Das ist eine der Kernaussagen aus dem neuen Report, den die Amerikanische Gesellschaft der Bauingenieure jetzt vorlegt. Robert Gilbert, einer der Hauptautoren und Professor für Bauingenieurwesen an der Universität von Texas in Austin:

    "”In unserer Arbeit haben wir das Hurrikan-Schutzsystem von New Orleans mit den Sicherheits-Standards von Staudämmen in den USA verglichen. Beide leisten im Grunde dasselbe: Sie sollen Wasser zurückhalten. Und bei diesem Vergleich zeigte sich: Das Risiko, dass die Deiche in New Orleans bei einem Extremereignis versagen, ist wesentlich größer als bei jedem großen Staudamm in den USA.”"

    Laut dem US-Ingenieur sind Staudämme in den Staaten seit 30 Jahren so ausgelegt, dass sie - statistisch gesehen - höchstens alle 100.000 Jahre brechen. Das heißt: Nur besonders starke Erdbeben oder andere Extreme, die entsprechend selten vorkommen, können die Dämme bersten lassen. Die Sicherheitsstandards sind also sehr hoch. Ganz anders die Situation in New Orleans. Als der Hurrikan Katrina im Jahr 2005 mit der Stärke 5 auf See heranrückte und eine enorme Sturmflut ins Landesinnere drückte, hatte die Stadt im Grunde keine Chance. Dabei sind Wirbelstürme dieser Stärke an der US-Golfküste gar nicht so selten. Gilbert:

    "New Orleans’ Deichsystem existiert seit 40 Jahren, und es hat schon einmal katastrophal versagt. Es war ein Ereignis, von dem wir annehmen, dass es nicht so selten auftritt: alle 50 bis hundert Jahre."

    An 50 verschiedenen Stellen brachen die Deiche und Schutzwälle unter der Last von Katrinas Sturmflut. Doch selbst wenn sie gehalten hätten - es wäre dennoch zu Hunderten von Todesfällen gekommen, wie die Ingenieure abschätzen. Denn die Flutwelle war so hoch, dass sie vielerorts einfach über die Deiche hinwegschwappte. Was also tun? Die Schutzbauten erhöhen und - wo nötig - verstärken? Eigentlich eine naheliegende Idee. Doch die Gutachter geben zu bedenken: Bei einer Gesamtlänge von 600 Kilometern würde das zig Milliarden Dollar kosten. Außerdem gebe es keine Gewähr dafür, dass nicht auch ein aufgestockter Schutzwall von künftigen Sturmfluten überspült wird. Deshalb ist etwas anderes für Robert Gilbert mindestens genauso wichtig: funktionierende Konzepte, um die Bevölkerung im Ernstfall zu evakuieren. Bei Katrina ist das gründlich fehlgeschlagen:

    "Statt das System so zu konstruieren, dass es niemals versagt, was praktisch unmöglich ist - stattdessen sollte man eher dafür sorgen, dass die Konsequenzen, wenn es versagt, nicht katastrophal sind. Die Öl-Bohrinseln im Golf von Mexiko sind von Katrina genauso schwer getroffen worden wie New Orleans. Die Schadenssummen waren vergleichbar. Aber es ist gelungen, alle Menschen auf den Bohrinseln in Sicherheit zu bringen - immerhin 25.000 Leute. Niemand wurde verletzt, niemand verlor sein Leben."

    In New Orleans komme es vor allem darauf an, jene Stadtviertel zu räumen, die unter dem Meeresspiegel liegen. Denn dort könne eine Sturmflut die größten absoluten Höhen erreichen. Ingenieure der Universität von Florida wollen unterdessen dazu beitragen, Häuser Hurrikan-sicherer zu bauen. Sie haben eine mobile Windmaschine entwickelt, die Wirbelstürme der Stärke 3 imitieren kann. Schiffsdiesel-Motoren mit 2800 PS treiben dazu insgesamt acht Schaufelrad-Gebläse an. Projektleiter Forrest Masters will das Monster auf abbruchreife Häuser loslassen. Masters:

    "”Wir wollen die Häuser nicht wegblasen, sondern die Widerstandskraft von Fenstern, Türen und anderen Bauelementen testen.""

    Ziel sei es, Haus-Komponenten zu entwickeln, die Hurrikanes besser standhalten, in Zusammenarbeit mit der Industrie. Erste Material-Tests sind noch für dieses Jahr geplant.