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Lehrer-Fortbildung
Respekt gewinnen

Der Verein Heroes engagiert sich seit sieben Jahren gegen Unterdrückung im Namen der Ehre. Er schickt junge muslimische Männer in Schulen, um mit Schülern über Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und den Begriff der Ehre zu diskutieren. Nun bietet der Verein dazu auch eine Fortbildung für Lehrer an.

Von Katja Hanke | 04.06.2014
    Klassenzimmer in Grundschule
    Das Seminar versucht zu vermitteln, dass sich die Lehrer Zeit nehmen und individuell auf die Jugendlichen eingehen sollen. ( picture alliance / dpa / Caroline Seidel)
    Ein heller Seminarraum im Gebäude der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Berlin. 15 Lehrerinnen und Lehrer sitzen im Halbkreis auf Stühlen. Sie unterrichten vor allem Jugendliche, deren Eltern Migrationshintergrund haben und wollen heute erfahren, wie sie besser auf ihre Schüler reagieren können. Vorne sitzen Yilmaz Atmaca und Ahmad Mansour, jeder einen Laptop vor sich, um Filme und Folien an die Wand zu projizieren. Zuerst geht es darum, die Situation der Jugendlichen besser zu verstehen.
    "Also, wir haben Jugendliche, die Werte von ihren Familien mitbekommen, ablehnende Werte, die andererseits auch nicht von der Mehrheitsgesellschaft akzeptiert werden. Also, ich möchte nicht in deren Haut stecken."
    Yilmaz Atmaca, groß, kurze Haare, grauer Kinnbart, ist Theaterpädagoge, Türke und lebt seit 20 Jahren in Deutschland. Seit sieben Jahren arbeitet er für Heroes mit Jugendlichen aus sogenannten Ehrenkulturen. Er geht in Schulen, hält Vorträge, macht Fortbildungen in Jugendämtern, bei der Polizei oder Familienhilfe. In dieser Lehrerfortbildung kommt die Diskussion schnell in Gang.
    "Ja, ich denke, es steht und fällt wirklich mit der Anerkennung. Ich glaube ganz fest, und das erlebe ich in meiner Klasse, dass sie sich nicht anerkannt fühlen."
    Damit spricht die Lehrerin früh an, worum es geht: um Verständnis und Anerkennung. Doch zuerst erzählen alle von ihren Erfahrungen: von Jungen, die eine Lehrerin nicht als Autoritätsperson akzeptieren oder Mädchen, die nicht mit zur Klassenfahrt dürfen, weil sie die Ehre ihrer Familie beschmutzen könnten.
    Ehre: Mit diesem Begriff wachsen die meisten muslimischen Jugendlichen auf. Er bestimmt ihr Leben. Mansour und Atmaca sezieren den patriarchalen Ehrbegriff und gehen detailliert darauf ein, welche Folgen er vor allem für Jungen hat: Er macht sie zu ständigen Bewachern ihrer Schwestern, verunsichere viele Jungen, verängstige sie sogar. Das alles kaschierten sie mit Macho-Gehabe. Doch, wie gehen Lehrer damit um?
    "Also, ich bin Muslim und ich finde das mit der Ehre sehr wichtig, das ist für mich und meine Familie wichtig, dass die Frauen in meiner Familie ehrenhaft bleiben."
    Der Psychologe Ahmad Mansour nimmt in der Fortbildung oft den Standpunkt der Jugendlichen ein. Er ist Ende 30, israelischer Palästinenser und seit neun Jahren in Berlin. Auch er ist von Anfang an bei Heroes dabei. Jetzt möchte er, dass die Lehrer reagieren:
    "Also, dann würde ich dir jetzt die Frage stellen, also, ich würde jetzt 'Warum' fragen. Warum denkst du das so? Ich würde versuchen, mit dir in den Dialog zu treten. - Weil ich das so von meinen Eltern, von meiner Religion, von meiner Kultur mitbekommen habe und ich finde dieses Leben ..."
    Gespräch auf Augenhöhe
    Mansour macht es den Teilnehmern nicht einfach. Einige schauen verunsichert. Eine Lehrerin meint, dass sie sich auf so ein Gespräch nicht einlassen würde. Aber genau da sieht Yilmaz Atmaca die Lösung.
    "Wenn ich als Lehrer mit einem Jugendlichen ins Gespräch komme und ihn mit seiner Haltung konfrontieren möchte, würde ich versuchen, einen Augenkontakt mit ihm aufzunehmen. Nicht, dass ich ihm recht gebe, aber er soll schon die Möglichkeit bekommen, sich zu erklären. Wenn ich aber ständig sage: Wir leben in Deutschland, und du hast dich anzupassen, und du musst dich integrieren, dann ist das keine Begegnung auf Augenhöhe, sondern es ist eher ein Machtspiel, und dann wird wahrscheinlich der Junge den Kontakt ablehnen oder aggressiv darauf reagieren."
    Die Lehrer sollten sich lieber Zeit nehmen und individuell auf die Jugendlichen eingehen. Nachfragen, sich nicht verunsichern lassen, ganz egal, ob ein Schüler Hitler toll findet, weil der Juden getötet hat oder Menschen, die Schweinefleisch essen, dreckig nennt oder eine Frau eine Schlampe.
    "In diesem Kontakt stelle ich ihm Fragen: Wieso hat er das getan? Aus welchen Gründen? Woher kommen diese Gründe? Wir müssen die Jugendlichen dazu bringen, dass sie selber darüber nachdenken, was sie selbst sagen."
    Oft nicken die Lehrer und Lehrerinnen zustimmend, betonen aber, dass so ein Gespräch auf Augenhöhe schwierig sei. Außerdem fühlten sich oft allein gelassen, von der Schulleitung und von der Politik sowieso. Auch Mansour und Atmaca räumen ein, dass noch viel passieren muss. Doch zu allererst brauche es die Offenheit der Lehrer, so Ahmad Mansour, ohne kulturelle Vorurteile und das Wir-ihr-Denken. Denn:
    "So lange wir die Debatten auf dieser Ebene führen, werden wir nichts schaffen. Und, wenn das die einzige Botschaft des heutigen Tages ist, dann reicht es mir."