Donnerstag, 28. März 2024

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Lehrerarbeitszeit
GEW fordert "modernes Bild von Lehrkräften"

Unterricht, Vor- und Nachbereitung, Elterngespräche, aber auch immer mehr erzieherische Aufgaben: Das Tätigkeitsfeld von Lehrkräften habe sich in den letzten Jahren stark verändert, sagte Ilka Hoffmann von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im DLF. Deshalb müssten neue Rahmenbedingungen her.

Ilka Hoffmann im Gespräch mit Jörg Biesler | 24.11.2016
    Eine junge Lehrerin schreibt am 17.08.2016 an eine Schultafel im Mathematikunterricht einer 8. Klasse an einer Integrierten Gesamtschule in Hannover (Niedersachsen).
    Ilka Hoffmann von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat die Politik aufgerufen, auf die veränderten Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte zu reagieren. (dpa/ picture alliance/ Julian Stratenschulte)
    Jörg Biesler: Die Lehrerarbeitszeit ist ein Riesenthema, und das wahrscheinlich schon, solange es Lehrer gibt. Gerade haben wir gehört, dass sie auch Gegenstand von Prozessen ist, denn nicht jeder Lehrer und nicht jede Lehrerin finden die geltenden Regelungen gerecht. Was aber ist eine gerechte Regelung. Darüber möchte ich sprechen mit Ilka Hoffmann, der Leiterin des Bereichs Schule bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Guten Tag, Frau Hoffmann!
    Ilka Hoffmann: Guten Tag!
    Biesler: Sie sind ja selbst auch Lehrerin, Sie kennen die Schwierigkeiten bei der Arbeitsverteilung in der Schule. Wie ging es Ihnen in der aktiven Zeit als Lehrerin mit der Arbeitszeit?
    Hoffmann: Was man wirklich feststellen kann, ist, dass in den letzten Jahren, und das war auch damals schon so, es eine sehr große Zunahme von erzieherischen Aufgaben gegeben hat. Das heißt, die Notwendigkeit der Beratung von Schülerinnen und Schülern, auch die Beratung von Eltern, auch die Vermittlung in Konflikten, und dass oft das Bild, das von der Arbeit von Lehrerinnen vorherrscht, das ist, dass Unterricht zu erteilen, diesen vor- und nachzubereiten und Korrekturen vorzunehmen. Aber Lehrerinnenarbeit ist heutzutage sehr viel mehr, und ich glaube, dass das wenig berücksichtigt wird und auch wenig anerkannt wird.
    Biesler: Haben Sie manchmal gedacht, dass Sie zu viel arbeiten?
    Hoffmann: Ja, und ich habe das auch vor allen Dingen bei Kolleginnen und Kollegen gesehen, die dazu eine Klassenleitung hatten und auch korrekturintensive Fächer. Und dann gibt es so Stoßzeiten, wo es dann einfach zu viel ist. Also das ist nicht sehr schön gleichmäßig verteilt, sondern es gibt so Zeiten, wo es wirklich ganz, ganz intensiv kommt.
    "Es ist sehr sehr schwierig, die Arbeit zu vergleichen"
    Biesler: Es gibt ja das Ganze Spektrum. Es gibt Lehrerinnen und Lehrer, die viel Korrekturarbeiten haben, die nachmittags und am Wochenende noch zu Hause sitzen. Es gibt dann auch einige, die diese Korrekturarbeiten nicht haben. Die Frage ist doch vielleicht, wie man die Arbeiten innerhalb der Schule besser verteilen kann. Da gibt es schon viele Modelle, ich glaube, fast alle sind mehr oder weniger gescheitert. Haben Sie eine Idee?
    Hoffmann: Ja, es ist sehr schwierig. Zum einen ist ja die Unterrichtszeit in den meisten Bundesländern in den letzten Jahren erhöht worden. Und dann ist es so, dass es sehr schwierig ist, die Arbeit zu vergleichen, weil es Fächer gibt, die körperlich sehr belastend sind, wie zum Beispiel Sport, und auch Unterrichtsfächer, die sehr viel Vorbereitungszeit verlangen, was man so gar nicht auf den ersten Blick weiß, wie Kunst.
    Und dann ist es so, dass auch die Lehrkräfte, die gerade in diesem erzieherischen Bereich gefordert sind – das weiß man nicht, das hängt auch von den Klassen ab und von den Schülerinnen, die da sind. Also, das ist ganz schwer fassbar. Das einzige, was wirklich so ein fassbares Faktum ist, das sind Korrekturen.
    Biesler: Das macht das Ganze, glaube ich, auch so schwierig, da heranzugehen. Ich hab selbst Freunde, die Lehrer sind, und denen habe ich stolz erzählt, als mein Sohn auf die weiterführende Schule ging, ich sehe jetzt erst mal, wie viele Lehrer eigentlich arbeiten. Es wird ja oft behauptet, das sei ein Halbtagsjob. Das stimmt überhaupt nicht, weil die wirklich aktiv waren.
    Ja, aber meine Freunde haben gesagt, die selbst Lehrer sind eben, doch, das kann auch ein Halbtagsjob sein. Wenn man ein paar Jahre dabei ist und weiß, wie der Hase läuft und seine Unterrichtsmaterialien ordentlich pflegt, dann kann man auch mittags fertig sein und den Nachmittag frei haben.
    Das heißt, wenn ich diese beiden Realitäten, die ich jetzt sehe, zusammennehme, hängt es eigentlich doch immer vom Engagement des Einzelnen und der Einzelnen ab, was am Ende dabei rauskommt. Und das kann man nun mal nicht gesetzlich regeln.
    Hoffmann: Ja, das stimmt. Ich persönlich kenne in meinem Umfeld jetzt keine Lehrkräfte, die sagen würden, das ist ein Halbtagsjob. Tatsächlich, das ist jetzt nicht, weil ich von der GEW bin und das abstreiten möchte. Das höre ich wirklich das erste Mal.
    Biesler: Dann nehmen wir einfach mal an, es gibt ein breites Spektrum. Die geleistete Arbeitszeit ist je nach Lehrer sehr unterschiedlich.
    Hoffmann: Ja. Das hängt auch von dem Engagement der Schule insgesamt ab und welches Programm sich die Schule gegeben hat. Wenn die Schule sich wirklich ein Programm gegeben hat, individuell zu fördern, Entwicklungsgespräche zu führen, ein gemeinsames Unterrichtskonzept auszuarbeiten, dann müssen die Lehrkräfte da ja auch mit. Wir haben dann zwei Aspekte, die die Lehrerarbeitszeit beeinflussen.
    Das ist zum einen die knallharten Fakten – was habe ich an Korrekturen, was habe ich an Vorbereitungszeit. Das Zweite Faktum ist, wie ist das Schulkonzept, und wie viel Arbeit verlangt es den Lehrkräften zusätzlich ab und dann auch von dem eigenen Engagement. Und dann ist es schon schwer fassbar, weil ich dann schon diese verschiedenen Variablen habe.
    Biesler: Ja, und es gibt offensichtlich auch wenig Flexibilität. Kennen Sie einen Fall, wo ein Lehrer mit Nicht-Korrekturfächern gesagt hätte, er arbeitet jetzt freiwillig länger, damit die Kollegen, die die Klausuren zu Hause auf dem Tisch haben, nicht so viel arbeiten müssen?
    Hoffmann: Ja, doch, das gibt es. Das hängt einfach vom Klima in der Schule ab. Ich denke, das ist natürlich flächendeckend nicht passiert, weil alle irgendwie belastet sind. Wir haben ja, wenn man das so auch im OECD-Vergleich sieht, haben wir eine sehr hohe Unterrichtsverpflichtung, und wir haben auch einen sehr hohen Anspruch an die Lehrkräfte. Wenn man das so vergleicht – mir fällt jetzt gerade Schanghai ein, das ja auch sehr gut da steht.
    Biesler: Schneiden immer gut ab bei PISA.
    "Erst einmal die Unterrichtsverpflichtung herabsetzen"
    Hoffmann: Ja, und die haben uns auch erzählt in einem Gespräch, wo sich Gewerkschafter auch getroffen haben international, dass sie 50 Stunden in der Woche arbeiten, und da haben wir gestaunt. Und dann haben sie aufgezählt, was dazugehört, und das war ganz viel Beratung von einzelnen Schülergruppen. Und die eigentliche Unterrichtsverpflichtung ist, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, 15 Stunden. Und wenn wir jetzt denken, bei uns hat eine Grundschullehrerin 28 Stunden, dann sieht man, dass die Belastung insgesamt sehr hoch ist, und dann natürlich die Bereitschaft, noch mal was zusätzlich zu übernehmen, gering ist.
    Biesler: Wenn man jetzt aber versucht, die Arbeitszeit vernünftig zu regeln, fällt Ihnen da ein System ein? In Berlin gab es die Arbeitszeitkonten, die inzwischen schon wieder abgeschafft wurden, weil das nicht gut funktioniert hat. In Baden-Württemberg gab es eben den Versuch, je nach Fach unterschiedliche Pflichtstunden zuzuteilen. Auch das hat offenbar nicht funktioniert. Haben Sie eine Idee, welchen Ansatzpunkt man da wählen könnte, um Lehrerarbeitszeit gerechter zu gestalten?
    Hoffmann: Ich denke, der erste Ansatzpunkt ist, überhaupt mal Lehrerarbeitszeit so zu betrachten, was sie ist, mit allen Komponenten, und zu einem modernen Bild von Lehrkräften kommen. Und dann sollte man das noch mal neu diskutieren, was soll eigentlich eine Lehrkraft leisten, und wie viel Zeit braucht sie dafür.
    Mein Modell wäre eigentlich, erst mal die Unterrichtsverpflichtung herabsetzen, und dass es darüber hinaus einen Überhang an Stundenzuweisungen an die Einzelschule geht, mit denen die Schulen flexibel umgehen können.
    Biesler: Es scheint jedenfalls, es ist ja viel passiert in den Schulen in den vergangenen ungefähr 15 Jahren seit der ersten PISA-Studie. Es scheint aber, dass hier ein ganz wichtiges Thema, nämlich welche Belastungen haben eigentlich Lehrerinnen und Lehrer, und wie verteilt man die möglichst gut, damit an der Schule ein gutes Klima herrscht, dass das vernachlässigt worden ist. Um mal im Bild der Schule zu bleiben, da hat sowohl die einzelne Schule als auch die Politik insgesamt noch Hausaufgaben zu erledigen.
    Hoffmann: Ja, das sehe ich auch so. Ich fände es wirklich interessant, wenn man in ein Bildungsmonitoring, das wir ja auch machen in Deutschland, wenn man da mal betrachtet, wie Lehrkräfte ihre Arbeit einschätzen, was ihnen wirklich wichtig ist, was ihnen am Herzen liegt, was sie für Ziele verfolgen und was sie für Bedingungen brauchen, um diese Ziele zu erreichen. Und ich glaube, da hat Politik viele Hausaufgaben zu machen, aber vielleicht auch die Lehrkräfte, um wirklich zu artikulieren, wie stelle ich mir die Schule vor, wo möchte ich hin, und was muss ich fordern auch gegenüber der Politik.
    Biesler: Ilka Hoffmann, die Leiterin des Bereichs Schule bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft zur Lehrerarbeitszeit und wie man die gut regeln könnte. Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.