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Lehrerausbildung
Ohne Vorbereitung ins Klassenzimmer geschickt

Angehende Lehrer sitzen vor allem im Hörsaal. Den praktischen Umgang mit Schulklassen und Eltern lernen sie erst im Berufsleben. Auf einer Lehrertagung wurde nun überlegt, wie sich das ändern lässt.

Von Verena Kemna | 11.06.2015
    Die Lehrerin Dr. Silvia Schischwani unterichtet in einer 8. Klasse.
    Reges Treiben im Lateinunterricht: Auf den Tumult im Klassenzimmer werden angehende Lehrer im Studium meist nicht vorbereitet. (picture alliance / dpa / Ingo Wagner)
    Wer die Studierenden fragt, erfährt schnell von den Defiziten in der Lehrerausbildung. Lisa Brokemper studiert Physik und Mathematik im 2. Mastersemester an der Rheinischen Friedrich-Wilhelm Universität Bonn. Sie weiß, dass sie Lehrerin werden möchte, doch ausprobieren konnte sie es bisher nicht.
    "Beispielsweise habe ich noch nie gesehen, wie man im Referendariat eine Stunde aufbaut oder das ordentlich konzipiert, also kurz vor dem Ende des Studiums sollte man das vielleicht mal gesehen haben. Also das sind Sachen, die fehlen, wo wir Studierenden uns relativ allein gelassen fühlen."
    Fachlich fühlt sich Lisa Brokemper bestens vorbereitet, doch auf praktische Erfahrungen wartet sie sehnlichst. Wie fühlt es sich an, vor einer Klasse zu stehen? Die 24-Jährige schüttelt den Kopf.
    "Uns wurde im Bachelor immer gesagt, dass im Master der Praxisbezug kommt, weil wir auch einen Master of Education machen und ich den Bachelor of Science habe, aber das kommt irgendwie immer noch nicht. Es fehlt die Praxis, es fehlt die Anwendung. Es fehlt, sich in konkrete Schülersituationen hineinzudenken oder irgendwas in Richtung Schulablauf zu erfahren, da habe ich noch nicht viel mitnehmen können."
    Nicht einmal jeder fünfte Lehramtsstudent fühlt sich in seinem bisherigen Studium gut auf den Unterrichtsalltag vorbereitet. Dabei sind die Erfahrungen der Studierenden je nach Hochschule sehr verschieden.
    Noch immer hat Lehrerbildung an den deutschen Universitäten nicht den gleichen Stellenwert wir andere Studienangebote, mahnt Holger Burckhart zum Auftakt der Tagung. Er ist Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz für Lehre und Studium, Lehrerbildung und lebenslanges Lernen.
    "Es war selten, dass in einer Hochschule, die Lehrerbildung eine herausragende Rolle gespielt hat. Das hat sich geändert, aber es ist noch nicht im Ziel. Und das, was ganz besonders noch nicht im Ziel ist, ist das Zusammenspiel von Fachdidaktik und Bildungswissenschaften. Ich denke, dieses Zusammenspiel muss als Kooperation geschehen und muss das Gesamtgeschehen Lehrerbildung weiter tragen."
    Zu wenig Vernetzung zwischen den Einrichtungen
    Mit ihrer "Berliner Erklärung" wollen der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und die Hochschulrektorenkonferenz ein Zeichen setzen. Gefordert wird eine bessere Zusammenarbeit der Hochschulen untereinander, die Kooperation mit Studienseminaren und anderen Einrichtungen der Lehrerfortbildung soll verbessert werden. Auch die fachdidaktische Forschung müsse gezielt gefördert werden, heißt es weiter. So sollen Studierende besser auf ihre spätere Arbeit im Klassenzimmer vorbereitet werden. Die Deutsche Telekom Stiftung und der Stifterverband haben eine Studie in Auftrag gegeben. Erste Ergebnisse werden bei der Tagung präsentiert. Fünf Zentren für Lehrerbildung und fünf Schools of Education an ausgewählten Hochschulen wurden evaluiert. Hier könnten Potenziale besser genutzt werden, so das Fazit von Wolfgang Böttcher, Erziehungswissenschaftler und Mitautor der Studie.
    "Also die haben alle die gleiche Überschrift: Wir machen Lehrerbildung neu, aber dann die konkrete Arbeit sieht dann doch sehr unterschiedlich aus. Also, eine große Variation unterhalb der Überschrift: Zentren oder Schools of Education."
    Viele dieser Einrichtungen hätten zu wenig Eigenverantwortung, seien bei Berufungsverfahren und Budgets auf das Wohlwollen der Hochschulleitungen angewiesen. Wolfgang Böttcher fordert eine engere Kooperation der Zentren und Schools mit den Hochschulen.
    "Was macht ihr in den Fächern, was relevant ist für Lehrerbildung, wer sind eigentlich die Lehrer, die bei ihnen Physik, Chemie oder Anglistik studieren, was kriegen die eigentlich mit von den fachlichen Inhalten ihres zukünftigen Berufes. Solche Fragen traut man sich nicht."
    Ein weiterer Punkt der Berliner Erklärung widmet sich der Inklusion, die in der Ausbildung künftiger Lehrer mehr berücksichtigt werden sollte. Auch internationale Erfahrungen durch Auslandspraktika stehen auf der Agenda. Bei allen Forderungen, am Ende geht es immer wieder auch um die Anerkennung des Lehrerberufs. Holger Burckhart, HRK- Vizepräsident:
    "Wertschätzung innerhalb des eigenen Hauses ist immer noch die ganz große Baustelle. Wir sollten die Lehrerbildung nicht belächelnd in die Ecke schieben, ja, dann mach mal ein bisschen Fachdidaktik und ein bisschen Bildungswissenschaften, aber die eigentlichen Wissenschaftler sind wir."