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Lehrkräfte in Berlin
Kreative Maßnahmen gegen den Mangel

Der Lehrermangel in Berlin spitzt sich zu: Schulsenatorin Sandra Scheeres rechnet damit, dass 500 Stellen unbesetzt bleiben. Deshalb sollen jetzt andere Maßnahmen greifen. Auch Lehramtsstudierende sollen schon in den Klassen aushelfen, frei nach dem Motto „Unterrichten statt Kellnern“.

Von Anja Nehls | 13.06.2018
    Eine leere Schultafel und eine Schultasche.
    Wegen des Lehrermangels fallen viele Schulstunden aus (imago / Ute Grabowsky)
    Schulbeginn an der Jens-Nydahl Grundschule in Kreuzberg. Keines der Kinder hier hat deutschsprachige Eltern, neun von zehn Schülern haben Eltern, die von Transferleistungen leben, drei bis vier pro Klasse haben besonderen Förderbedarf, mit Sprachdefiziten, emotional-sozialen Beeinträchtigungen, Lernschwierigkeiten oder geistiger Behinderung. Von welchen Lehrern diese Kinder im kommenden Schuljahr unterrichtet werden sollen, weiß Schulleiterin Barbara Jürgens–Streicher heute noch nicht:
    "Wir haben ja einen hohen Anteil an Stunden durch den hohen Anteil an lehrmittelbefreiten und nicht deutschsprachigen Kindern. Wir kriegen natürlich für die Kinder, die Förderbedarf haben, kriegen wir auch Förderstunden, aber es sind nicht alle Stunden abgedeckt, wir haben auf der Lehrerkonferenz festgestellt für das neue Schuljahr 144 Stunden fehlen. Es gehen Kollegen in Pension, ein Kollege verlässt uns in Richtung Gymnasium, es fehlt tatsächlich noch ganz viel."
    Stunden werden reduziert
    Und ob diese Lücke bis zum Schuljahresbeginn gefüllt werden kann, ist mehr als zweifelhaft. 3.000 neue Lehrer werden in Berlin gebraucht, weil es durch die wachsende Stadt rund 7.000 Schüler mehr gibt und etliche Lehrer in Pension gehen. Von den 3.000 benötigten Lehren hat das Land Berlin erst 1750 gefunden. Die Bewerbungen von 800 Quereinsteigern werden noch geprüft. Schulsenatorin Sandra Scheeres rechnet damit, dass 500 Lehrer im kommenden Schuljahr fehlen werden. Fächer wie Mathe oder Deutsch sollen darunter nicht leiden, so Scheeres, sie sieht Verschiebepotential eher bei den Stunden, die Brennpunktschulen wie die Kreuzberger Jens-Nydahl Schule zusätzlich haben:
    "Es gibt Lehrerstellen in einem Umfang von 4.000 Stellen, die wir verwenden für die Sprachförderung, für die Inklusion, den Teilungsunterricht, die Berufsförderung und da werden wir dann im Sommer sehen, wie groß der GAP ist und wie dann individuell von den einzelnen Schulleitungen in welchen Bereichen Stunden reduziert werden."
    Also weniger Sprachförderung und Inklusion – gerade für Brennpunktschulen eine Katastrophe, sagt Tom Erdmann von der GEW:
    "Wenn man diese Stunden, diese Lehrerstellen jetzt wegnimmt und in den allgemeinen Unterricht steckt, bleiben diese Kinder ohne Förderung. Das Thema Inklusion darf nicht als Steinbruch herhalten um hier den Lehrermangel zu beheben."
    Berlin setzt auf Quereinsteiger
    Die Deutsch-Französische Märkische Grundschule ist gerade noch mal davongekommen. Die Ermäßigungsstunden, die dort einzelne Lehrer für die Koordination der Arbeit von Europaschulen haben, bleiben wohl unangetastet. Es hätte auch nichts gebracht – jedenfalls keinen Lehrer an irgendeiner anderen Schule, sagt Schulleiter Joachim Sauer:
    "Die Ermäßigungstatbestände betreffen mehrere Personen, dass vielleicht jemand ein, zwei oder maximal drei Ermäßigungsstunden hat. Das bedeutet, wenn man die einspart, wenn man die dem wegnimmt, dann bleibt der trotzdem bei uns. Und da ist die Frage, wie macht dieses Sammeln von Stunden dann Sinn?"
    Bislang setzt Berlin vor allem auf die Einstellung von Quereinsteigern. Bereits mehr als jeder dritte Neue hier ist ursprünglich nicht dafür ausgebildet worden. Nun hat Berlin die Zahl der Studienplätze aufgestockt, will Lehrkräfte aus dem Ruhestand zurückholen, mehr bezahlen, wenn sie ihre Pensionierung verschieben oder freiwillig mehr Stunden unterrichten, geringer qualifizierte Unterrichtshelfer beschäftigen oder Lehramtsstudenten als reguläre Lehrer in die Grundschulen schicken. Für Johanna Matern, die im zweiten Mastersemester Deutsch und Geschichte auf Lehramt studiert, wäre das eine Option:
    "Letzten Endes ist es natürlich eine gute Praxis, aber natürlich ist es so die Frage, wir sind nicht fertig und fehlt immer noch ein gewisses Know How, gerade auch so in didaktischen Fragen, aber Schülerinnen und Schüler müssen ja irgendwie unterrichtet werden und nur Ausfall geht nicht, Quereinsteiger ist ja auch so ein Diskussion, wahrscheinlich sind da die Studenten schon fast die beste Variante."
    Wichtiger als Geld: wieder mehr Verbeamtungen
    Für Hildegard Bentele, bildungspolitische Sprecherin der oppositionellen CDU ist das nur im Ansatz eine gute Idee.
    "Es ist nicht sinnvoll, Studenten über Minijobs an die Schule zu binden und ihnen damit Kraft fürs Studium zu rauben. Wir sind dafür, ein duales Studium für Lehrer zu entwickeln, die Theorie und Praxis früh verbinden, die für beide Seiten einen Gewinn haben."
    Und die dann auch in Berlin unterrichten und nicht in andere Bundesländer abwandern, wo sie verbeamtet werden. Berlin zahle zwar jetzt hervorragende 5.300 Euro als Einstiegsgehalt sogar für Grundschullehrer, wichtiger sei aber eine ganz andere Maßnahme.
    "Die Maßnahme, zu der alle anderen Bundesländer wieder zurückgekehrt sind, wäre die Wiederverbeamtung von Lehrern, von der ich sehr stark annehme, dass sie zu einem weiteren Gewinn von qualifizierten Lehrkräften führen würde."
    Dazu käme eine nötige Verbesserung der Rahmenbedingungen, z.B. im Hinblick auf marode Schulen, zusätzliche zeitraubende Verwaltungsaufgaben oder Leistungsanreize. Kurzfristig bis zum kommenden Schuljahr könnten auch diese Maßnahmen jedenfalls weder umgesetzt werden, noch Früchte tragen.