Donnerstag, 28. März 2024

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Lehrschreiben von Papst Franziskus
"Ein 'Schwamm drüber' wird es in der katholischen Kirche nicht geben"

Papst Franziskus zeige mit seinem Lehrschreiben die Vielfalt des Lebens auf, sagte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, im DLF. Aufgrund dieser Vielfalt könne man wiederverheiratete Geschiedene nicht generell zur Kommunion zulassen. Was vor einer neu geschlossenen Ehe liege, sei in der katholischen Kirche keinesfalls egal.

Thomas Sternberg im Gespräch mit Peter Kapern | 08.04.2016
    Porträtbild von Thomas Sternberg vor blauem Himmel
    Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). (picture alliance / dpa / Caroline Seidel)
    Peter Kapern: Zweimal hatte Papst Franziskus Bischöfe zu einer Synode nach Rom gerufen, um über die Positionen der Katholischen Kirche zu Fragen der Ehe und der Sexualität zu diskutieren. Innerhalb und außerhalb der Kirche gibt es schließlich viele Kritiker, die diese Positionen als völlig anachronistisch bewerten, den Ausschluss Wiederverheirateter von der Kommunion zum Beispiel oder den Umgang mit Homosexuellen. Bei den Beratungen der Bischöfe soll es hart zur Sache gegangen sein. Seine Schlussfolgerungen aus dem Meinungsstreit hat der Papst heute vorgelegt: Ein Lehrschreiben mit dem Titel ""Amoris Laetitia", die Freude der Liebe.
    Bei uns am Telefon ist Thomas Sternberg, Landtagsabgeordneter der CDU in Nordrhein-Westfalen und Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Guten Abend, Herr Sternberg.
    Thomas Sternberg: Guten Abend, Herr Kapern.
    Kapern: Herr Sternberg, der Papst empfiehlt seiner Kirche einen weniger dogmatischen Umgang mit Fragen der Ehe und der Sexualität. Allerdings ist er nicht bereit, dafür auch das Dogma der Kirche in diesen Fragen zu ändern. Das klingt ja doch nach jemandem, der die Parole ausgibt, wir waschen uns jetzt mal, aber wir machen uns dabei wirklich nicht den Pelz nass.
    "Es geht schon darum, die Ehe ganz ernst zu nehmen"
    Sternberg: Nein, ich glaube, es ist einfach ein anderes Denken, das diesen Papst aber immer schon auch von seinen allerersten Äußerungen an stark macht. Er macht deutlich, dass es für die Christen ganz wesentlich ist, nicht das Gesetz an die erste Stelle zu stellen, nicht die Regel, nicht die Ordnung, sondern die Barmherzigkeit und die Nächstenliebe. Das sagt er und schärft er richtig ein in den Text und das passt natürlich auch in das von ihm ausgerufene Jahr der Barmherzigkeit.
    Kapern: Aber greifen wir uns doch mal einen Punkt heraus, an dem wir das dann genauer diskutieren können. Es geht um einen Punkt, bei dem sich mutmaßlich Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen von Katholiken eine substanzielle Änderung des Kirchenkurses gewünscht hätten, nämlich bei der Zulassung Geschiedener zur Kommunion, wiederverheirateter Geschiedener. Das Wort des Papstes lautet jetzt, der Bischof und die Pfarrer können nun in eigener Verantwortung entscheiden, ob sie wiederverheiratete Geschiedene in Einzelfällen wieder zur Kommunion zulassen. Warum geht der Papst nicht den ganzen Schritt? Fehlt es ihm an Mut oder an Macht?
    Sternberg: Nein. Ich glaube, dass der ganze Schritt auch nicht angemessen wäre. Denn niemand in der Katholischen Kirche - ich kenne zumindest niemanden - würde sagen, die neu geschlossene Ehe, das ist einfach ein Schwamm drüber, das ist einfach alles egal, und auch was vorher war ist egal. Das sieht, glaube ich, niemand so. Es geht schon darum, die Ehe ganz ernst zu nehmen, auch die Unauflöslichkeit ernst zu nehmen. Aber der Papst macht hier deutlich, es gibt Situationen in Ehen, in denen man Ehe gar nicht weiterleben kann, auch nicht empfehlen kann, sie weiterzuführen. Es gibt Partnerschaften, in denen so viel Neues entstanden ist an Liebe, an Zuwendung, an Fürsorge, dass man sie selbstverständlich nicht wieder auflösen kann. Er zeigt, dass das Leben sehr, sehr bunt ist und sehr vielfältig ist, und dieser Vielfalt ist mit einer generellen Regelung in so einer Frage überhaupt nicht beizukommen. Und ich glaube, es ist sehr, sehr gut, dass er hier sagt, da gibt es eben nicht mehr die große einheitliche Regel, die das eindeutig und einheitlich regelt, sondern das muss der pastoralen Zuwendung des jeweiligen Ortsbischofs, des Geistlichen vor Ort und auch der Gemeinde überlassen bleiben.
    Er stellt auf der anderen Seite auch ganz deutlich klar, dass sie selbstverständlich nicht außerhalb der Kirche stehen. Da beruft er sich übrigens auch ganz regelmäßig auf seinen Vorgänger Benedikt XVI., der das auch schon deutlich gemacht hat, dass man hier nicht Patentrezepte liefern kann.
    Kapern: Aber, Herr Sternberg, wie soll das in der Praxis aussehen? Welchen Unfrieden möglicherweise bringt das in die Katholische Kirche, wenn ein wiederverheirateter Geschiedener im Münsterland zur Heiligen Kommunion gehen darf und, sagen wir mal, in Bayern nicht?
    Sternberg: Erstens mal glaube ich gar nicht mal, dass die Situation so differenziert werden wird und das so sein wird.
    Kapern: Ja warum denn die Möglichkeit zu differenzieren?
    "Zu sagen, das ist einfach alles egal, das wird es in der Katholischen Kirche nicht geben"
    Sternberg: Einmal ist es so, dass es in den pastoralen Situationen im Allgemeinen sowieso unterschiedlich ist. Aber nehmen wir mal eine Wiederverheiratung von einer eindeutig schwierigen Situation. Da hat ein Mann Frau und Kinder verlassen, vielleicht die Frau verlassen wegen eines Kindes, weil sie ein Kind bekam, hat sich eine Freundin genommen und ist neu verheiratet. Ein solches Schwamm drüber und dann zu sagen, das ist einfach alles egal, das wird es in der Katholischen Kirche nicht geben. Das wird auch der Papst nicht sagen. Das ist übrigens auch nicht etwas, was wir gefordert hätten, sondern dass man dann in Situationen pastoral nachfragt, was liegt da eigentlich vor.
    Kapern: Wird das die Gesinnungsprüfung in den Ortskirchen?
    Sternberg: Nein, keine Gesinnungsprüfung in dem Sinne, wie das vielleicht früher mal in Gerichten war. Nur wird sich natürlich in einem seelsorgerisch-kirchlichen Zusammenhang auch die Frage nach Schuld und nach Gerechtigkeit und Rechtfertigung anders stellen und zu stellen haben, nicht in dem Sinne, dass man sagt, das wird immer ein grundsätzlicher Ausschluss aus der Kirchengemeinschaft bedeuten, aber ganz sicher nicht - das macht der Papst deutlich - auch eine Rede davon, dass man sagt, das ist jetzt einfach künftig egal.
    Kapern: Der Mainzer Moraltheologe Stephan Goertz - und damit zu einem anderen strittigen Punkt dieses Lehrschreibens -, der sagt über die Passagen, in denen es um die Homosexualität geht, sie missachteten stellenweise die Werte und Tugenden, die auch in homosexuellen Beziehungen selbstverständlich gelebt werden. Bleibt hier die kalte Schreibtischmoral unangetastet, die der Papst ja an anderer Stelle selbst kritisiert?
    "Papst geht auf homosexuelle Partnerschaften nicht besonders intensiv ein"
    Sternberg: Ich bin der Meinung, dass der Papst enorm weit geht, was er da sagen kann. Er sagt ganz klar, dass es Formen von Partnerschaft und Treue gibt, die wichtig sind, die Halt geben. Er geht auf diesen Komplex von homosexuellen Partnerschaften nicht besonders intensiv ein. Aber wenn man die ganze Schrift liest, die ja nun wirklich alles andere ist als eine Schrift zu wiederverheirateten Geschiedenen oder zu homosexuellen Paaren, sondern eine große, wirklich große Abhandlung über die körperliche Liebe und über die Freude an der Sexualität und an der Liebe, eine wunderbare Schrift, wenn man die ganz liest, dann wird darin deutlich, dass es eben nichts Ausgrenzendes hat, dass es eben nicht diese Kasuistik ist, die man vielleicht in so einem Text sucht, sondern dass er etwas anderes macht, was allerdings - und das ist etwas Besonderes und Bedeutsames - die Lebenswirklichkeit der Gläubigen und eine Lehre, die sich ja spätestens seit 1968 sehr weit weg bewegt hatte von der Lebensrealität der Gläubigen, dass die vielleicht wieder näher aneinander herangeführt werden.
    Kapern: Der Kommentar der "Allgemeinen Zeitung" aus Mainz morgen Früh wird lauten zu diesem Lehrschreiben: "Eines wird spätestens jetzt klar. Papst Franziskus bringt Bescheidenheit und Demut in die Katholische Kirche zurück. Grundlegend reformieren wird er sie nicht." Hat der Kommentator Recht?
    Sternberg: Ich weiß nicht, was man da nun für grundlegend reformierend hält. Er denkt anders und er pocht auf einem anderen Denken für die Kirche, und das halte ich schon für ganz revolutionär, zu sagen, dass die Barmherzigkeit eindeutig über der, wie er das nennt, kalten Schreibtischmoral steht, dass die Gesetze nicht das Letzte sind in der Beurteilung von Menschen und im Beurteilen von Handlungen. Das ist ein anderes Denken, was da in die Kirche kommt, und das ist vielleicht für viele, die stärker von so einer Kasuistik und von einem auch kirchenrechtlichen Denken herkommen, etwas Fremdes. Aber ich glaube, sie ist etwas zutiefst Christliches.
    Kapern: Thomas Sternberg, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Das Gespräch haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.