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Leichenbiomarker
Stumme Zeugen am Tatort

Nach einem Mord kommt es gelegentlich vor, dass die Täter die Leichen ihrer Opfer nachträglich umbetten, weil ihnen das erste Lager zu unsicher erscheint. Ein "temporäres Grab" nachzuweisen, war für die Polizei bislang oft nicht möglich. Wissenschaftler der Uni Mainz haben eine Methode entwickelt, die dabei helfen könnte.

Von Anneke Meyer | 20.04.2016
    Die Spurensicherung sichert Beweise nach dem Fund eines Leichnams in Hamburg im April 2014
    Die Spurensicherung sichert Beweise nach dem Fund eines Leichnams in Hamburg im April 2014 (Daniel Bockwoldt / picture alliance / dpa)
    Es ruckelt als das Auto in den abgelegenen Feldweg einschlägt. Nach ein Paar Metern stellt Barbara van der Lühe den Motor ab. Sabine Fiedler macht sich auf dem Beifahrersitz zum Aussteigen bereit und sagt:
    "Gut, dann sind wir jetzt hier. Wir würden einfach schauen, ob wir den Platz jetzt wiederfinden. Das könnte da vorne sein."
    Den ganzen Morgen hat es geregnet. Der Himmel ist wolkenverhangen und die Luft ist kühl. Schlechtes Wetter, von dem die Wissenschaftlerinnen sich nicht abhalten lassen. Mit Regenzeug und Spaten bewaffnet schlagen sie sich in die Büsche. Fiedler:
    "Ja, wir wären jetzt exakt an dieser Stelle, wo vor anderthalb Jahren der Leichnam gefunden worden ist."
    Sabine Fiedler deutet auf eine Stelle am Boden, wo Gräser und Hartriegel nur zögerlich wachsen. Ringsherum wuchert das Dickicht. Den toten Körper hat die Polizei schon lange entfernt, in der Erde hat er aber seine Spuren hinterlassen. Eine molekulare Zeugenaussage, die die Professorin für Bodenkunde der Uni Mainz mit einer Bodenprobe zu Protokoll nimmt:
    "Wir wissen hundertprozentig, dass dort eine Leiche für kurze Zeit lag, und wir haben die einmalige Gelegenheit, den Boden unterhalb des Kadavers zu untersuchen. Und diese Ergebnisse können wir dann - so meine Vision - zukünftig auch dafür nutzen, wenn wir eben nicht wissen ob da ein Leichnam lag."
    Zurück im Labor beginnt Doktorandin Barbara van der Lühe damit die Proben zu bearbeiten. Sorgfältig wiegt sie von jeder Probe fünf Gramm ab und verpackt sie in kleine Gefäße. Dazu gibt sie ein Lösungsmittel. Um die Extraktion der Leichenrückstände zu beschleunigen stellt sie alles in ein Ultraschallbad. Barbara van der Lühe:
    "Wir haben Proben genommen die unter dem Thorax waren und unter dem Abdomen und dann noch etwas weiter entfernt noch eine Referenzprobe um vergleichen zu können was habe ich allgemein ganz normal im Boden drin. Und finde ich jetzt die Unterschiede zwischen der menschlichen Leiche und diesem Referenzmaterial."
    Bislang ist der am häufigsten zu Rate gezogene Hinweis auf ein leeres Grab der Phosphorgehalt des Bodens. Allerdings kann der auch durch einen Tierkadaver oder Düngemittel erhöht werden. Barbara van der Lühe sucht deshalb Spuren, die spezifisch für menschliche Leichen sind. Dafür greift sie auf eine Methode aus der Trickkiste der Archäologen zurück: Fäkalrückstände gelangen beim Verwesungsprozess mit als erste in den Boden und bleiben lange stabil. Van der Lühe:
    "Da muss man sich aber auch relativ sicher sein, dass man nicht nur menschliche Fäkalien untersucht. Sondern, dass man die Hinweise findet: Das sind Zersetzungsprodukte von einem ganzen Leichnam und nicht nur die Fäkalien vom Menschen."
    So ein Hinweis kann eine hohe Konzentration von Cholesterol sein. Das kommt in jeder Zelle des menschlichen Körpers vor. Allerdings wird es durch Mikroorganismen im Boden relativ schnell abgebaut. Um auch nach Jahren noch sagen zu können was an einem Ort gelegen hat, braucht man deshalb die Kombination aus Cholesterol, seinen Zersetzungsprodukten und den Fäkalrückständen. Van der Lühe:
    "Man kann letztendlich anhand der Verteilungen rekonstruieren: Kann das menschlichen Ursprungs sein? - Und das ist er Weg, den wir jetzt gehen wollen."
    Ein Biomarker-Puzzle, das nicht ohne Mühe zusammenzusetzen ist. Für die praktische Polizeiarbeit könnte es aber durchaus hilfreich sein, so Hauptkommissar Ralf Neumann von der Tatortgruppe des BKA in Wiesbaden:
    "Es ist ja so, dass in dieser Phase - sagen wir jetzt vom Tötungsdelikt bis zum Auffinden - in diesem Zeitraum weiß eigentlich nur der Täter selber was passiert ist. Da hatten wir dann auch schon Fälle wo die Leichen dann erst mal eine Weile gelegen haben und der Täter dann hinterher Einlassungen gemacht hat, er habe sie dann verbracht vom ersten Ablageort zum zweiten. Da waren uns bisher die Hände gebunden. Es gab wenig Möglichkeiten das zu überprüfen."
    Der Ermittler ist gespannt darauf, die Methode im Ernstfall anzuwenden. Bis es soweit ist, testen die Wissenschaftlerinnen, wie weit in die Vergangenheit hinein ihre Bodenkundliche Zeugenbefragung funktioniert. Derzeit untersuchen sie archäologische Funde aus dem fünften Jahrhundert.