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Leichtathetik
Die Spur führt bis nach Düsseldorf

Die umfassenden Dopingvorwürfe gegen den Leichtathletik-Trainer Alberto Salazar rücken auch den Financier in den Vordergrund: Die größte Sportausrüsterfirma der Welt, die die Medaillenschmiede unter dem Namen Nike Oregon Project alimentiert.

Von Jürgen Kalwa | 07.06.2015
    Ein Tropfen an der Nadel einer Spritze
    Ein Tropfen an der Nadel einer Spritze (dpa / picture-alliance / Patrick Seeger)
    An einem kalten Tag im November 1981 machte sich Alberto Salazar in New York endgültig einen Namen.
    "He's got 30 seconds left for a world record performance. –
    He's gonna do it. He's gonna get it."
    Da lief er einen neuen Marathon-Weltrekord. Zu einer olympischen Medaille reichte es zwar nicht, allerdings – 2001 – zu einem lukrativen Job als Trainer. Da verpflichtete ihn der größte Sportausrüster der Welt, für das "Nike Oregon Project" unweit des Firmensitzes an der amerikanischen Westküste. Das Ziel: Mit einem kleinen Kreis an Top-Talenten und den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen werbewirksame Langlaufstars zu produzieren.
    Die gehen in die Höhe, steigen in eiskalte Tanks, in denen sie ihre Körper Temperaturen von 100 Grad minus und mehr aussetzen. Und sie rennen auf Laufbändern im Swimmingpool.
    "Das ist ein wertvolles Werkzeug für mich", sagte Salazar in diesem Werbevideo über das Laufband. "Ich kann mich direkt neben ihm aufhalten und darauf achten, dass die Bewegungsabläufe stimmen."
    Der große Erfolg traf 2012 bei den Spielen in London ein. Salazars britischer Athlet Mo Farah gewann Gold über 5.000 und 10.000 Meter. Sein amerikanischer Schützling Galen Rupp holte sich auf der längeren Strecke Silber.
    Vorwürfe gegen Salazar
    Doch in der letzten Woche wurde erstmals deutlich, dass es eine Kehrseite dieser Medaillen gibt. Der britische Fernsehsender BBC und das amerikanische, mit Stiftungsgeldern arbeitende Medienunternehmen ProPublica präsentierten Läufer und einen Ex-Assistenztrainer, die Salazar vorwerfen, mit Dopingmitteln zu arbeiten. Der Coach heißt Steve Magnuss. Ihm war 2011 ein alter interner Laborbericht von Galen Rupp in die Hände gefallen,
    "in dem stand, dass er mit Testosteron behandelt wurde. Ich dachte, Moment mal: Testosteron ist eindeutig verboten."
    ProPublica-Reporter David Epstein:
    "Kara Goucher hat erzählt, dass sie von Salazar ein verschreibungspflichtiges Hormon bekommen hat. Sie hat das Gefäß mit dem Etikett und seiner Handschrift aufbewahrt. Steve Magnuss wiederum hat uns von einem Buch erzählt, dass er von Salazar erhielt. Das war innen hohl und enthielt Tabletten. Es war für Galen Rupp bestimmt."
    In der letzten Geschichte ist übrigens Düsseldorf der Schauplatz, wo Rupp damals an einem Sportfest teilnahm. Das ausgehöhlte Buch traf auf dem Postweg aus Amerika ein. Das alles wäre ein klarer Fall für die amerikanische Anti-Dopingagentur. Zumal Epstein in Gesprächen mit Sportlern herausfand, dass die die USADA informiert haben. Offiziell allerdings lehnt die Agentur jede Stellungnahme ab.
    Salazar selbst bestreitet die Vorwürfe. Man folge strikt den Regeln der Welt-Anti-Dopingagentur WADA, teilte er mit, und habe, so wörtlich, "noch nie einen Athleten trainiert, damit er Tests manipuliert oder die Regeln unterläuft, die für unseren Sport gelten."
    Galen Rupp wiederum erklärte, er habe keine verbotenen Substanzen genommen. Und Mo Farah fügte am Samstag hinzu, er sei verärgert, dass sein Name durch den Dreck gezogen werde. Er habe keine Anzeichen für Doping gesehen.
    Sponsoren in der Kritik
    Auch der Financier meldete sich zu Wort: "Wir nehmen die Anschuldigungen sehr ernst. Denn Nike duldet in keiner Form den Gebrauch leistungssteigernder Mittel", hieß es. Allerdings ist das Unternehmen nicht dafür bekannt, aus eigenem Antrieb dem Imageproblem "Doping" entgegenzutreten. Im Gegenteil. Einst unterstützte man lieber – wenn auch vergeblich – die von Salazar trainierte Mittelstrecklerin Mary Decker-Slaney, der bei einem Urintest verbotenes Testosteron nachgewiesen wurde.
    Natürlich hielt man auch zu Marion Jones, bis sie gestand und ins Gefängnis ging. Und man bezahlte Lance Armstrong Millionen, bis der Radprofi im bislang umfangreichsten Verfahren im Anti-Dopingkampf eine lebenslängliche Sperre erhielt. David Epstein will aus solchen Beispielen trotzdem lieber keine Schlüsse ziehen.
    "Nike ist eine riesige Firma. Diese kleinen Bereiche arbeiten meistens für sich alleine. Ich glaube, hier im Oregon Project geht es mehr um das Treiben von einzelnen."
    Der Australier Jaimie Fuller, der in der Schweiz sitzt und dort unter dem Markennamen Skins Sportbekleidung herstellt, gehört schon eine ganze Weile zu den schärfsten Kritikern von Sponsorenfirmen im Sport. Er engagierte sich offen für eine neue Funktionärsschicht im internationalen Radsportverband. Und er betreibt im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal in der FIFA eine auf die Sponsoren zugeschnittene Kampagne mit dem Titel "New FIFA Now". Er betrachtet die Entwicklung sehr viel skeptischer. Als Beispiel dafür, dass Firmen die besondere gesellschaftliche Verantwortung scheuen, die sie durch die Unterstützung im Hochleistungssport haben.
    "Meine Intuition sagt mir, dass Doping in der Leichtathletik stärker verbreitet ist, als die meisten Leute glauben. Dadurch ist das Risiko für Nike mit dem Oregon Project auch größer. Je stärker man sich engagiert, desto riskanter wird es, wie man jetzt bei Salazar sieht."
    Dieses Risiko scheint die Firma allerdings einkalkuliert zu haben.