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Leichtathletik
Chinesischer Volksheld beendet Karriere

Er war einer der erfolgreichsten chinesischen Leichtathleten – aber auch eine tragische Figur: Der Hürdensprinter Liu Xiang. Nach seinem Olympiasieg 2004 und seinem Weltrekord zwei Jahre später war er in China zu einem Superstar aufgestiegen. Doch seit Jahren verfolgte ihn das Verletzungspech. Jetzt gab er sein Karriereende bekannt.

Von Ruth Kirchner | 07.04.2015
    Liu Xiang beim 60-Meter-Hürdenlauf in Istanbul im März 2012.
    Liu Xiang (dpa / picture-alliance / Tolga Bozoglu)
    Neben dem ehemaligen Basketballer Yao Ming und der Tennisspielerin Li Na ist Liu Xiang der Sportler, den in China fast alle Menschen kennen. Denn im Reich der Mitte, das traditionell in der Leichtathletik nicht so gut abschneidet, hat er Sportgeschichte geschrieben. 2004 gewann er in Athen den 110-Meter Hürdenlauf – die erste Goldmedaille für einen chinesischen Athleten in der Leichtathletik überhaupt. Zwei Jahre später lief er Weltrekord –– Fei Ren wurde er seitdem genannt, der fliegende Mensch:
    "Er ist einfach Chinas ganzer Stolz", sagt dieser Fan. "Er war nicht nur Weltrekord-Halter und hat unserem Land Ehre gebracht. Er sieht auch noch gut aus. Gerade junge Leute mögen ihn alle."
    Die Tragik des Liu Xiang, der mit seinen Sponsoren-Verträgen Millionen verdiente und doch bescheiden blieb, begann bei den olympischen Sommerspielen in Peking 2008. Den 91.000 Zuschauern im Olympiastadion blieben die Anfeuerungsrufe im Hals stecken. Liu Xiang musste schon in den Vorläufen wegen einer Verletzung aufgeben: Dramatische Szenen damals rund ums Vogelnest: weinende Zuschauer, fassungslose Fernsehreporter, als Liu wegen seiner kaputten Achillessehne aus dem Stadion humpelte. Später in der Pressekonferenz ein heulender Trainer vor der Weltpresse.
    Ein Athlet, der zum chinesischen Volksheld taugte
    Und trotzdem, die Nation hielt zu Liu Xiang. Denn nichts wünscht sich China so sehr wie Helden im Sport. Und Liu taugte ganz besonders gut zum Helden: Immer freundlich, immer zurückhaltend – wie der nette Junge von nebenan: "Er hat einfach ein unglaubliches Image", sagt diese junge Frau. "Er ist positiv, wahnsinnig hartnäckig und kein bisschen arrogant. Obwohl er in Peking aufgeben musste, ist er seinen Weg gegangen, hat Schwierigkeiten überwunden und ist über sich selbst hinausgewachsen."
    Vor den Sommerspielen 2012 in London glaubte sich Liu erneut in Topform und wusste die Erwartungen der ganzen Nation auf seinen Schultern – doch wieder scheiterte er in der Vorrunde – er stürzte an der ersten Hürde.
    Und wieder schluchzende Live-Reporter im Fernsehen. Seitdem ist Liu Xiang in keinem Wettkampf mehr angetreten. Sein Rücktritt vom Sport war nur noch eine Frage der Zeit. Denn dass er bei der Leichtathletik- WM im August in Peking dabei sein würde, solchen Spekulationen hatte er bereits vor Wochen eine Absage erteilt. Er bleibe trotzdem eine historische Figur, betonen chinesische Kommentatoren: Denn Liu Xiang habe als erster bewiesen, dass Asiaten sich in den Sprint-Disziplinen gegen die westliche Konkurrenz durchsetzen könnten.