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Leichtathletik-WM als Zeitreise für Amerikas Asse

Wenn in zwei Wochen im Berliner Olympiastadion die Leichtathletik-Weltmeisterschaft beginnt, ist das für die US-Athleten nicht nur ein Kampf um Zeiten und Weiten. Für Amerikas Asse ist der Jahreshöhepunkt zugleich eine Reise in die Vergangenheit: Denn sie kehren in jene Arena zurück, in der ihr farbiger Landsmann Jesse Owens bei den Sommerspielen 1936 mit viermal Gold Geschichte schrieb - und Adolf Hitlers Rassentheorien ad absurdum führte.

Von Heiko Oldörp | 01.08.2009
    Harvey Glance war 1976 Olympiasieger mit der 4x100 Meter-Staffel der USA und elf Jahre später in Rom auch Weltmeister. Beide Titel hat der heutige Herren-Chef-Trainer der US-Leichtathleten auch ein bisschen Jesse Owens zu verdanken, der 1936 bei den Sommerspielen in Berlin mit vier Olympiasiegen zum Star der Spiele wurde:

    "Jesse Owens war mein Idol und hat mich dazu inspiriert, Leichtathlet zu werden. Ich habe Bücher über ihn gelesen und es hat mich begeistert, was er in Berlin geleistet hat - und ich bin mir sicher, unseren jungen Athleten geht es genauso. Wir gehen dorthin zurück, wo Geschichte geschrieben wurde. Die Sommerspiele damals waren ein besonderes Ereignis für die USA und die ganze Welt. Owens hat Hitlers Prophezeihungen mit seinen Leistungen angezweifelt. Wir können niemals dankbar genug für das sein, was er da erreicht hat. Und ich hoffe, dass dies unser Team zusätzlich mit Stolz erfüllt."

    Knapp 150 Athleten umfasst das US-Nationalteam für die WM - die Mehrzahl von ihnen sind Farbige, so wie Harvey Glance. Doch die Hautfarbe spielt für ihn überhaupt keine Rolle:

    "Was Jesse Owens geleistet hat, war etwas für alle Amerikaner. Man hat nicht nur auf ihn herabgesehen, weil er ein Farbiger war, sondern auch, weil er Amerikaner war - Hitler kannte doch generell nur eine Rasse - die Deutsche, alles andere interessierte ihn nicht sonderlich. Aber ich denke, Jesse Owens Erfolge waren nicht nur wichtig für die Farbigen und die Amerikaner, sondern sie stehen auch für die Menschlichkeit."

    Owens gewann Gold über die 100 und 200 Meter, mit der 4x100 Meter-Staffel und im Weitsprung - er war der erste Superstar der Leichtathletik. Es dauerte anschließend 48 Jahre, ehe Carl Lewis bei den Spielen 1984 in Los Angeles ebenso erfolgreich war und viermal triumphierte.

    Seit 1981 vergibt der US-Leichtathletik-Verband den Jesse-Owens-Preis an die Leichtathleten des Jahres. 2000 ging diese Auszeichnung an den Olympiasieger über die 400 Meter Hürden, Angelo Taylor. Der 30-Jährige startet zum vierten Mal bei einer WM - doch keine ist für ihn so besonders, wie diese:

    "Das ist auf alle Fälle etwas Historisches, gerade für einen wie mich, der den Jesse-Owens-Preis gewonnen hat. Ich repräsentiere meine Land dort, wo er Geschichte geschrieben hat - hoffentlich kann ich im Olympiastadion meinen ersten WM-Titel gewinnen."

    Auf den "Owens"-Faktor setzt auch LaShawn Merritt, der Olympiasieger über die 400 Meter.

    "Jesse Owens ist eine Legende, er hat soviel in Berlin geleistet und ich versuche jetzt ebenfalls großartiges dort zu vollbringen. Ich will schnell laufen und Medaillen gewinnen - Goldmedaillen."

    Die hat Dwight Phillips schon zur Genüge. Der 31-Jährige ist zweimaliger Weitsprung-Weltmeister und wurde 2004 Olympiasieger. Für ihn geht es in Berlin nicht nur um Gold, sondern auch um Geschichte:

    "Vor einigen Tagen wurde ich von einem Journalisten gefragt, was die WM für mich bedeutet. Meine spontane Antwort war Jesse Owens. Er hat in einer schwierigen Zeit die Menschen verbunden. Er ist für alle Zeit mein Idol, ich bewundere, was er damals geleistet hat - nicht nur als Sportler, sondern auch als Botschafter für die USA."

    So angesehen Owens Leistungen heute in den USA sind, so unspektakulär und fast schon beiläufig wurden sie 1936 aufgenommen. Zwar hatte die Weltpresse damals moniert, dass Adolf Hitler Owens bei keinem seiner vier Olympiasiege persönlich die Hand gegeben habe, Owens selbst störte das jedoch nicht. Vielmehr war er echauffiert über die Reaktionen in seiner Heimat. Nicht Hitler habe ihn verachtet, sondern Franklin D. Roosevelt. Denn der Präsident habe ihm nicht einmal ein Telegramm geschickt, wird Jesse Owens in "Triumph", einem Buch über die Sommerspiele 1936 zitiert.