Freitag, 29. März 2024

Archiv

Leipzig jenseits von Bach
Auch die alternative Musikszene der Stadt blüht

Leipzig schmückt sich gern mit dem Titel "Bachstadt". Auch im Hinblick auf die alternative Musikszene hätte die Stadt einen solchen Titel verdient. Zu verdanken ist das Tobias Schurig, Musikkurator am "Schauspiel Leipzig". Jetzt hat er mit Mulatu Astatke eine der Legenden des äthiopischen Jazz eingeladen.

15.12.2014
    Ein unsanierter Altbau im Leipziger Süden. Plattenspieler, Boxen und unendlich viele Schallplatten. Gerade läuft äthiopischer Jazz - aus gutem Grund, aber dazu kommen wir noch. Wir stehen im Wohnzimmer von Tobias Schurig, einem freundlichen und zurückhaltenden Mittdreißiger in coolen Klamotten. Er veranstaltet Konzerte in der Stadt. Seit mehr als einem Jahrzehnt. Aufgewachsen ist er in der südbrandenburgischen Provinz. In den Jugendzentren auf dem Land entwickelte er seine Leidenschaft für alternative Musik und Bands, die bis heute anhält:
    "Bei mir ganz konkret hab ich dann auch angefangen, Essen zu kochen für Bands bei Konzerten. Hab dann auch angefangen, Ideen mit einzubringen, die man dort dann auch machen konnte mit Freunden zusammen."
    Mit zwanzig Jahren kam Tobias Schurig nach Leipzig, zu Beginn des neuen Jahrtausends. Und auch, wenn das noch gar nicht so lange her ist: Die Stadt war damals noch weit entfernt vom Hype und von der Hybris, das "better Berlin" zu sein. Mehr Freiräume, mehr ungenutzte Orte - und weniger kulturelle Angebote.
    "Wir fahren zwei, drei, vier Mal im Monat nach Dresden, nach Berlin auf Konzerte und schauen uns Sachen an, die wir richtig gut finden - und haben uns dann auch irgendwann gefragt, ja, warum passieren die Sachen nicht in unserer Stadt, obwohl es die Räume dafür gibt? Und dann hat man halt einfach angefangen, das selbst in die Hand zu nehmen."
    Konzerte ohne kommerzielle Interessen
    Gemeinsam mit Freunden aus der alternativen Leipziger Szene gründete Tobias Schurig das "Schubladenkonsortium" - ein unabhängiges Kollektiv, das Konzerte veranstaltet ohne kommerzielle Interessen, mit unbekannten und bekannten Künstlern, für viel Publikum und für wenig. Entscheidend war dabei immer, dass es auch eine gesellschaftspolitische Dimension gibt:
    "Das ist für mich auch immer ein ganz wichtiger Punkt gewesen, dass es halt nicht nur darum geht, ein Konzert hinzustellen, wo die Leute Eintritt bezahlen, sich das angucken und dann wieder nach Hause gehen, sondern es ging halt auch in diesem Milieu, in dem man damit sozialisiert worden ist, auch immer darum, dass da auch ein soziales Miteinander stattfindet, dass da auch ein Austausch stattfindet."
    So hat Tobias Schurig mit seinen Konzerten zum besonderen Flair der Stadt beigetragen, schon zu einer Zeit, als noch nicht 10.000 neue Einwohner pro Jahr nach Leipzig kamen. Bei aller Veränderung, das "Schubladenkonsortium" bleibt bei seinen Idealen: Man kocht für die Künstler. Flyer entstehen in Handarbeit - und nachts sieht man Tobias Schurig auf den Straßen der Stadt, weil er Plakate klebt für seine Konzerte: "Auch eine schöne Sache, dass man die Wände dieser Stadt mitgestaltet!"
    Seit rund einem Jahr ist Tobias Schurig nun auch Musikkurator am Schauspiel Leipzig - und versucht in diesem offiziellen Job, ein Programm zu gestalten, das sich einen unabhängigen Geist bewahrt: Vor einem Jahr beispielsweise holte er Hailu Mergia nach Leipzig. Ein äthiopischer Musiker, der zwanzig Jahre lang in Washington D.C. Taxi fuhr, bevor er endlich wieder auf Tour gehen konnte:
    Mulatu Astatke - einer der Urväter des äthiopischen Jazz
    "Auf die äthiopischen Sachen bin ich tatsächlich gestoßen durch eine Reise, die ich gemacht habe, als ich tatsächlich zwei Monate in Äthiopien unterwegs war. Und da ein wundervolles Land entdeckt habe und durch eine wirklich magische Landschaft mit Bussen gefahren bin, aus deren übersteuerten Boxen dann dieser wahnsinnig tolle Sound rauskrächzte."
    So ist es nur folgerichtig, dass Tobias Schurig nun also wieder einen äthiopischen Musiker nach Leipzig einlädt - und zwar einen der berühmtesten: Mulatu Astatke gehört zu den Urvätern des äthiopischen Jazz, schrieb die Filmmusik zu "Broken Flowers" von Jim Jarmusch. Und hört man diesen schrägen, überraschenden, mitunter schmerzlichen und im besten Sinne frischen Sound - dann spürt man, was Tobias Schurig meint: dass es gerade nicht darum geht, Eintritt zu bezahlen und sich berieseln zu lassen - sondern verändert wieder nach Hause zu gehen.