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Landwirtschaft
Gülle könnte Tieren im Ackerboden schaden

Nicht nur Nitrat, auch weitere Gülle-Bestandteile können schädlich sein. Bestimmte Stoffe wirken beim Düngen auf Lebewesen im Ackerboden ähnlich wie Hormone. Im Laborversuch konnten Forscher bereits Schädigungen an Fadenwürmern zeigen. Auch andere Bodenbewohner könnten betroffen sein.

Von Volker Mrasek | 22.10.2019
Ein Landwirt bringt Gülle auf einem Feld aus, aufgenommen am 12.03.2015 in Heinersdorf (Brandenburg). Foto: Patrick Pleul | Verwendung weltweit
Ein Abbauprodukt, das aus Gülle entsteht, wirkt ähnlich wie Umwelthormone (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
Rund 150 Millionen Kubikmeter – so viel Gülle bringen Landwirte jedes Jahr als Dünger auf deutschen Feldern aus. Es handelt sich um den Kot und Urin von Rindern, Schweinen und Geflügel, also um Verdauungsendprodukte. Deshalb enthielten die Ausscheidungen auch immer gewisse Mengen an Gallensäuren, sagt Bodo Philipp, Professor für Mikrobielle Biotechnologie an der Universität Münster:

"Alle Wirbeltiere produzieren Gallensäuren. Die werden aus Cholesterin in der Leber gebildet und helfen bei der Fettverdauung. Sie werden zu großen Teilen recycelt im Körper, aber sie werden auch zu einem gewissen Teil ausgeschieden. Wir haben ausgerechnet, dass eine Kuh circa 60 Kilo Gallensäuren pro Jahr abgibt."
Die Verbindungen landen dann auch mit auf dem Feld. Und das könnte ein bisher übersehenes Risiko für Würmer, Insekten und andere wirbellose Tiere in Ackerböden sein. Gallensäuren zählen nämlich zu den Steroiden und sind damit ganz ähnlich aufgebaut wie Sexualhormone:
"Beim Abbau von Gallensäuren wie beim Abbau von allen Steroiden entstehen als Zwischenprodukte Verbindungen, die als Hormone wirken können. Und wir sehen dieselben Zwischenprodukte auch in so einer Bodenprobe. Und das brachte uns auf die Idee: Kann es nicht sein, dass diese Verbindungen dann in der Umwelt auch hormonell auf die wirbellosen Tiere wirken?"
Freigesetzte Umwelthormone schädigen Bodenlebewesen
Philipps Arbeitsgruppe testete das erst einmal in kleinen, mit Boden befüllten Labor-Containern. Mit hinein setzten die Forscher winzige Fadenwürmer, und zwar die Art, die Entwicklungsbiologen am häufigsten als Modellorganismus verwenden:
"Mit dem haben wir dann Experimente gemacht. Wir haben dem quasi diese Verbindungen verabreicht, die Bakterien beim Gallensäure-Abbau erzeugen. Und haben gesehen, dass im Labor dieser Wurm dadurch beeinflusst wird. Er vermehrt sich schlechter, hat weniger Nachkommen. Die Verbindungen, die wir uns angeschaut haben, wirken in der Hauptsache als Androgene, also als männliche Hormone. Testosteron haben wir als Vergleichssubstanz auch eingesetzt in diesen Studien, und es hatte ähnliche Effekte wie diese Abbauprodukte der Gallensäuren."
Durch die Düngung mit Gülle könnten also Umwelthormone freigesetzt werden und Bodenlebewesen schädigen. In Frage kämen hier alle Tiere, die über Rezeptoren für Steroide in ihren Zellen verfügten, so Philipp:
"Wir haben dort natürlich auch neben Würmern eine ganze Menge anderer wirbelloser Tiere, vor allem eben auch Insektenlarven, die im Boden leben. Auch diese verfügen über Steroid-Rezeptoren. Von daher ist es nicht auszuschließen, dass solche Effekte tatsächlich sich negativ bemerkbar machen in landwirtschaftlichen Flächen, die halt sehr stark gegüllt werden."
Bauern düngen ihre Felder schon immer mit den Ausscheidungen ihrer Nutztiere. Also sind auch potenziell schädliche Gallensäuren in Ackerböden eigentlich nichts Neues, wie der Mikrobiologe einräumt:
"Nur sind halt die Mengen an Gülle, die ausgebracht werden, sicherlich gestiegen. Es könnte jetzt eben durch diese ungewöhnlich hohe Konzentration von Gülle, die wir haben aus der Massentierhaltung, natürlich etwas verstärkt werden."
Laborergebnisse müssen noch überprüft werden
Was Philipp sagt, klingt durchaus plausibel. Doch im Moment muss man noch von einer Hypothese sprechen. Bisher stützt sie sich nur auf Laborergebnisse:
"Was wir noch nicht gemacht haben, ist tatsächlich auch dann in der Umwelt zu schauen, ob sich diese biologischen Effekte dort auch zeigen. Wir können darstellen, dass diese Möglichkeit prinzipiell in der Umwelt bestehen könnte. Und sowas ist natürlich auch immer eine Voraussetzung, bevor man dann wirklich in sehr aufwändige Umweltstudien einsteigt."
Das wollen die Münsteraner Biologen jetzt in Angriff nehmen. Ihre Laborergebnisse wurden inzwischen veröffentlicht, von der Fachzeitschrift Scientific Reports. Die Gutachter, sagt Philipp, hielten die Geschichte von der galligen Gülle für sehr interessant. Man solle ihr doch bitte weiter nachgehen.