Dienstag, 16. April 2024

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Leistungssport in der DDR
Auch in der Sportgymnastik wurde gedopt

Bislang hieß es, in der DDR habe es nur im Segeln und in der Rhythmischen Sportgymnastik kein Doping gegeben. Doch das ist ein Trugschluss: Die ehemalige rhythmische Sportgymnastin Susann Scheller berichtet von Blutdoping und einem "Potpourri" an Tabletten, die sie nehmen musste.

Von Thomas Purschke | 09.04.2016
    Ein Fuß in einem Gymnastikschuh neben einem Gymnastikband
    Die Rhythmische Sportgymnastik der DDR galt bisher immer als Doping-unverdächtig. (imago/sportfoto/Pressefoto Baumann)
    In ihrer Kindheit und Jugend bestimmte die Rhythmische Sportgymnastik Susann Schellers Leben. Schon mit 14 war sie, noch unter dem Namen Hubig, Teil des DDR-Nationalteams. 1989, beendete sie dann beim SC Leipzig im Alter von 17 Jahren ihre Karriere, weil sie die extremen physischen und psychischen Torturen nicht mehr länger aushielt.
    Die ehemalige rhythmische Sportgymnastin Susann Scheller steht vor einem Bücherregal.
    Die ehemalige rhythmische Sportgymnastin Susann Scheller leidet bis heute unter den Folgen des Dopings. (Deutschlandradio/Thomas Purschke)
    Erst jetzt, - mehr als ein Vierteljahrhundert später -, hat sie die Kraft, ihr Schweigen zu brechen. Inzwischen engagiert sie sich auch für andere frühere Sportlerinnen, die schwere Gesundheitsschäden davongetragen haben.
    Zusatznahrung und Tabletten
    Wenn sie an ihre aktive Zeit zurückdenkt, erinnert sich Susann Scheller vor allem an den täglichen Gang auf die Waage oder das verordnete Hungern, um nur ja nicht zu viel Körpergewicht aufzubauen. Die Trainerinnen überwachten dies mit aller Strenge.
    "Also frühzeitig haben wir angefangen, schwitzen zu müssen, nichts trinken zu dürfen, wurden in die Sauna eingesperrt, mussten uns Schwitzanzüge anziehen, mit Folie eingewickelt, hatten eine bestimmte Vorgabe, wie lange wir da drin bleiben müssen. Wir haben eigentlich, soweit ich mich zurückerinnern kann von Anfang an Zusatztrinknahrung bekommen, Tabletten bekommen, die wir einnehmen mussten, die standen immer in unserem Spind rum, wenn es uns schlecht ging, weil wir dachten, es sind Vitamine, haben wir mal ein bisschen mehr genommen."
    Spritzen nach 21 Uhr
    Auch Doping und Entwässerungstabletten kamen zum Einsatz. Scheller selbst spricht von einem "Potpourri Tabletten", das sie immer wieder in den Trainingslagern bekommen habe.
    Gesundheitsschäden wurden dabei von den Verantwortlichen in Kauf genommen:
    "Und hauptsächlich Dopingmittel kann ich mich erinnern, haben wir ein Potpourri an Tabletten immer wieder in den Trainingslagern bekommen,
    "Jeden Morgen, es waren bestimmt fünf bis sechs Tabletten und Kapseln, Energiedrinks, Eiweißdrinks, da war irgendwas daruntergemischt. Unsere Verbandstrainerin hatte immer ein Päckchen mit dabei mit weißem Pulver, das wurde uns untergemischt. Wir haben abends vom Nationalarzt sogar um 21 Uhr noch Spritzen bekommen, Blutdoping bekommen, also Blutwäsche mit Bestrahlung, Vitamincocktails, irgendwelche Flüssigkeiten injiziert."
    "Physischer Missbrauch kann man dazu sagen"
    Regelrecht traumatische Erinnerungen, das merkt man im Gespräch mit ihr, verbindet Susann Scheller mit den Trainingslehrgängen einst in Zinnowitz an der Ostsee. Das hängt vor allem mit der Trainingsintensität zusammen:
    "Physischer Missbrauch kann man dazu sagen. Wir wissen überhaupt nicht mehr, ich habe das dokumentiert in Trainingstagebüchern, wie ich 30 Stunden pro Woche trainieren konnte von morgens um 6 Uhr aufstehen, auf die Waage, der Lauf an der Ostsee barfuß, danach auf die Waage, das Essen war einem vergangen, dann war Frühstück, irgendein Eiweißdrink, um halb acht dann schon wieder in die Halle, da kam mir der Eiweißdrink wieder hoch, so war eigentlich unser Leben bis abends um zehn inklusive Physiotherapie, Sauna, aktive Erholung mit irgendwelchen Joggingübungen. Wir haben manchmal vier Trainingseinheiten pro Tag gehabt und das über Jahre, zwei Jahre hinweg, ich weiß nicht, wie wir das physisch verkraftet haben in dem Alter und dann Hungern die ganze Zeit."
    Unterstützung vom Dopingopfer-Hilfeverein
    Ess-Störungen, kaputte Gelenke und Bandscheibenvorfälle sowie Depressionen sind die Folge davon. Jetzt, 27 Jahre nach ihrem Karriereende hat sie Unterstützung gefunden beim Doping-Opfer-Hilfeverein in Berlin, der einzigen Anlaufstelle für Opfer wie Susann Scheller.
    "Endlich, endlich ist da irgendetwas, wo man Anerkennung erfährt, also zumindest wo jemand zuhört und wo es vielleicht noch andere Betroffene gibt das war der größte, und besonderste und wertvollste Schritt in meinem Leben."
    Susann Scheller ist der Beweis dafür, dass auch in der Rhythmischen Sportgymnastik staatlich verordnet gedopt wurde. Also sogar in einer Sportart, von der die DDR-Funktionäre und sogar die Dopingermittler das immer ausgeschlossen hatten.