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Leiter der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen kritisiert Gedenkstättenkonzept

Das neue Gedenkstättenkonzept der Bundesregierung ist beim Leiter der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, auf Skepsis gestoßen. "Ich habe den Eindruck, dass hier oftmals leider nicht nach sachlichen Gesichtspunkten und Notwendigkeiten, sondern danach entschieden worden ist, wer hat die stärkeren Bataillone", kritisiert Knabe am Mittwoch im Deutschlandfunk.

18.06.2008
    Rainer Berthold Schossig: Am Telefon ist nun der Direktor der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen Hubertus Knabe. Nicht zuletzt durch seine Intervention nach der Anhörung im vergangenen November gab es zahlreiche Auseinandersetzungen darüber, ob die Aufarbeitung der sozialistischen Diktatur in Deutschland, der SED, genügend berücksichtigt werde. Herr Knabe, der heutige Beschluss des Bundeskabinetts sei ein Meilenstein für die Erinnerungskultur in Deutschland, so heißt es in der Pressemeldung aus dem Kulturstaatsministerium. Können Sie sich dem anschließen?

    Hubertus Knabe: Mit dem Meilenstein habe ich meine Probleme. Man muss einfach dazu wissen, dass es hier ein sehr, sehr langes und heftiges Tauziehen hinter den Kulissen gegeben hat. Was jetzt herausgekommen ist, ist ein Kompromiss, ein Kompromiss auf der Großen Koalition. Und ich habe den Eindruck, dass hier oftmals leider nicht nach sachlichen Gesichtspunkten und Notwendigkeiten, sondern danach entschieden worden ist, wer hat die stärkeren Bataillone.

    Schossig: Immerhin, es klingt doch einleuchtend, dass es keine Gleichsetzung in der Erinnerung des NS-Schreckensherrschaft mit der an das Unrecht im SED-Staat geben soll. Geht das in Ordnung, oder haben Sie Sorge, jetzt im Schatten der anderen Erinnerungsaufgaben zu verschwinden?

    Knabe: Ja, man muss einfach noch mal den Ausgangspunkt, glaube ich, in Erinnerung rufen, warum das Ganze überhaupt gemacht worden ist. Und der war der, dass uns in Deutschland durch den Fall der Mauer eine neue Vergangenheit zugewachsen ist, nämlich die der kommunistischen Diktatur, und dass wir zum Zweiten auf eine erschreckende Unkenntnis inzwischen bei den Nachgewachsenen stoßen, die ja inzwischen 18, 20 Jahre alt sind und das alles nicht mehr miterlebt haben. Deswegen hat die Politik gesagt, das war der Ausgangspunkt, hier muss etwas passieren, hier muss besser aufgeklärt werden, hier müssen auch die historischen Orte, die es eben noch gibt, die noch nicht abgerissen sind, wie manches frühere KZ, das müssen wir retten. Und aus dieser Diskussion ist da etwas ganz anderes geworden, nämlich es ist auf einmal eine Diktaturenkonkurrenz aufgemacht worden mit dem Tenor, wer hat mehr Tote zu bieten, der bekommt mehr Finanzmittel. Und das ist eigentlich eine schreckliche Debatte.

    Schossig: Nun immerhin, herausragende Erinnerungsorte von zentraler Bedeutung wie die Gedenkstätten "Bernauer Straße", "Tränenpalast Friedrichstadt", aber auch "Marienborn", was jetzt kommt und nicht zuletzt auch Ihr Haus, Hohenschönhausen, sind doch auf relativ gutem Weg. Was bleibt noch zu wünschen, zu tun?

    Knabe: Ja, wir haben vor allem das Problem, dass in der ostdeutschen Provinz hier keine Orte außer Marienborn an der Grenze an der Autobahn mit im Konzept berücksichtigt worden sind. Und da haben wir ganz gravierende Probleme, dass eben die Stasi-Gefängnisse vor sich hinrotten und sich niemand verantwortlich fühlt.

    Schossig: Zum Beispiel Bautzen?

    Knabe: Nein, da geht es um Erfurt zum Beispiel, das Stasi-Gefängnis, oder um Cottbus. In Berlin-Rummelsburg sind gerade aus einem großen DDR-Gefängnis Eigentumswohnungen gemacht worden, und das droht auch an anderen Orten. Und noch viel schwieriger ist natürlich die Situation in Westdeutschland, wo wir nicht mal bauliche Relikte haben, wie vermitteln wir dort die kommunistische Diktatur. Da bleibt das Konzept leider Antworten schuldig.

    Schossig: Herr Knabe, mit welchem konkreten Problemen oder auch Informationslücken, Vorurteilen sind Sie in Ihrer täglichen Arbeit in Hohenschönhausen konfrontiert, wo es noch sozusagen konkreten Handlungsbedarf gäbe?

    Knabe: Ja, Vorurteile ist eigentlich nicht so das Problem, sondern mehr, dass eben hier inzwischen eine ganze Generation herangewachsen ist, die das alles nicht mehr weiß, die Erich Mielke für einen Schriftsteller halten und den 17. Juni auf das Jahr 49 datieren, wo angeblich die Massen wegen der Toten des Zweiten Weltkrieges auf die Straßen gegangen sind, also abstruse Antworten. Und was noch viel gravierender ist, dass auch die Wertmaßstäbe fehlen, wie ordne ich das eigentlich ein, und dann zu dem Ergebnis kommen, dass die Bundesrepublik zwar anders, aber nicht besser gewesen sei als die DDR.

    Schossig: Es soll ja Anstrengungen geben, jetzt das Ganze über den Hebel des Geschichtsverbundes zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in Deutschland zu bewältigen. Wäre das ein Weg oder reicht das nicht?

    Knabe: Ich glaube, Zentralismus ist beim Gedenken der falsche Weg. Hier muss man über den Ort des Schreckens versuchen, in die Gesellschaft zu wirken, Bautzen oder Berlin-Hohenschönhausen oder eben die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Das kann man nicht in ein Kombinat oder eine Großorganisation zwängen, sondern da muss man lokal arbeiten und dann global wirken.

    Schossig: Das war der Direktor der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen Hubertus Knabe zu dem heute im Kabinett verabschiedeten neuen Konzept des Kulturstaatsministers über Gedenkstättenkultur in Deutschland.